Die Presse am Sonntag

Warum Cannabis helfen

CŻnnŻãis gilt für mŻnche Ärzte Żls neue Wun©erpflŻnze in ©er Me©izin. Sie soll nicht nur gegen Schmerzen, son©ern Żuch gegen Kreãszelle­n helfen. DŻãei sin© ©ie Neãenwirku­ngen gering – o©er ©och nicht?

- VON CLAUDIA RICHTER

Günter Weigleins Leiden begann nach einem schweren Motorradun­fall im Jahr 2002. „Ich war zusammenge­schraubt vom linken Unterschen­kel bis zum Kiefer“, erzählt der gelernte Maschinenb­auer aus Bayern. Damit einher gingen naturgemäß starke Schmerzen. Jahrelang habe er herkömmlic­he Schmerzmed­ikamente genommen, immer neue, immer andere, denn keines habe wirklich geholfen. „Im Gegenteil, ich habe ernste Magenprobl­eme be- kommen, die Leberwerte sind hochgegang­en, ich konnte kaum noch schlafen. Zudem war ich irgendwie ständig benebelt“, erklärt der Deutsche. Irgendwann bot ihm ein Freund einen Joint an und meinte, der werde helfen. Weiglein zog an. „Eine Minute danach fühlte ich, wie der Schmerz nachließ.“Seither nimmt der 52-Jährige Cannabis – und ist überzeugt davon. „Der Schmerz ist um zwei Drittel weniger geworden, die bösen Nebenwirku­ngen der Schmerzmed­ikamente aber sind weg, das ist eine neue Lebensqual­ität“, sagt er. Der zweifache Vater kann wieder arbeiten, ist seither „ein anderer Mensch“. Und er blieb beim Joint, den er ganz gezielt gegen seine Schmerzen einsetzte. Eigentlich dürfte er das nicht. Denn die eigenmächt­ige Heilbehand­lung ist in Deutschlan­d ebenso verboten wie in Österreich. Verboten ist verboten. Überhaupt ist die Situation hierzuland­e etwas komplizier­t. Cannabis ist nach dem Suchtmitte­lgesetz verboten. Dennoch darf man Cannabispf­lanzen, respektive Hanfsetzli­nge, anbauen, verkaufen, besitzen. Sobald sie aber blühen, ist das Ganze illegal. Denn in der Blüte steckt der als Suchtgift verbotene Wirkstoff THC (Tetrahydro­cannabinol), der (neben einer Suchtwirku­ng) auch eine ganze Palette von positiven medizinisc­hen Wirkungen haben soll. THC-Erwerb, -Besitz, -Erzeugung und -Verkauf sind aber in Österreich strafbar. Auch dann, wenn man es nachgewies­enermaßen gegen starke Schmerzen nimmt. Verboten ist verboten.

Erlaubt sind indes Cannabis-Medikament­e, die der Arzt verschreib­t. Doch obwohl dies in Österreich prinzipiel­l jeder Arzt kann, tun es nur wenige: weil die Mediziner zu wenig Erfahrung mit diesen Medikament­en haben. Dann hören die Patienten: „Sie bekommen kein Cannabis, davon werden Sie süchtig.“Auch weil sie wissen, dass die Krankenkas­sen sehr restriktiv in der Übernahme der Kosten sind.

Etwas großzügige­r sind die Kassen, wenn es beispielsw­eise um Krebspatie­nten geht. Cannabis bedeutet für sie: weniger Schmerzen, weniger Übelkeit durch die Chemo- und Strahlenth­era- pie, mehr Appetit. Auch bei Multipler Sklerose mit ausgeprägt­er Spastik, wenn alle anderen Medikament­e versagt haben, gibt es immer wieder Rückerstat­tung. Bei chronische­n Schmerzen ist das eher selten der Fall. 400 bis 800 Euro kostet die nebenwirku­ngsarme Cannabis-Schmerzbeh­andlung monatlich, viele können sich das nicht leisten, manche behelfen sich mit günstigere­m Straßenhan­f vom Schwarzmar­kt, also mit Pflanzen oder Präparaten von unsicherer Qualität. Hilfe bei vielen Krankheite­n? „Gerade bei Patienten mit starken Schmerzen, die schulmediz­inisch bereits austherapi­ert sind, habe ich sehr gute Erfolge mit Cannabinoi­den, unter anderem bei Polyneurop­athie. Aber auch bei Schlafstör­ungen, Depression­en, Angstzustä­nden, Rheumaleid­en, Parkinson, Epilepsie und vielen anderen Leiden ist Cannabis eine potente Medizin“, sagt der Arzt Kurt Blaas. Sie stärke das Immunsyste­m und wirke zudem muskelents­pannend, stimmungsa­ufhellend und beruhigend. „Man kann Cannabis in der richtigen Dosierung auch als idealen Bio-Tranquiliz­er ohne Nebenwirku­ngen bezeichnen“, behauptet der Wiener Mediziner, der in Österreich die Arge CAM (Cannabis als Medizin ) gründete – mit dem Ziel, Hanf in die Medizin einzuführe­n.

Auch Franjo Grotenherm­en, Arzt und Cannabisex­perte in Rüthen, Nordrhein-Westfalen, und Autor vieler Artikel und Bücher zum therapeuti­schen Potenzial der Hanfpflanz­e, verweist auf mehr als 50 verschiede­ne Krankheite­n, bei denen Cannabis hilfreich sein soll. Sein Argument: Cannabis schädigt auch auf Dauer kein Organ, weder Magen noch Leber noch Niere, selbst wenn man es jahrzehnte­lang nimmt. Als akute Nebenwirku­ngen können allerdings Schwindel, Benommenhe­it, Müdigkeit, Mundtrocke­nheit, Gleichgewi­chtsstörun­gen sowie Herzrasen und Blutdruckv­eränderung­en auftreten. Letztere können bei Patienten mit Herz-Kreislauf-Beschwerde­n schon Probleme machen.

Doch warum ist Cannabis eigentlich so wirksam? In der Medizin erklärt man sich das damit, dass Menschen selbst in jeder Muskelzell­e, in jeder Blutzelle Cannabinoi­d-Rezeptoren hätten. Deshalb reagiere der Körper auch so gut auf Cannabis, so die Vermutung. Zahlreiche Studien beschäftig­ten sich in den vergangene­n Jahren mit dem Thema. „Bei Morbus Crohn hat sich Cannabis als sehr effizient erwiesen, auch bei schulmediz­inisch bereits austherapi­erten Patienten“, sagt Rudolf Brenneisen, Leiter der Schweizer Arbeitsgru­ppe für Cannabinoi­de in der Medizin und einer der führenden Cannabis-Forscher weltweit. Außerdem, so der Experte, werde man von Cannabinoi­den körperlich nicht abhängig.

Wenn sonst keine Me©ikŻmente helfen, ist CŻnnŻãis oft ©er letzte Retter. Die Me©ikŻmente sin© teuer. In DeutschlŻn© hŻãen Bürger Żuf EigenŻnãŻu geklŻgt.

Wohl aber psychisch. Dafür sorgt der Stoff THC. Diese Abhängigke­it ist mitunter ein Grund, warum gerade Suchtmediz­iner (siehe Artikel rechts) Cannabis noch immer kritisch gegenübers­tehen. Auch wurde im Jänner 2017 eine Studie von britischen, amerikanis­chen und Schweizer Forschern veröffentl­icht, die besagt, dass Cannabisko­nsum das Schizophre­nierisiko um 37 Prozent erhöht.

Dem gegenüber steht die Vielzahl an positiven Wirkungen. Die zweite Substanz, die in der Medizin zum Einsatz kommt, ist CBD (Cannabidio­l). Es ist nur schwach psychoakti­v, wirkt ebenfalls angstlinde­rnd, immunmodul­ierend, krampflöse­nd und entzündung­shemmend. Außerdem hemmt es Brechreiz und schützt Nervenzell­en. CBD ist eine große Hoffnung in der Krebsforsc­hung. Blaas: „CBD konnte in Tierstudie­n Tumorzelle­n zerstören oder zumindest ihre Ausbreitun­g verhindern.“Einer der Ersten, der damit experiment­ierte, war Manuel Guzman

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Günter Weiglein hat erst mit Cannabis seine Schmerzen in den Griff bekommen.
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