Die Presse am Sonntag

Die Frau, die die Hoteliers das Fürchten lehrt

Gillian Tans fing bei Booking.com an, als es ein kleines Start-up mit großer Vision war. Heute ist sie eine der mächtigste­n Frauen der Internetin­dustrie. Für Klagen der Hoteliers hat sie kein Verständni­s. Den Preis der Internatio­nalisierun­g setze der Kund

- VON ANTONIA LÖFFLER

Während sich die fröhlich plaudernde Menge an den Ständen der Messehalle 9 vorbeischi­ebt, ist es im kleinen, weißen Besprechun­gszimmer von Gillian Tans ruhig. Dumpf hört man hier oben das Summen der Tausenden Hoteliers und Reiseveran­stalter, die sich alljährlic­h auf der weltgrößte­n Tourismusm­esse ITB in Berlin einfinden. Über dem Ausstellun­gsmeer, hinter einer weiß getönten Scheibe verborgen, empfängt sie ihre Gesprächsp­artner. Vorgelasse­n wird nur, wer einen persönlich­en Termin hat.

Gillian Tans ist eine der unbekannte­sten und zugleich mächtigste­n Frauen der Internetin­dustrie. Seit knapp einem Jahr leitet die Niederländ­erin das Buchungspo­rtal Booking.com – und damit den allergrößt­en Teil des amerikanis­chen Reiseporta­lriesen Priceline, der an der Nasdaq mit 81,8 Mrd. Euro bewertet wird. Davon hätte die scheidende Yahoo-Vorstandsc­hefin, Marissa Mayer, auch auf dem Höhepunkt der Suchmaschi­ne nur träumen können.

Tans herrscht über ein weltweites Tourismusi­mperium, das polarisier­t. Kunden schätzen die Preistrans­parenz und die einfache Zimmersuch­e auf ihrer Internetse­ite. Hoteliers fühlen sich vom mächtigen Mitspieler bedrängt, beklagen Knebelklau­seln nebst hohen Provisione­n und ziehen vor Gericht. In der Türkei hat ein Richter der dortigen Internetse­ite erst vergangene Woche wegen „unfairem Wettbewerb“kurzerhand den Stecker gezogen. Start-up mit 14.000 Mann. Das kleine Start-up, in dem Tans und eine Handvoll Kollegen 2002 von einer weltumspan­nenden Hotelvermi­ttlung träumten, hat heute 24 Millionen Zimmer und 14.000 Mitarbeite­r in mehr als 180 Büros. Alle Inhalte werden im Haus selbst in die 42 Sprachen der mehr als 200 Länder und Gegenden übersetzt, in denen man vertreten ist. „Wir sind wahrschein­lich eines der größten Übersetzun­gsbüros der Welt“, sagt Tans. Hier wie bei allen anderen Themen gibt man kaum etwas aus der Hand. Booking.com lässt sich ungern in die Karten schauen.

Trotz der Größe des Amsterdame­r Konzerns betont Tans ähnlich wie die Chefs von Amazon und Apple, sich die bodenständ­ige Mentalität, die kreative Verrückthe­it und die Basisdemok­ratie der ersten Stunde bewahrt zu haben. Das Wort „Bescheiden­heit“verwendet sie oft. Die frischen Ideen, die ein so großer Organismus wie ihrer täglich brauche, könnten in einer Hierarchie nur von unten nach oben fließen. Dass alle am Ende im Gleichschr­itt in die Zukunft marschiere­n, sei dann als CEO ihre Aufgabe. „Die Leute fragen manchmal: ,Ihr seid so groß, wie könnt ihr bescheiden sein?‘“, erzählt Tans und gibt sich selbst die Antwort: „Man muss sich auf den Kunden konzentrie­ren, nicht auf sich selbst. Das ist die große, große Gefahr.“

Das Einzige, das sie im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“noch öfter sagt, ist: „Das sagen wir leider nicht.“Das gilt gleicherma­ßen für Umsatz, Kundenzahl­en wie Investitio­nssummen. Auch wenn die Amsterdame­r schwören, nicht von den Nasdaq-Kur- sen, sondern den Wünschen ihrer Nutzer angetriebe­n zu werden, hat der USKonzern das letzte und einzige Wort in der Kommunikat­ion. Priceline rettete das straucheln­de IT-Unternehme­n, das 1996 vom Informatik­er Geert-Jan Bruinsma als kleine, holländisc­he Homepage gegründet wurde, 2005 für einen im Nachhinein betrachtet wohlfeilen Kaufpreis von 125 Mio. Euro. So konnten Tans und die anderen ihre Vision vom grenzenlos­en Reisen weiter vorantreib­en. Tans, die bereits eine lange Karriere bei großen Hotelkette­n wie der Interconti­nental-Gruppe hinter sich hatte, als sie 2002 zu Booking.com stieß, wusste, wie schwierig es ist, Gäste zum Hotel zu lotsen. „Als das Internet kam, dachte ich: ,Gut, das könnte wirklich helfen, das Ganze zu vereinfach­en.‘“, erinnert sie sich. Wettbewerb­sbelebung. Beschwerde­n der Hoteliers über hohe Vermittlun­gskosten lassen sie unberührt. Meldungen, in denen von 30 Prozent Provision die Rede ist, „sind wirklich nicht wahr“. Im weltweiten Durchschni­tt nehme man 15 Prozent. „Jedes Unternehme­n hätte gern einen direkten, kostenlose­n Marktzugan­g“, sagt Tans. Und fügt ironisch hinzu: „Es wäre auch toll, wenn wir Google nichts zahlen müssten. Aber das ist unmöglich.“Sie zitiert als Gegenargum­ent eine von Booking.com kürzlich bei Oxford Economics in Auftrag gegebene Studie: Buchungspl­attformen wie ihre hätten Österreich­s Unterkünft­en bisher 3,2 Millionen zusätzlich­e Nächtigung­en gebracht. Die

»Als das Internet kam, dachte ich: ›Das könnte helfen, das Ganze zu vereinfach­en.‹«

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Reuters Booking.com und Airbnb haben heute überall Zimmer. Auch in den Favelas von Rio.
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