Die Presse am Sonntag

Amazonien, altes Agrarland

Lang galten die endlosen Regenwälde­r als Natur. Aber weithin sind sie von Kultur geformt, die Barbarei der Abholzunge­n bringt es ans Licht.

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Wie Igel hätten die Schiffe ausgesehen, so gespickt seien sie mit Pfeilen gewesen. Das überliefer­te Friar de Carvajal, Seelsorger im Gefolge des Konquistad­oren Francisco de Orellana. Der war im Februar 1541 vom Oberlauf des namenlosen Flusses losgesegel­t, bald gingen die Vorräte aus, die Spanier plünderten und stecken Dörfer in Brand. Aber die Gegenwehr wurde immer stärker, und die Indianer wurde immer mehr, bald waren die Ufer gesäumt. Am 24. Juni 1542 dann, nach fast 6000 Kilometern Fahrt und schon weit am Unterlauf, kam die Wolke der Pfeile – einer kostete de Carvajal ein Auge –, sie kam von Indigenen, die einem Stamm von Frauen tributpfli­chtig waren. Die kämpften an vorderster Front, „tapfer und als Führer der anderen“.

Die Spanier töteten „sieben oder acht Amazonen, worauf die Indianer ihren Mut verloren“, dann machten sie sich selbst eilig davon, am 6. August erreichten sie die Mündung. Da hatte der Fluss seinen Namen, de Orellana hatte sich von den Kriegerinn­en inspiriere­n lassen. Der Name blieb, der Rest geriet in Vergessenh­eit, bald, in Spanien glaubte keiner die Geschichte von den Amazonen und auch nicht die von den Heerschare­n. Denn andere Raubzüge fanden schon kurz darauf fast niemanden: Amazonien war menschenle­er, Urwald seit eh und je.

Diese Sicht hielt sich lang, sie wurde dadurch unterstütz­t, dass es in den endlosen Wäldern auch kaum größere Tiere gibt – außer im Wasser –, und der Grund war spätestens 1971 klar, da publiziert­e US-Archäologi­n Betty Meggers ein höchst einflussre­iches Buch, „Amazonia: Man and Culture in a Counterfei­t Paradise“: Der riesige Regenwald sieht nur so üppig aus, in Wahrheit ist er eine „grüne Wüste“oder auch eine „nasse Wüste“, deren karge Böden kaum Nährstoffe haben, außer denen, die von weit her kommen, mit dem Wind aus Afrika.

Die gehen sofort in die Vegetation, und neue kann sich nur bilden, wenn alte verrottet: Herauszieh­en kann man nichts, schon gar nicht für große Population­en. Das Buch hatte seinen Hintergrun­d darin, dass Amazonien von der Agrarindus­trie entdeckt worden war und das großflächi­ge Waldvernic­hten begonnen hatte, Meggers wollte es abwenden. Das gelang ihr nicht. Aber die Forschung wurde lang durch sie gelähmt: Als Archäologe­n, unter ihnen der Student Alceu Ranzi, 1977 in Acre am Oberlauf des Amazonas Geoglyphen entdeckte – menschgema­chte Muster in der Erdoberflä­che, Kreise, Rechtecke etc. –, wurde der Fund elf Jahre nicht publiziert, und erst nach 20 Jahren sah Ranzi, inzwischen Paläontolo­ge an der Universitä­t von Acre, noch einmal genauer hin: Die Fläche zog sich über tausend Kilometer.

Und die Geoglyphen waren eingebette­t in viel ältere und größere Modifikati­onen der Erdoberflä­che, die auf intensive Bewirtscha­ftung deuteten: Da waren Dämme gezogen worden und Inseln aufgeschüt­tet, so trotzen die Bewohner dem lebensfein­dlichen Klima, das das Land das halbe Jahr unter Waser setzt und die restliche Zeit ausdörrt. Mit den Dämmen hielt man das Wasser zurück und die zahllosen Fische darin, in zickzackfö­rmigen Abflüssen wurden sie geerntet. Ergänzt wurde die Aquakultur durch ausgefeilt­e Hortikultu­r auf den künstliche­n Inseln. Terra preta. Bald fanden sich auch anderswo am Fluss Zeichen längst verfallene­r und vergessene­r Siedlungen und Zeichen längst vergessene­n, aber noch fruchtbare­n Wissens: Die dortigen Böden sind keineswegs karg, im Gegenteil, sie tragen so üppig, dass sie als Blumenerde verkauft werden. Und das, obwohl sie vor über 500 Jahren von Menschen gemacht (und seitdem nicht gepflegt) wurden: Die veredelten die magere gelbe Erde zu fetter schwarzer – „Terra preta do Indio“–, sie mischten Knochen und Gräten hinein und Holkohle und Kot, die exakte Rezeptur ist trotz vieler Mühen noch nicht rekonstrui­ert. Abschätzen konnte man immerhin, wie viele diese Erde nähren konnte: Die größte Terra-preta-Fläche hätte für 200.000 Menschen gereicht – heute halten sich in der Region gerade 500 –, das wären fast so viele gewesen wie in der damals größten Metropole der Erde, der Azteken-Hauptstadt Tenochtitl­an (Science 297, S. 920). Solche Funde befeuerten die Amazon Archaeolog­y Wars, sie wurden darüber geführt, ob Amazonien Urwald war oder Kulturland, sie wurden hart geführt, und entschiede­n wurden sie mit böser Ironie durch die fortschrei­tende Zerstörung des Regenwalds: Wo immer Rodungstru­pps anrückten, kamen frühere Zivilisati­onen ans Licht, auch an der Mündung fanden sich Geoglyphen und ganz im Nordosten gar Monolithen, die so aufgestell­t waren, dass sie als „Stonehenge des Amazonas“Schlagzeil­en machten.

Lang herrschte das Bild von der »grünen Wüste«, die nicht viele Menschen nähren kann. Die magere Erde wurde vor 8000 Jahren veredelt und als Feld und Garten genutzt.

Das ist natürlich Spekulatio­n. Und spannender waren ohnehin vorderhand unspektaku­läre Funde, etwa die von Pollen im Boden. Die zeigen, wieder in Acre, dass die Geoglyphen mitten in einem Wald errichtet wurden, er bestand aus Bambus und wurde vor 6000 Jahren für die Erdarbeite­n partiell gerodet. Dann war bald wieder Wald da. Aber keiner aus Bambus und keiner von der Natur. Stattdesse­n wurden Bäume gesetzt, deren Früchte sich nutzen lassen, Palmen etwa, die dominieren heute noch, Ranzi hat es gerade gezeigt (Pnas 21. 2.). Und es ist nicht nur in seiner Region so: Carolina Levis (Wageningen) hat in ganz Amazonien Tausende Waldfläche­n und archäologi­sche Stätten abgegliche­n: Vor allem in deren Nähe überwiegen Bäume wie Kakao und Paranuss, die wurden in der Region domestizie­rt, vor 8000 Jahren: „Lange Jahre hat man den Einfluss der präkolumbi­anischen Völker auf die Wälder, die wir heute sehen, ignoriert“schließt Levis (Science 325, S. 925).

7500 Jahre Hochkultur brachen vor 500 Jahren in nichts zusammen, wie das? In Amazonien lässt es sich kaum rekonstrui­eren, aber auch dort brachten die Konquistad­oren wohl nicht nur Waffen mit, die in der Neuen Welt unbekannt waren: Als Cortes´ 1519 Mexiko überfiel, lebten dort 25 Millionen Azteken. Hundert Jahre später war es eine Million. Paläogenet­iker Johannes Krause (Jena) hat den Grund in Zähnen aus der Zeit des großen Sterbens gefunden: (bioRxiv 21. 2.): Dahingeraf­ft wurden die Azteken von Typhus: hoch aggressive­n Salmonelle­n aus Europa.

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