Lass mich in deine Küche!
Auf der noch recht jungen Plattform Mealsharing.com finden sich Menschen aus aller Welt zum Essen zusammen. Immer öfter auch in der eigenen Nachbarschaft.
Es begann auf einem Bauernhof in Kambodscha, am Esstisch von Herrn Pon. Da saß vor drei Jahren der Rucksacktourist Jay Savsani beim Abendessen und genoss die authentische Küche. Dorthin gekommen war der 32-Jährige, weil er im Hotel nicht nach einer Restaurantempfehlung, sondern einer Möglichkeit gefragt hatte, bei jemandem privat essen zu dürfen. „Zuerst haben sie sicher gedacht, ich sei verrückt“, erinnert er sich, „aber dann haben sich 15 oder 20 Leute gefunden, die bereit waren, mich zu bewirten.“
Darunter auch Herr Pon. Das Abendessen ging Savsani nach seiner Rückkehr nicht mehr aus dem Kopf und inspirierte ihn zur Gründung von Mealsharing.com – einer Plattform, auf der sich private Gastgeber und Gäste zum Essen zusammenfinden. „Wir haben inzwischen Hosts in 120 Ländern“, berichtet der Amerikaner, der als Sohn indischer Einwanderer, selbst mit einer Spanierin verheiratet, in den Genuss diverser kulinarischer Konzepte gekommen ist. An seiner Plattform nehmen immer mehr Menschen teil – und das aus den unterschiedlichsten Motiven, die neben der Freude am kulturellen Austausch auch ganz pragmatisch sein können. So gibt Manfred aus Linz zu, dass ihm gerade die Gäste für ein großes Dinner abgesagt haben und er auf diesem Weg versucht, vielleicht doch noch Abnehmer für die schon eingekauften Zutaten zu finden. Für die Schweizerin Mara, die vor der Geburt ihres Kindes eine begeisterte Globetrotterin war, ist es ein guter Weg, weiterhin mit interessanten Menschen aus aller Welt in Kontakt zu kommen. Und Paulo aus Sao˜ Paulo erklärt, dass die Essen für ihn ein willkommener Kontrapunkt zu seinem beruflichen Leben sind: „Ich bin Astrophysiker und starre den ganzen Tag in Monitore“, sagt er lachend, „da freu ich mich, wenn ich am Abend ein paar interessante Gesichter sehen kann.“
Und etwas Geld lässt sich mit der Gästebewirtung auch verdienen. Je nach Menü werden zwischen fünf und 50 Euro oder Dollar fällig, wobei vorher bekannt gegeben wird, was auf den Tisch kommt. So kostet Sofies veganes Sonntagsfrühstück in Berlin sieben Euro und Victorias Nachmittagstee in Singapur 15 Dollar, Carne Asada bei Alejandro im mexikanischen Monterrey kommt auf 15 Dollar. Vor der Anmeldung erfahren die potenziellen Gäste auch Genaueres über das Haus oder die Wohnung des Gastgebers, außerdem kann nach Allergien, veganen oder vegetarischen Mahlzeiten gefiltert werden. Bezahlt wird über die Plattform, und ein Bewertungssystem (für Gastgeber und Gäste) soll für Sicherheit sorgen. Gulasch mit Spätzle. Wobei die Formalitäten oft nur beim ersten Mal eine Rolle spielen oder bei Reisenden in fremden Städten. Diese sind aber mittlerweile die Minderheit unter den Mealsharing-Gästen. Für die Mehrzahl ist die Plattform längst zu einem Ort geworden, an dem sich Menschen aus der näheren Umgebung zusammenfin- In der Küche von Paulo S´ergio in S˜ao Paulo bei einem seiner letzten Abendessen, bei dem ihn auch ein lokaler TV-Sender gefilmt hat – und sein Essen. den, um neue Kontakte zu knüpfen und andere Küchen als die lokaltypische auszuprobieren. Wie zum Beispiel Hanne Dobres Gulasch mit Spätzle, Sauerbraten oder Käse-Sahne-Kuchen: Mit diesen Gerichten hat die gebürtige Deutsche, die mit ihrem rumänischstämmigen Mann seit 15 Jahren in Chicago wohnt, regen Zulauf. Zweimal im Monat bitten die Dobres zu Tisch, an dem dann zwischen 20 und 25 Gäste Platz nehmen. „Wir haben gern Leute im Haus“, sagt die 55-Jährige, die auch eine kleine Farm in Indiana betreibt und Wohnungen per Airbnb vermietet. Zu ihren Stammkunden gehören überwiegend Amerikaner, aber die Runden sind bunt gemischt.
Natürlich lässt sich auch etwas Geld mit der Gästebewirtung verdienen.
Brasilianische Musik und Filme. Auch Paulo Sergio´ hat überwiegend einheimische Gäste an seinem Tisch in Brasilien: „Sao˜ Paulo ist ja nicht so eine Touristenstadt wie Rio mit seinen Stränden“, erklärt er, „daher sind bei uns höchstens 25 Prozent der Gäste keine Einheimischen.“Was das Vergnügen aber weder für die Gäste noch für den Gastgeber schmälert, denn Paulo setzt nicht nur auf gutes Essen, sondern versteht sich auch als Entertainer. „Wir spielen während des Essens brasilianische Musik und zeigen eine Dokumentation über deren Ursprünge, außerdem haben wir viele Instrumente im Haus, auf denen musiziert und dann auch getanzt wird“, erzählt er. Begonnen hat er damit im vergangenen November, seitdem hat er 15 Dinner mit jeweils 30 bis 35 Gästen veranstaltet und baut gerade aus, um noch mehr Platz zu haben. „Unsere Idee ist, eine ganze Nacht voller Entertainment zu bieten. Für uns ist die Plattform ideal, um diese Idee bekannt zu machen.“
Auch andere weiten die Möglichkeiten des Miteinanders aus, bieten beispielsweise am Nachmittag vor dem Essen einen gemeinsamen Einkauf auf dem Markt an oder danach einen Lokalbummel durch die Nachbarschaft. Und freuen sich über die Community, die sich durch das Teilen der Mahlzeiten bildet, wie Dobre erzählt: „Natürlich gehe ich auch zu anderen Hosts in Chicago, und über das Essen werden auch Freundschaften geknüpft“, so die 55-Jährige. „Da treffen wir uns dann im Sommer zu Open-Air-Konzerten und bringen unsere Picknickkörbe mit.“