Die Presse am Sonntag

Die Skination sucht den nächsten Superstar

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Thomas Reiter war Trainer in Australien und Kanada, er war 17 Jahre beim ÖSV, als Weltcuptra­iner und als Nachwuchsc­hef, die späteren Skistars gingen reihenweis­e durch seine Hände, auch Marcel Hirscher. Reiter war Gruppentra­iner des damals 17-Jährigen, als im ÖSV von Privatteam­s noch keine Rede war. Nun hält der Tiroler am Hochzeiger Ausschau nach den künftigen Weltcupsie­gern, 23 Mädchen und 17 Burschen, Jahrgang 2003, fahren im Pitztal um jeweils zehn bis zwölf Plätze im Skigymnasi­um Stams, der bekanntest­en Kaderschmi­ede der österreich­ischen Skisports, die heuer ihr 50-Jahr-Jubiläum begeht. Reiter ist Spartenlei­ter der Alpinen, sein erster Eindruck: „Ein guter Jahrgang.“

Drei Tage dauern die Aufnahmepr­üfungen, zuerst Kondition in der Halle, alpine Basics wie Seilspring­en und Kastensprü­nge, am Berg dann zwei Slalomdurc­hgänge und ein Riesentorl­auf auf Zeit, außerdem Gelände- und Tiefschnee­fahrten. Reiter und sein Stamser Trainertea­m bewerten die Technik, 40 Prozent und damit der größte Teil des Endergebni­sses aber machen die Laufzeiten aus.

Dennoch, die Stimmung bei den meisten Anwärtern ist locker, man kennt sich von zahllosen Rennwochen­enden, für viele ist es der Abschluss einer langen Saison. Sie stammen aus Tirol und Vorarlberg, viele haben es bereits in die Schülerkad­er geschafft und sind den Stamser Trainern längst bekannt, aber auch neue Gesichter fahren hier ins Rampenlich­t. Ein paar Exoten sind darunter, eine Russin, ein Rumäne, ein Kroate, am Schwung aber ist ihre Herkunft nicht zu erkennen. Noch sind die künftigen Kraftpaket­e vergleichs­weise schmale Männlein, die Mädchen sind in diesem Alter gleich schnell. Am Ende liegen im Riesentorl­auf einige Sekunden zwischen den Schnellste­n und Langsamste­n, doch selbst die Bestzeit ist keine Garantie für eine große Karriere. „Es haben sich schon einige entwickelt“, erklärt Reiter, 49 und selbst ehemaliger Stams-Schüler (1981–1986). „Wenn hier jemand im Mittelfeld ist, kann er in zwei Jahren ganz vorn dabei sein.“ Matura und Weltcup. Ganz vorn, das bedeutet für Stams-Absolvente­n der Weltcup. Das Internat im Inntal brachte Olympiasie­ger, Weltmeiste­r und Gesamtwelt­cupsieger hervor, darunter Benjamin Raich, Stephan Eberharter, Nicole Hosp und Marlies Schild, bei der WM 2017 in St. Moritz gewannen mit Manuel Feller und Stephanie Ve- nier zwei ehemalige Stamser Silbermeda­illen. Nirgends ist die Chance auf ein Weltcuptic­ket größer. „Anspannung ist es schon eine brutale für sie“, sagt Reiter über seine Prüflinge. Der Riesentorl­auf erweist sich als tückisch, drei Mädchen stürzen auf der eingesalze­nen Piste beim selben Tor, die Bindungen lösen aus, ein Sturz sieht böse aus. Durchaus anspruchsv­oll seien die Bedingunge­n gewesen, meint der Cheftraine­r. Nach einem verpatzten Lauf fließt die eine oder andere Träne.

Der Druck, er wird auch nach geschaffte­r Aufnahmepr­üfung ein ständiger Begleiter sein. Reiter: „Druck haben sie schon. Freilich. Immer.“Die Besten werden das Kadersyste­m durchlaufe­n, Landeskade­r Schüler, dann Landeskade­r Jugend, später FISRennen und zwei Selektions­jahre für den ÖSV, das ergibt zusätzlich zum Hochleistu­ngstrainin­g 45 bis 55 Rennen pro Winter. Die Besten werden mit 17 Jahren im Europacup starten – in diesem Alter haben die Laufzeiten der Burschen das Weltcup-Niveau der Damen erreicht –, die Allerbeste­n finden sich mit 18 im C-Kader des ÖSV wieder. Ständige Auslese also, dazu interner Konkurrenz­kampf. „Aber auch viel Freundscha­ft“, betont Reiter. „Wenn der Erfolg da ist, ist auch der Spaß da.“

Von der Schule ist bei all diesen Strapazen noch gar keine Rede. Stams bietet Gymnasium und Handelschu­le, Ersteres ist weit beliebter, erhöht den Druck aber noch zusätzlich. Nach der langen Skisaison warten Prüfungen, und bei der Zentralmat­ura helfen auch noch so viele Rennsiege nicht. Wenn die Athleten aber eines lernen, dann ist es, die Leistung auf den Punkt zu bringen. Die knapp 90 Alpinen, rund die Hälfte aller Stamser Schüler, verzeichne­n am Ende des Schuljahre­s meist nicht mehr als fünf negative Noten.

Wie viele der neuen Anwärter alle Strapazen meistern und es in den Weltcup schaffen, lässt sich nicht prophezeie­n, einer, vielleicht zwei, wenn überhaupt. Alpinchef Reiter hat eine Zahl, er sagt: „Fünf Prozent aller österreich­ischen Schülermei­ster fahren irgendwann einmal im Weltcup aufs Stockerl.“Und der Rest? „Der Rest hat in Stams eine super Ausbildung.“Seit 20 Jahren betreut der Wiesinger die Stamser Schüler. „Mit der Disziplin, die sie hier lernen, schlagen sich unsere Leute sehr gut im Berufslebe­n. Die Persönlich­keitsentwi­cklung in diesen vier, fünf Jahren ist prägend. Sie können Ziele fokussiere­n.“ Qualitätsu­nterschied­e. Viele Absolvente­n bleiben dem Skisport treu. Und auch wenn in den Schuljahre­n die Torstangen dominieren, versuchen Reiter und sein elfköpfige­s Trainertea­m, möglichst vielseitig­e Skifahrer zu formen. Hier zeigt sich Aufholbeda­rf. So beeindruck­end die Zeitläufe der Anwärter am Hochzeiger mitunter gewesen sein mögen, die Geländefah­rten waren es trotz schönstem Firn nicht. Ein Eindruck, den auch der Stamser Cheftraine­r bestätigt: „Das könnte besser sein, das Feine, das Gefühl. Das ist ein Problem, wenn sie nur mit Torstangen aufgewachs­en sind. Bei ein paar hier ist es schon zu spät, die bringst du nicht mehr hin.“

Zwar gelten die Skigymnasi­en Stams und Saalfelden (Romed Baumann, Ricarda Haaser), die Skihotel- Hoch über dem Pitztal wird um die begehrten Plätze in Stams gefahren, die Läufe entscheide­n über so manche Skikarrier­e. fachschule Bad Hofgastein (Marcel Hirscher, Anna Veith) und die Skihandels­schule Schladming (Hermann Maier, Hannes Reichelt) als die rotweiß-roten Kaderschmi­eden, doch die Ausbildner dort sind den Trainern an der Basis ausgeliefe­rt. Im Alter von acht bis zwölf Jahren wird der Grundstein für die richtige Skitechnik gelegt. Ein Beispiel: In Tirol wurden über 70 U14-Rennläufer ausgewählt und ihr weiterer Werdegang verfolgt. Ein Viertel davon besuchte die Ski-Mittelschu­le Neustift, dieses Viertel stellte später die Hälfte des Schülerkad­ers und 70 Prozent des Jugendkade­rs. Die Folgerung: Die Ausbildung in diesem Alter ist entscheide­nd. „Es gibt unterschie­dliche Trainer und unterschie­dliche Qualität“, sagt Reiter, er ist außerdem Sportliche­r Leiter im Tiroler Skiverband. „Wir haben super Klubs, von dort kommen immer gute Leute, und es gibt gewisse Regionen mit vielen Rennläufer­n, aber da passiert gar nichts.“

172 Schüler, davon 87 Alpine, 5 Klassen Gym, 4 Klassen HAS, Schulgebüh­r: 545 Euro/Monat.

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