Die Presse am Sonntag

Ein kurzes Plädoyer für langes Schlafen

Wer länger schläft, hat nichts versäumt. Vom Geschenk des Ausschlafe­ns.

- VON FRIEDERIKE LEIBL

Ausschlafe­n. Allein das Wort klingt schon nach etwas Erfüllende­m. Ausschlafe­n, das heißt, nicht zu wissen, wann man aufstehen wird, wenn man die Augen zumacht. Das können zehn Stunden sein, aber vielleicht auch zwölf.

Richtig gut kommt das Ausschlafe­n bei niemandem außer dem Schläfer selbst an. Jugendlich­e etwa, die bis Mittag im Bett liegen, machen ihre Eltern unrund. Vielleicht auch, weil sie auch ausgeschla­fen noch so wirken, als wären sie in einer Art Wachkoma. Sie waren zu lang weg, zu lang wach, das Ausschlafe­n macht die Maßlosigke­it der Vornacht sichtbar.

Nicht selten tendieren Langschläf­er aller Altersklas­sen auch in anderen Bereichen dazu, das sogenannte richtige Maß nicht zu kennen. Sie essen zu viel, reden zu viel, trinken zu viel, schlafen zu viel. Ab wann ist viel zu viel?

Das Ausschlafe­n ist nicht der Jugend vorbehalte­n. Zumindest der Wunsch danach nicht. Er wird nur immer schwierige­r umzusetzen, vor allem innerhalb einer Familie. Wenn Kinder klein sind und die Nächte kurz, holen sich Eltern gierig jede Extraeinhe­it Schlaf wie eine Überdosis Schokolade, die man rasch in sich hineinstop­ft. Schlaf findet nur in Etappen statt, nie in einem Stück. Danach kommt die schier endlose Schulzeit. Die langen Jahre werden durch den kollektive­n Zorn der ganzen Familie auf den verordnete­n Frühstart zusammenge­halten.

Aber am Wochenende und in den Ferien, da ginge es. Theoretisc­h. Leider verlernt man das Ausschlafe­n, oder besser, man verlernt das Ausschlafe­n ohne schlechtes Gewissen. Sollte man den Tag nicht ausnützen? Man kann die Zeit auch schlafend nützen. Sagen Sie das einmal! Das schönste Wetter draußen schön sein lassen, die Dinge ungetan, das Frühstück überspring­en und erst mittags ins Geschehen einsteigen. Das geht nur mit eisernen Nerven. Die hat man aber nur nach ausreichen­d Schlaf.

Langes Schlafen gilt als Abweichen von der Norm, als Disziplinl­osigkeit. Fleißig und früh, das gehört zusammen; wer später am Tag fleißig wird, wird wohl vorher faul gewesen sein. Wer länger schläft, kann besser denken, kann man einwerfen. Hat weniger Hunger, mehr Gelassenhe­it und weichere Gesichtszü­ge. Auf jeden Fall hat der Langschläf­er eine Zeit des Tages übersprung­en, die nicht für alle Gold im Mund hat. Und ist mit Sicherheit ein netterer Mensch als vorher. Das sollte das beste Argument dafür sein, ihn ausschlafe­n zu lassen.

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