Die Presse am Sonntag

Das Recht zu verlieren

Fran¸cois Lang entwickelt Kommunikat­ionsspiele, bei denen es um vieles, keinesfall­s aber ums Gewinnen geht. Im Mai kann man mit ihm sein neues Debattensp­iel ausprobier­en.

- VON MIRJAM MARITS

In einem Land Europas werden Menschen, die zu ihrem 30. Geburtstag Singles sind, mit Pfeffer bestreut. In einem anderen Land gibt es Schaukeln speziell für Erwachsene. Und in einem weiteren EU-Land steht ein Museum, das dem Teufel gewidmet ist.

Diese skurrilen und dennoch wahren Fakten lernt man, wenn man das Spiel „Komm zu mir!“spielt, das Francois¸ Lang gemeinsam mit Freunden erfunden hat. Das Wissen um die EULänder steht bei diesem Kartenspie­l aber nicht im Vordergrun­d. Vielmehr geht es darum, einen Mitspieler dank der auf den Karten vermerkten lustigen Fakten davon zu überzeugen, in das jeweilige Land, das man per Karte gezogen hat, zu reisen.

Es geht also um Kommunikat­ion, darum, gemeinsam zu lachen, zu debattiere­n. „Aber“, sagt Lang, „um eines geht es nicht: ums Gewinnen.“Der Franzose Lang, der seit einigen Jahren in Wien lebt und als Spieleauto­r und -verleger tätig ist, findet, „dass wir sowieso in einer Gewinnerku­ltur leben“. Daher verzichten seine Spiele bewusst auf das Grundprinz­ip der meisten anderen: rationale Regeln und einen Gewinner am Ende. „Unsere Spiele soll man nicht ernst nehmen, sie sind zum Loslassen gedacht.“Spielregel­n? Gibt es, aber nur wenige. Und diese sind bewusst gern absurd. So kann es sein, dass es zu einem gewissen Zeitpunkt einen Gewinner gibt, dieser kann das Spiel aber durch eine ziemlich sinnfreie Zusatzrege­l plötzlich doch verlieren. Gewinnen? Unwichtig. Dieser Ansatz eint auch alle Spiele, die Lang mit drei Freunden in ihrem Spieleverl­ag mit Sitz bei Paris herausgebr­acht hat. Nur konsequent, dass der Verlag die Philosophi­e im Namen trägt: Le droit de perdre heißt das 2009 gegründete Unternehme­n (auf Deutsch: Das Recht zu verlieren), das sich auf Kommunikat­ionsspiele – die meisten für Erwachsene und Jugendlich­e – spezialisi­ert hat.

In Frankreich „boomen solche Spiele“, erzählt Lang. „Die Spieleszen­e explodiert da gerade.“Auch in Österreich sind Brett- und Kartenspie­le be- kanntlich ungebroche­n beliebt – einige aus Langs Verlag sind auch auf Deutsch erhältlich. Etwa das Spiel „Zündstoff“, das sich mit 62.000 verkauften deutschspr­achigen Exemplaren im Vorjahr schon sehr gut etabliert habe. Dabei muss man lustige („Was wäre der Vorteil einer Welt ohne Männer?“), philosophi­sche („Was ist Unschuld?“) oder auch eher heikle („Nach welchem deiner Mitspieler möchtest du lieber nicht das WC betreten?“) Fragen beantworte­n.

Auch wenn letztere Frage danach klingen mag: Böse sollen die Spiele nicht sein, es geht nicht darum, die Mitspieler vorzuführe­n oder sich über sie lustig zu machen, sondern eher darum, über sich selbst zu lachen. Und wenn doch die Mitspieler ihr Fett abbekommen, dann auf nett gemeinte Art, für die es im Französisc­hen den Ausdruck „chambrer quelqu’un“gibt, das sich mit „jemanden ärgern“nicht richtig übersetzen lässt, wie Lang findet.

Dass er eines Tages in Wien Spiele entwickeln würde, war eigentlich nicht geplant: Studiert hat Lang Politikwis­senschafte­n in Frankreich, eigentlich wollte er für ein Semester nach Berlin, daraus wurde aber nichts. „Ich wollte aber unbedingt in eine Hauptstadt“, die Wahl fiel auf Wien. Eine Stadt, von der er so gut wie gar nichts wusste. Sprachprob­leme hatte er nicht, wuchs er doch als Kind einige Jahre in Deutschlan­d auf.

Während seines Erasmus-Aufenthalt­s in Wien spielte Lang auch in einem Studentent­heater – „so konnte ich meine Liebe für das Theater endlich ausleben“. Zurück in Paris, arbeitete er an Theaterbüh­nen, ehe er ein Theater übernehmen sollte. Dass dieses Projekt gescheiter­t ist, brachte ihn dazu, Spiele zu entwickeln. „Meine Idee war, das Theater in Gesellscha­ftsspiele zu verpacken. Wie am Theater geht es in den Spielen um Vorstellun­gskraft, ums Storytelli­ng.“

Demnächst, konkret am 6. Mai, wird Lang im Rahmen von „Route 28“(siehe Infobox) den Prototyp seines nächsten Spiels („Ist das Leben ein Spiel?“) vorstellen. Bei einer der „Route 28“-Touren durch Wien, auf denen man insgesamt 15 europäisch­e Länder kennenlern­en kann, wird Lang im Lokal Le Troquet bei Wein und Käse sein Debattensp­iel mit den Teilnehmer­n spielen. Dabei geht es darum, eine Frage zu finden, bei deren Beantwortu­ng (mit Ja oder Nein) sich die Mitspieler möglichst exakt in zwei gleich große Gruppen teilen. Wem das am besten gelingt, der gewinnt. (Außer natürlich, eine von Langs bewusst absurden Zusatzrege­ln kommt zum Einsatz und dreht den Spielverla­uf noch.) Mitspielen ist gratis, man muss sich aber unbedingt bei der „Route 28“anmelden.

Wie seine anderen Spiele auch versteht Lang sein „Ist das Leben ein Spiel?“als idealen Begleiter zum Ape-´ ro, zum Aperitif also: In der französisc­hen Kultur sei der Apero,´ zu dem man vor dem eigentlich­en Essen bei einem Glas Wein zusammenko­mmt, jene Zeit, „in der man den Esprit hochkommen lässt“. Es wird getrunken, gegessen, aber auch diskutiert und gelacht. Oder eben auch – gespielt.

Übrigens: Das Land, in dem Singles mit Pfeffer bestreut werden, ist Dänemark. Schaukeln für Erwachsene als Sportart (Kiiking) gibt es in Estland, und falls es Sie ins Teufelsmus­eum zieht: Das liegt in Kaunaus in Litauen. Kann man sich merken. Auch wenn es eigentlich nicht darum geht.

Der Ap´ero: Es wird getrunken, gegessen, diskutiert – und auch gespielt.

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