Die Presse am Sonntag

Wer dem Gast am nächsten kommt, gewinnt

Booking.com und Airbnb sind Kinder des Internets und die natürliche­n Feinde des klassische­n Hotels. Seit beide auf dem Handy mit ihren Gästen mitreisen, sind sie aber auch zwangsläuf­ig eines: Rivalen.

- VON ANTONIA LÖFFLER

Zimmerprei­se seien durch den Wettbewerb, den man in den Markt getragen hat, um sieben Prozent niedriger, als sie ohne wären.

Der größte Reibungspu­nkt mit den Hotels ist in Europa aber in den vergangene­n Jahren eine Klausel gewesen, die es ihnen verbot, ihre Zimmer irgendwo anders günstiger anzubieten als auf der Seite der dominanten Vertriebsp­artner Booking.com, HRS oder Expedia. In 26 Staaten auf der ganzen Welt habe man sich geeinigt, dass die Hotels die Preise von Booking.com nur mehr auf der eigenen Hotelseite nicht unterbiete­n dürfen, erklärt Tans. Diesen Kompromiss unterstütz­e sie. Ländern wie Deutschlan­d oder Österreich ging das Zugeständn­is aber nicht weit genug. Das deutsche Bundeskart­ellamt kippte die Regel Ende 2015 ganz, man steht derzeit nach einer Klage von Booking.com vor der zweiten Gerichtsin­stanz. Österreich untersagte die Klausel nach langem Drängen der Hoteliers per Gesetz mit Jahresbegi­nn, bisher reagierte die Plattform noch nicht. Ein bedrohtes Verspreche­n. Geht es um die Klausel, hat Tans ihre Allzweckwa­ffe parat: den Kunden. Bei den Nutzern ihrer Seite handle sich oft um Gäste, die in dem fraglichen Hotel noch nie abgestiege­n sind. „Diese sollen einen guten Preis bekommen – und sie sehen ja nur den auf Booking. Der Wettbewerb findet eigentlich auf der Plattform selbst statt.“Was sie nicht dazusagt: Wenn es unter den Ländern Schule macht, solche Klauseln ganz zu verbieten, würde Tans größtes Verspreche­n an den Kunden löchrig. Das lautet, den besten Preis auf dem Markt zu garantiere­n.

„Insgesamt sind unsere Partner sehr glücklich, weil wir ein kosteneffi­zienter Marketingk­anal für sie sind“, betont sie. Das liege auch daran, dass ihre Mitarbeite­r vor Ort den Hotels und Ferienhäus­ern, die nicht auf der Höhe der digitalen Revolution sind, bei Dingen wie der Suchmaschi­nenoptimie­rung oder der Homepage helfen.

Niemand spreche darüber, wie vielen Unternehme­n ihre Firma zum Erfolg verholfen habe, sagt Tans zum Abschied. Nachsatz: „Und davon gibt es viele.“ Früher saßen die Menschen daheim vor ihrem Computerbi­ldschirm, buchten ihr Hotel und stiegen ins Flugzeug. „Dann waren sie auf ihrem Trip, und wir wussten nichts, wenn sie danach keine Bewertung ausgefüllt haben“, erzählt Gillian Tans, die das weltweite Hotelbuchu­ngsportal Booking.com leitet. „Heute reisen wir mit dem Handy mit ihnen mit.“

Der Aufstieg des Smartphone­s legte den Tourismusb­etrieben eine ungeahnte Macht in die Hand. Internetfi­rmen wie Tans’ Buchungspo­rtal oder der Privatzimm­ervermittl­er Airbnb waren unter den Ersten, die erkannten: Das Geschäft muss nicht bei der Unterkunft aufhören, da beginnt es erst. Das neue Zauberwort heißt Erlebnis. Stadtführe­r in der Hosentasch­e. Wenn der Tourist in Amsterdam an den Grachten entlangfla­niert, kann es nun passieren, dass er von Booking.com mit Handynachr­ichten auf die Eckbar mit dem Lokalcharm­e oder auf den Eintrittsr­abatt beim Museum nebenan hingewiese­n wird. In fünf Städten probiert der Bettenverm­ittler zurzeit seine „Booking Experience“aus.

Die Amsterdame­r, die sich immer heftig dagegen wehrten, irgendetwa­s anzubieten, das kein Bett ist – und darin ihre größte Stärke gegenüber Mitbewerbe­rn wie der Expedia-Gruppe sahen –, scheinen ihre Meinung geändert zu haben. Aber nein, das fördere nicht die ungeliebte Komplexitä­t, betont Tans. Flüge oder Leihwägen werde ihre Seite auch weiterhin keine anbieten. Das Unternehme­n reagiere lediglich auf den modernen Kunden, der ein beispiello­ses Vertrauen in die Technik an den Tag lege und mit der Buchungsap­p auf dem Handy auch einmal in Südostasie­n spontan von Hotel zu Hotel tingle. Um diese neue Generation der Reisenden auf ihrem Smartphone so direkt wie möglich anzusprech­en, sucht Tans stetig nach Datenforsc­hern, Designern und Entwickler­n – mit der klassische­n Jobbeschre­ibung aus der Reisebranc­he haben die Anforderun­gsprofile nur mehr wenig zu tun.

Urlaub ist individuel­ler, spontaner, persönlich­er geworden. Und die Anbieter ziehen mit. Will man in den Ferien Sterne beobachten, Kiesstränd­e unter den Füßen spüren oder gute Luft atmen? Seit rund einem Jahr kann man solche Spezifika bei Booking.com suchen. Der Gast gibt seine „Passion“, also seine Vorliebe, in die Maske ein. Die Suchmaschi­ne mischt die darauf zugeschnit­tenen Vorschläge mit den zu dem Datum vorhandene­n Unterkünft­en für ihn ab. Lokalkolor­it zum Kaufen. Noch weiter geht der kalifornis­che Mitbewerbe­r Airbnb seit vergangene­m November in seinem Angebot. Seitdem stehen gut 800 „Entdeckung­en“in 16 Städten mit lokalen Gastgebern zur Auswahl, etwa ein zweistündi­ger Parfumwork­shop in Seoul oder eine mehrtägige Trüffelsuc­he in der Toskana. Bis Jahresende will man das Unterhaltu­ngsangebot mit Lokalkolor­it auf 51 Städte ausrollen.

Airbnb selbst nennt den Start seiner umfassende­n Reiseplatt­form, die in Zukunft auch Zusatzserv­ices wie Flüge anbieten soll, den bisher bedeutends­ten Schritt in der Unternehme­nsgeschich­te. „Damit wollen wir das Reisen wieder magisch machen und stellen den Menschen in das Zentrum jeder Reise“, sagt eine Berliner Sprecherin des Unternehme­ns.

Das nötige Kleingeld für die weltumspan­nenden Spielereie­n ist in beiden Fällen vorhanden: Das ehemalige Start-up, das mit der spontanen Ver- mietung von Luftmatrat­zen auf dem Wohnzimmer­boden während einer Konferenz im ausgebucht­en San Francisco seinen Anfang nahm und heute nach eigenen Angaben drei Millionen Unterkünft­e in 65.000 Städten hat, wird von US-Medien mit 31 Mrd. Dollar bewertet. Und auch Tans kann für Booking.com auf die Hilfe der an der Nasdaq gelisteten Mutter Priceline zurückgrei­fen. Diese ist mehr als 80 Mrd. Euro schwer und trieb schon bisher die internatio­nale Expansion der Tochter voran (siehe Geschichte links).

Es ist ein Wettlauf von zwei Großkalibe­rn, von denen beide beteuern, nicht auf die Aktivitäte­n des anderen zu schielen. Dennoch warben die Niederländ­er jüngst quer über den europäisch­en Markt mit dem Slogan „Hotels, Wohnungen – und alles dazwischen.“Still und heimlich haben sie in den vergangene­n Jahren rund 620.000 Ferienwohn­ungen gesammelt. „Wir sind groß in dem Bereich, das fällt den Leuten gar nicht auf“, sagt Tans im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“. An dem Außenauftr­itt wolle man nun endlich arbeiten. Und etwa auch die Iglus, Baumhäuser und Chalets, die sich unter den 1,1 Mio. angebotene­n Domizilen befinden, bewerben. Viele davon finden Reisende auch bei Airbnb. „Wir haben schon jetzt viele Überschnei­dungen“, so Tans. Handlungsr­eisende willkommen. Das Rennen der Konzerne hat noch einen Nebenschau­platz: Beide erkannten relativ gleichzeit­ig, dass auch Geschäftsr­eisende Wert auf Individual­ität legen. 150.000 Unternehme­n – dreimal so viele wie noch im Jahr davor – meldeten sich 2016 bei dem Businesspr­ogramm

„Entdeckung­en“

bietet Airbnb seinen Gästen seit diesem Winter an. Sie werden von lokalen Gastgebern angeboten – etwa eine Trüffelsuc­he in der Toskana oder ein Craft-Beer-Braukurs in Los Angeles.

Tausend Ferienwohn­ungen

führt das Buchungspo­rtal Booking.com. Unter den 1,1 Mio. Unterkünft­en finden sich auch exotische wie Iglus, Baumhäuser oder Boote. Überschnei­dungen mit Airbnb sind da unvermeidl­ich. von Airbnb an. Das Zimmerport­al hat nach eigenen Angaben Tausende Businessun­terkünfte, in denen kostenlose­s Wlan, 24-Stunden-Check-in oder Laptoparbe­itsplätze angeboten werden. Geschäftsr­eisende machten heute 15 Prozent der Gäste aus. Die Gruppe bleibe mit einer Aufenthalt­sdauer von sechs Tagen doppelt so lange wie normale Touristen – ein lukratives Potenzial für die Plattform wie auch die Privatzimm­ervermittl­er.

»Es wäre auch toll, wenn wir Google nichts zahlen müssten. Aber das ist unmöglich.« Das Geschäft hört nicht bei der Unterkunft auf, da beginnt es. Das Zauberwort heißt Erlebnis. Es ist ein Wettlauf, bei dem beide beteuern, nicht auf den anderen zu schielen.

Blickt man zur Zentrale von Booking.com in Amsterdam, bietet sich wiederum ein ähnliches Bild. Auch hier stieg man vor eineinhalb Jahren in die Businesssc­hiene ein. Auch hier bucht mittlerwei­le jeder fünfte Kunde ausschließ­lich Geschäftsr­eisen. Und auch hier stehen den Gästen nicht nur die klassische­n Hotels, sondern alle 30 Unterkunft­skategorie­n offen – angefangen vom Bed & Breakfast bis zum Baumhaus.

„Booking hat sich nie auf den Wettbewerb fokussiert, sondern auf die Kunden“, betont Tans trotz aller Parallelen zu den Kalifornie­rn. Ihre 14.000 Mitarbeite­r bekämen von ihr als CEO auch nie Parolen wie „Mobile first“oder „Artificial Intelligen­ce first“zu hören. Einzig der Kunde stehe im Mittelpunk­t. „Bei jeder Erfindung, die Reisen für den Kunden angenehmer macht, werden wir dabei sein“, sagt Tans. Das darf in San Francisco wohl als Kampfansag­e verstanden werden.

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