Sanfte Distel, arme Haut, junge Maid
Lieãer Gel© Żls Lieãe: Nestroy wŻr kein FrŻuenfreun©, sŻgt mŻn. Trotz©em stellte er viele mŻrkŻnte DŻmen Żuf ©ie Bühne. Ein Run©ãlick – Żus AnlŻss ©er Premiere von »Lieãesgeschichten un© HeirŻtssŻchen«, Żã 13. April im BurgtheŻter.
Die Distel hat ein schön Gesicht, sie wehrt sich drum und kratzt und sticht“, dichtete Karl Heinrich Waggerl. Nestroys Lucia Distel hingegen wird angesichts des Tunichtguts Nebel, Hauptfigur in Nestroys „Liebesgeschichten und Heiratssachen“, zur sanften Taube. „Red, geliebter Kavalier, wie dir der Schnabel gewachsen ist“, flötet sie ihren Galan an. Und Nebel wird gleich deutlich: Seinem noblen Vater stinkt die ehemalige Selchkuchel der Fleischerei Fett, die Lucia vermutlich mit ihrem verstorbenen Mann, dem Bruder des nunmehrigen Partikuliers Florian Fett, aufgebaut hat.
Lucia Distel war also eine Geschäftsfrau, ihr Gatte hat sie wohlversorgt zurückgelassen. Trotzdem will Schwager Florian sie so schnell wie möglich wieder loswerden – an einen wohlbestallten Herrn. Denn der Partikulier (heute ein Schiffseigentümer) hat noch andere Frauen in seinem Schloss-Haushalt unter die sprichwörtliche Haube zu bringen, respektive in den Ehestand zu versetzen: Tochter Fanny, eine gute Partie, und die mittellose entfernte Verwandte Ulrike Holm. Tarnen und täuschen. Wie stets bei Nestroy verlieben sich die Falschen in die Falschen, vor allem Nebel ist keineswegs aus edlem Geblüte, sondern ein arbeitsscheuer Glücksritter, aber am Ende gibt es ein Happy End: „Was ’s Jahr Onkel und Tanten sterben müssen, bloß damit alles gut ausgeht“, heißt es im „Jux“. Als Frauenfreund gilt Nestroy keineswegs, allerdings wenden Kenner hier gern ein, dass er als Satiriker eben niemandes Freund sein konnte. Jedenfalls bildete er die Frauen der Biedermeierzeit in ihren Beschränkungen und Möglichkeiten ab, wie sie auch heute noch in unseren Zeiten existieren, in denen Frauen viel bessere Chancen haben, beruflich erfolgreich und privat glücklich zu werden.
Die häufigste junge Dame bei Nestroy ist das Mündel, das, da Frauen oft früh bei Geburten starben, einem möglichst wohlhabenden Verwandten anvertraut wurde, der sie ehebaldigst an einen reichen Mann weitergeben sollte. „Es schickt sich nicht“, ruft ein ums andere Mal Marie im „Jux“, wenn ihr Verehrer Sonders ihr zu nahe rücken möchte. Denn die Ehre einer Frau war neben Vermögen die wichtigste Morgengabe für eine gute Heirat. Die Schacherei mit Geld und Gut hat Hofmannsthal, Textdichter von Richard Strauss’ „Rosenkavalier“, so umgedreht, dass einem noch heute die Haare zu Berge stehen. Mitgift und Morgengabe. Der alte, verbrauchte, aber adelige Ochs auf Lerchenau verlangt vom „so gut als bürgerlichen“Herrn von Faninal neben dessen bildhübscher Tochter eine Morgengabe, die eigentlich nur der Frau zusteht, in Form von Immobilien: „Dass Schloss und Herrschaft Gaudersdorf verlassen, frei und ungemindert von Privilegien, so wie mein Vater selig sie besessen hat“, zu ihm zurückkehrten. Geld zählt immer mehr als die Liebe. Die Biedermeierzeit brachte Turbulenzen in die statische Gesellschaft der Habsburger-Monarchie: Die Landgüter brachten nicht mehr so viel ein, Menschen wanderten in die Städte, die teils durch die Industrie rasch zu Reichtum gekommenen Bürger zahlten fast keine Steuern. Die in Nestroy-Stücken so wichtigen selbstständigen Handwerker profitierten von der Konjunktur. Zum Beispiel der reiche Tischler Hobelmann in „Lumpazivagabundus“, bei dem es ähnliche Verhältnisse gibt, wie im Hause Fett in den „Liebesgeschichten“: Tochter Peppi liebt den mittellosen, vazierenden Handwerksgesellen Leim, noch mehr er sie. Aber es ist für Leim sicher kein Nachteil, dass er sich mit seinem Lottogewinn bei Hobelmann einkaufen kann. Vorher gibt es noch die köstliche Szene mit der Verwechslung von Peppi und Hobelmanns Nichte Anastasia, die nicht mehr jung ist und sich daher, welch Glück, Strudl, den Gastwirt zum Goldenen Nockerl, angeln konnte. Neben selbstständigen Handwerkern waren Wirte in der rasch wachsenden Metropole Wien ein wohletablierter Stand. Prostitution. Welche Berufschancen hatten nun Frauen zu Nestroys Zeiten? Sie waren gering. Das zieht sich hin bis zu Horvaths´ Marianne, die in „Geschichten aus dem Wiener Wald“im Maxim nackt tanzen muss, um sich durchzubringen, und ihren Vater, den Spielzeughändler, anschreit: „Du hast mich ja nichts lernen lassen!“Der Sumpf, in dem Frauen verschwinden konnten, war gewaltig, „Hübschlerinnen“, „Gunstgewerblerinnen“, „Bordsteinschwalben“, das waren euphemistische Bezeichnungen für die allgegenwärtige Prostitution, die verboten und lebensgefährlich war – wegen der Syphilis. Bei Nestroy kommen diese Mädchen, anders als bei Schnitzler, kaum vor, vermutlich wegen der rigiden Zensur der Metternich-Zeit. Nestroys Damen sind meist „honett“, hier eine kleine Auswahl: die Boutiquenbesitzerin Madame Knorr im „Jux“, die Ballveranstalterin Madame Schleyer im „Zerrissenen“, die Gärtnerin Flora Baumscheer im „Talisman“oder Madame Storch, die Schwester des Pfaidlers (Näherei für Hemden, Bettwäsche), im „Mädl aus der Vorstadt“.
Mit Pfaidler Knöpfl und Madame Storch hat sich Nestroy eventuell einen kleinen Insider-Scherz erlaubt, in Michael Schottenbergs derzeitiger Inszenierung des „Mädls aus der Vorstadt“im Theater in der Josefstadt ist die Näherei ein Geheimbordell, eine stimmige Idee. Als lockere Frauenspersonen auf der Suche nach einem Mann tätig sind auch die Damen Palpitti (Mutter und zwei Töchter), die sich dem Schneider Zwirn im „Lumpazi“an den Hals werfen, der seinen Lotteriegewinn in kürzester Zeit „verjuxt“.
In dieser Konstellation wird nebenbei, wie öfter bei Nestroy, deutlich, dass, wenn man heiratete, man damit rechnen musste, die Verwandtschaft der Angetrauten zu versorgen. Soziale Sicherheit gab es keine im aufblühenden Kapitalismus. Altern war oft trist, wie man an diversen dienstbaren Geis- tern bei Nestroy sehen kann, vorzugsweise Haushälterinnen oder Kammerfrauen. Dem Stand der Underdogs hat Josef Weinheber in dem Mundart-Juwel „Der Ober an den Stift“(aus „Wien wörtlich“) ein berührendes Denkmal gesetzt, in dem es am Schluss heißt: „Der mit der Sensen und der Uhr klopft an und schmeißt dich in die Gruabn. Und fragen d’ Leut, haaßts: ,Is heilig nur a alter Kellner g’sturbn.‘“ Flirtmeister Nestroy. Elend traf nicht nur Frauen, auch die bei Nestroy so häufigen dummschlauen Hausknechte (Melchior) oder Stubenmädchen. Letztere zeigten manchmal zynische Pfiffigkeit – wie Philippine in „Liebesgeschichten und Heiratssachen“, die Nebels Courmacherei und Beutelschneiderei durchschaut und weiß, dass dieser Herr nicht der erste Kavalier, sondern „der erste Schwadroneur“ist.
Gesch´ftsfrŻuen verweisen Żuf einen ©er wenigen guten FrŻuenãerufe ©ŻmŻls. S´ngerin MŻrie Weiler, »©ie FrŻu« in Nestroys Leãen, gŻã ihm StŻãilit´t – un© oft SŻures.
Apropos Schwadroneur: Als genialer Sprachspieler wusste Nestroy wohl selbst am besten, wie leicht es ist, Frauen mit Witz und Schmäh einzuwickeln. Auch er war ein Courmacher, hatte aber immer „die Frau“an seiner Seite, die ihn unterstützte, managte, mit der er sich auch heftig stritt, eben wegen seiner Liebschaften. Peter Turrini hat dieser Marie Weiler in „Die Verhaftung des Johann Nepomuk Nestroy“– mit Karl Markovics und Sandra Cervik in der Josefstadt zu sehen – ein ergreifendes Denkmal gesetzt. Nestroy, Sohn eines Gerichtsadvokaten, schwankte sein Leben lang zwischen der bunten, instabilen Welt des Theaters, in der er als Schauspieler, Autor, Prinzipal reüssierte, und der Sehnsucht nach „Nur Ruhe!“, Bürgerlichkeit. Der Satiriker und Komödiant, der leidenschaftliche Kartenspieler und Flirter riss Nestroy immer wieder weg vom trauten Heim – und als es mit dem Theater vorbei war, war es bald auch mit ihm vorbei. Nur einen Monat nach seinem letzten Auftritt starb er mit 62 Jahren.
„Getäuscht hat mich die Theaterwelt!“, klagt Peppi Amsel, Ex-Schauspielerin und Köchin in „Frühere Verhältnisse“. Und in „Umsonst“, der Posse über Spaß, Rivalitäten und Liebeleien im Sommertheater – übrigens interessanterweise ein Spätwerk –, macht Nestroy die Bühnenkunst zum Hauptthema. Seine berührendste Figur aus den unteren Rängen der Gesellschaft ist wohl die Gänsehirtin Salome Pockerl im „Talisman“, die sich dafür entschuldigt, dass sie im Schloss „in Räumen, die nicht meinesgleichen sind“, in Ohnmacht gefallen ist, vor der Frau von Cypressenburg, die eines der besten Leben von Nestroy-Frauen hat: eine reiche Witwe, die Schriftstellerin wurde. Im 19. Jahrhundert wurde Romaneschreiben zu einer lukrativen Beschäftigung für Frauen, in der Bandbreite von Hedwig Courts-Mahler bis zu Marie von Ebner-Eschenbach.