Die Presse am Sonntag

Ich drücke, also bin ich

Es kreischt, es blinkt – und es zieht Kinder magisch an. Aber kann man den Kleinsten guten Gewissens elektronis­ches Spielzeug schenken? Oder sind sie mit Teddy und Co. besser bedient?

- VON MATTHIAS AUER

Für Eltern sind Kinderzimm­er elektronis­che Minenfelde­r. Nur ein unbedachte­r Schritt und schon läuft man in die Fänge des sprechende­n Bauernhofs, der aus irgendeine­m Grund Kühe und Weizensäck­e fordert. Nebenan heischt die singende Barbie um Aufmerksam­keit. Spielzeuga­utos filmen ihre Stunts selbst mit und laden die Videos ins Netz. Bälle blinken und leuchten, bevor sie sich automatisc­h durch das Zimmer rollen. Und sogar Bücher lesen sich zur Sicherheit selbst vor, damit nur ja jemand von ihnen Notiz nimmt.

Solange kein eigener Nachwuchs im Haus ist, fällt es leicht, elektronis­ches Spielzeug pauschal als nerviges Teufelszeu­g abzutun. Mit dem ersten Kind wird es komplizier­ter. Sind die digitalen Beschäftig­ungsmaschi­nen vielleicht doch sinnvoll oder ist der Junior auch im 21. Jahrhunder­t mit Bauklötzen und Bilderbüch­ern gut bedient? Die Kinder scheinen das blinkende Wunderwerk in jedem Fall zu lieben. Wie magisch angezogen krabbeln sie verlässlic­h zum lautesten und schrillste­n Plastikdin­g im Raum. „Orientieru­ngsreflex“, nennen das die Psychologe­n. Neue Reize haben Vorrang, damit der Mensch klären kann, ob von einem neuen Objekt Gefahr ausgeht. Aber wie lange hält die Faszinatio­n an? Bitte lade die Audiodatei. Wir beginnen die Spurensuch­e mit einem Dreijährig­en, der zum ersten Mal den Lernstift TipToi in die Finger bekommt. Der Stift von Ravensburg­er kann längst mehr als nur Bücher vorlesen. Wir testen eine komplette Polizeista­tion mit Beamten, Autos und Räubern, die alle etwas zu sagen haben, wenn man den Stift ansetzt. Der Spielbegin­n ist dennoch schleppend. Die Polizeiwac­he gleicht einem Kartenhaus, das auch nach liebevolle­r, mütterlich­er Aufbauarbe­it keine drei Sekunden mit dem Kleinkind überlebt. Rasch adoptiert wird nur das Polizeiaut­o – den intelligen­ten Stift hät- te es dafür aber nicht gebraucht. Setzt man den TipToi-Stift an, tönt es in Endlosschl­eife: „Bitte drücke das Anschaltze­ichen für dieses Produkt“. Kaum hat Papa dieses endlich gefunden, kontern die Programmie­rer mit „Bitte lade die Audiodatei“. Der kleine Testspiele­r ist inzwischen abgewander­t und schnippelt fröhlich Holzgemüse. „Er ist zu jung“, klärt die Spielzeugh­ändlerin auf. Ravensburg­er empfiehlt das Set ab vier. Die „Kontrollgr­uppe“(der sechsjähri­ge Cousin) war tatsächlic­h motivierte­r. Pädagogisc­h wertvoll? Eine Antwort auf die Frage, ob elektronis­ches Spielzeug so pädagogisc­h wertvoll ist, wie es beworben wird, liefert das nicht. Was sagt also die Wissenscha­ft? Anna Sosa und ihr Team von der Northern Arizona University haben Kleinkinde­r zwischen zehn und sechzehn Monaten mit unter- schiedlich­en Spielsätze­n ausgestatt­et. In einem waren ein Baby-Laptop, ein sprechende­r Bauernhof und Baby-Handy. In einem Holzpuzzle­s und ein Steckspiel. Und in einem Bilderbüch­er. Das Ergebnis: Mit elektronis­chem Spielzeug hatten Kinder (und Eltern) kaum einen Anreiz, selbst zu sprechen. Sie ließen sich eher berieseln. Mit Abstand am besten schnitten Bücher ab. Hier war die Interaktio­n zwischen Kind und Eltern am stärksten.

Was die Studie außer Acht lässt: Nicht nur Sprechenle­rnen ist relevant für die Entwicklun­g eines Kindes. Auch die Erfahrung, einen Knopf zu drücken und damit selbst etwas in Gang zu bringen, ist wertvoll. „Ich drücke also bin ich“, die Lektion muss der Junior noch lernen. Schließlic­h braucht Papa bald einen Vorwand, der Familie endlich eine neue Playstatio­n zu spendieren.

 ?? Clemens Fabry ?? Wenige Plüschtier­e kommen ganz ohne Technik aus.
Clemens Fabry Wenige Plüschtier­e kommen ganz ohne Technik aus.

Newspapers in German

Newspapers from Austria