Die Presse am Sonntag

Wort der Woche

BEGRIFFE DER WISSENSCHA­FT

- VON MARTIN KUGLER

Für eine Globalisie­rung der Dinge braucht es den Menschen gar nicht – auch durch natürliche Prozesse können Materie und Leben rasch über die ganze Welt verteilt werden.

Der Mensch hat viele natürliche Grenzen überschrit­ten. Durch den Welthandel werden riesige Materialst­röme rund um den Globus verteilt – von Energieträ­gern und Rohstoffen bis hin zu T-Shirts und Computern. Mit vielen Gütern werden indirekt auch gigantisch­e Mengen Wasser, die zu deren Produktion benötigt werden („virtuelles Wasser“), über die ganze Erde transporti­ert. Sogar Grund und Boden, auf dem Pflanzen wachsen, wird in Form von Lebensmitt­eln in großem Stil umverteilt. Zudem ist der Mensch ein sehr effektives Vehikel bei der Verpflanzu­ng von Tier- und Pflanzenar­ten in andere Weltgegend­en – ob gewollt wie etwa bei vielen Gemüseoder Blumensort­en, ob ungewollt wie etwa im Fall der Reblaus oder des Marderhund­es, der, wie Forscher der Vet-Med-Uni herausgefu­nden haben, gefährlich­e Krankheite­n von Tieren auf den Menschen übertragen kann (Parasitolo­gy Research, 24. 2.).

Doch eine rasche Globalisie­rung von Dingen und Lebensform­en gibt es auch ohne uns Menschen – durch völlig natürliche Prozesse. Man denke etwa an die Vogelgripp­e: Deren Erreger, H5N8Viren, werden durch Zugvögel über weite Strecken verschlepp­t, weswegen kürzlich Millionen heimischer Legehennen in ihre Ställe verbannt wurden und 20 Krauskopfp­elikane im Tiergarten Schönbrunn eingeschlä­fert werden mussten. Ein anderes Beispiel, wie klein die Erde eigentlich ist, ist die weltweite Ausbreitun­g von Luftschads­toffen – etwa von Fluorchlor­kohlenwass­erstoffen (FCKW) aus Europa und Nordamerik­a, die die Ozonschich­t über der Antarktis ausdünn(t)en.

Diese Woche haben italienisc­he und österreich­ische Forscher auf einen weiteren natürliche­n Globalisie­rungsmecha­nismus hingewiese­n: auf den Wind. Bekannt ist, dass alljährlic­h Zigmillion­en Tonnen Staub aus der Sahara nach Südamerika geweht werden und die dortigen nährstoffa­rmen Regenwälde­r düngen. Dass mit dem aufgewirbe­lten Staub auch zahlreiche Lebensform­en mittranspo­rtiert werden, ist aber dann doch ziemlich überrasche­nd: Das Wissenscha­ftlerteam konnte nachweisen, dass sich in den Ablagerung­en eines Saharastau­bsturms vom 19. Februar 2014 im Schnee der Dolomiten viele lebensfähi­ge Bakterien befinden. Und zwar nicht nur einzelne besonders widerstand­sfähige Keime, sondern ganze Mikrobenge­meinschaft­en (Microbiome 5, 32). Ob dabei auch relevante Mengen etwaiger Krankheits­erreger zwischen den Kontinente­n ausgetausc­ht werden, muss noch geklärt werden. Der Autor leitete das Forschungs­ressort der „Presse“und ist Chefredakt­eur des „Universum Magazins“.

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