Wer dem Gast am nächsten kommt, gewinnt
Booking.com und Airbnb sind Kinder des Internets und die natürlichen Feinde des klassischen Hotels. Seit beide auf dem Handy mit ihren Gästen mitreisen, sind sie aber auch zwangsläufig eines: Rivalen.
Zimmerpreise seien durch den Wettbewerb, den man in den Markt getragen hat, um sieben Prozent niedriger, als sie ohne wären.
Der größte Reibungspunkt mit den Hotels ist in Europa aber in den vergangenen Jahren eine Klausel gewesen, die es ihnen verbot, ihre Zimmer irgendwo anders günstiger anzubieten als auf der Seite der dominanten Vertriebspartner Booking.com, HRS oder Expedia. In 26 Staaten auf der ganzen Welt habe man sich geeinigt, dass die Hotels die Preise von Booking.com nur mehr auf der eigenen Hotelseite nicht unterbieten dürfen, erklärt Tans. Diesen Kompromiss unterstütze sie. Ländern wie Deutschland oder Österreich ging das Zugeständnis aber nicht weit genug. Das deutsche Bundeskartellamt kippte die Regel Ende 2015 ganz, man steht derzeit nach einer Klage von Booking.com vor der zweiten Gerichtsinstanz. Österreich untersagte die Klausel nach langem Drängen der Hoteliers per Gesetz mit Jahresbeginn, bisher reagierte die Plattform noch nicht. Ein bedrohtes Versprechen. Geht es um die Klausel, hat Tans ihre Allzweckwaffe parat: den Kunden. Bei den Nutzern ihrer Seite handle sich oft um Gäste, die in dem fraglichen Hotel noch nie abgestiegen sind. „Diese sollen einen guten Preis bekommen – und sie sehen ja nur den auf Booking. Der Wettbewerb findet eigentlich auf der Plattform selbst statt.“Was sie nicht dazusagt: Wenn es unter den Ländern Schule macht, solche Klauseln ganz zu verbieten, würde Tans größtes Versprechen an den Kunden löchrig. Das lautet, den besten Preis auf dem Markt zu garantieren.
„Insgesamt sind unsere Partner sehr glücklich, weil wir ein kosteneffizienter Marketingkanal für sie sind“, betont sie. Das liege auch daran, dass ihre Mitarbeiter vor Ort den Hotels und Ferienhäusern, die nicht auf der Höhe der digitalen Revolution sind, bei Dingen wie der Suchmaschinenoptimierung oder der Homepage helfen.
Niemand spreche darüber, wie vielen Unternehmen ihre Firma zum Erfolg verholfen habe, sagt Tans zum Abschied. Nachsatz: „Und davon gibt es viele.“ Früher saßen die Menschen daheim vor ihrem Computerbildschirm, buchten ihr Hotel und stiegen ins Flugzeug. „Dann waren sie auf ihrem Trip, und wir wussten nichts, wenn sie danach keine Bewertung ausgefüllt haben“, erzählt Gillian Tans, die das weltweite Hotelbuchungsportal Booking.com leitet. „Heute reisen wir mit dem Handy mit ihnen mit.“
Der Aufstieg des Smartphones legte den Tourismusbetrieben eine ungeahnte Macht in die Hand. Internetfirmen wie Tans’ Buchungsportal oder der Privatzimmervermittler Airbnb waren unter den Ersten, die erkannten: Das Geschäft muss nicht bei der Unterkunft aufhören, da beginnt es erst. Das neue Zauberwort heißt Erlebnis. Stadtführer in der Hosentasche. Wenn der Tourist in Amsterdam an den Grachten entlangflaniert, kann es nun passieren, dass er von Booking.com mit Handynachrichten auf die Eckbar mit dem Lokalcharme oder auf den Eintrittsrabatt beim Museum nebenan hingewiesen wird. In fünf Städten probiert der Bettenvermittler zurzeit seine „Booking Experience“aus.
Die Amsterdamer, die sich immer heftig dagegen wehrten, irgendetwas anzubieten, das kein Bett ist – und darin ihre größte Stärke gegenüber Mitbewerbern wie der Expedia-Gruppe sahen –, scheinen ihre Meinung geändert zu haben. Aber nein, das fördere nicht die ungeliebte Komplexität, betont Tans. Flüge oder Leihwägen werde ihre Seite auch weiterhin keine anbieten. Das Unternehmen reagiere lediglich auf den modernen Kunden, der ein beispielloses Vertrauen in die Technik an den Tag lege und mit der Buchungsapp auf dem Handy auch einmal in Südostasien spontan von Hotel zu Hotel tingle. Um diese neue Generation der Reisenden auf ihrem Smartphone so direkt wie möglich anzusprechen, sucht Tans stetig nach Datenforschern, Designern und Entwicklern – mit der klassischen Jobbeschreibung aus der Reisebranche haben die Anforderungsprofile nur mehr wenig zu tun.
Urlaub ist individueller, spontaner, persönlicher geworden. Und die Anbieter ziehen mit. Will man in den Ferien Sterne beobachten, Kiesstrände unter den Füßen spüren oder gute Luft atmen? Seit rund einem Jahr kann man solche Spezifika bei Booking.com suchen. Der Gast gibt seine „Passion“, also seine Vorliebe, in die Maske ein. Die Suchmaschine mischt die darauf zugeschnittenen Vorschläge mit den zu dem Datum vorhandenen Unterkünften für ihn ab. Lokalkolorit zum Kaufen. Noch weiter geht der kalifornische Mitbewerber Airbnb seit vergangenem November in seinem Angebot. Seitdem stehen gut 800 „Entdeckungen“in 16 Städten mit lokalen Gastgebern zur Auswahl, etwa ein zweistündiger Parfumworkshop in Seoul oder eine mehrtägige Trüffelsuche in der Toskana. Bis Jahresende will man das Unterhaltungsangebot mit Lokalkolorit auf 51 Städte ausrollen.
Airbnb selbst nennt den Start seiner umfassenden Reiseplattform, die in Zukunft auch Zusatzservices wie Flüge anbieten soll, den bisher bedeutendsten Schritt in der Unternehmensgeschichte. „Damit wollen wir das Reisen wieder magisch machen und stellen den Menschen in das Zentrum jeder Reise“, sagt eine Berliner Sprecherin des Unternehmens.
Das nötige Kleingeld für die weltumspannenden Spielereien ist in beiden Fällen vorhanden: Das ehemalige Start-up, das mit der spontanen Ver- mietung von Luftmatratzen auf dem Wohnzimmerboden während einer Konferenz im ausgebuchten San Francisco seinen Anfang nahm und heute nach eigenen Angaben drei Millionen Unterkünfte in 65.000 Städten hat, wird von US-Medien mit 31 Mrd. Dollar bewertet. Und auch Tans kann für Booking.com auf die Hilfe der an der Nasdaq gelisteten Mutter Priceline zurückgreifen. Diese ist mehr als 80 Mrd. Euro schwer und trieb schon bisher die internationale Expansion der Tochter voran (siehe Geschichte links).
Es ist ein Wettlauf von zwei Großkalibern, von denen beide beteuern, nicht auf die Aktivitäten des anderen zu schielen. Dennoch warben die Niederländer jüngst quer über den europäischen Markt mit dem Slogan „Hotels, Wohnungen – und alles dazwischen.“Still und heimlich haben sie in den vergangenen Jahren rund 620.000 Ferienwohnungen gesammelt. „Wir sind groß in dem Bereich, das fällt den Leuten gar nicht auf“, sagt Tans im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“. An dem Außenauftritt wolle man nun endlich arbeiten. Und etwa auch die Iglus, Baumhäuser und Chalets, die sich unter den 1,1 Mio. angebotenen Domizilen befinden, bewerben. Viele davon finden Reisende auch bei Airbnb. „Wir haben schon jetzt viele Überschneidungen“, so Tans. Handlungsreisende willkommen. Das Rennen der Konzerne hat noch einen Nebenschauplatz: Beide erkannten relativ gleichzeitig, dass auch Geschäftsreisende Wert auf Individualität legen. 150.000 Unternehmen – dreimal so viele wie noch im Jahr davor – meldeten sich 2016 bei dem Businessprogramm
„Entdeckungen“
bietet Airbnb seinen Gästen seit diesem Winter an. Sie werden von lokalen Gastgebern angeboten – etwa eine Trüffelsuche in der Toskana oder ein Craft-Beer-Braukurs in Los Angeles.
Tausend Ferienwohnungen
führt das Buchungsportal Booking.com. Unter den 1,1 Mio. Unterkünften finden sich auch exotische wie Iglus, Baumhäuser oder Boote. Überschneidungen mit Airbnb sind da unvermeidlich. von Airbnb an. Das Zimmerportal hat nach eigenen Angaben Tausende Businessunterkünfte, in denen kostenloses Wlan, 24-Stunden-Check-in oder Laptoparbeitsplätze angeboten werden. Geschäftsreisende machten heute 15 Prozent der Gäste aus. Die Gruppe bleibe mit einer Aufenthaltsdauer von sechs Tagen doppelt so lange wie normale Touristen – ein lukratives Potenzial für die Plattform wie auch die Privatzimmervermittler.
»Es wäre auch toll, wenn wir Google nichts zahlen müssten. Aber das ist unmöglich.« Das Geschäft hört nicht bei der Unterkunft auf, da beginnt es. Das Zauberwort heißt Erlebnis. Es ist ein Wettlauf, bei dem beide beteuern, nicht auf den anderen zu schielen.
Blickt man zur Zentrale von Booking.com in Amsterdam, bietet sich wiederum ein ähnliches Bild. Auch hier stieg man vor eineinhalb Jahren in die Businessschiene ein. Auch hier bucht mittlerweile jeder fünfte Kunde ausschließlich Geschäftsreisen. Und auch hier stehen den Gästen nicht nur die klassischen Hotels, sondern alle 30 Unterkunftskategorien offen – angefangen vom Bed & Breakfast bis zum Baumhaus.
„Booking hat sich nie auf den Wettbewerb fokussiert, sondern auf die Kunden“, betont Tans trotz aller Parallelen zu den Kaliforniern. Ihre 14.000 Mitarbeiter bekämen von ihr als CEO auch nie Parolen wie „Mobile first“oder „Artificial Intelligence first“zu hören. Einzig der Kunde stehe im Mittelpunkt. „Bei jeder Erfindung, die Reisen für den Kunden angenehmer macht, werden wir dabei sein“, sagt Tans. Das darf in San Francisco wohl als Kampfansage verstanden werden.