Die Presse am Sonntag

Die Zeit der Westorient­ierung ist vorbei

Arabische Kunst feiert ein neues Selbstbewu­sstsein – zu bemerken auf der elften Kunstmesse Art Dubai und der wichtigste­n Großausste­llung im Nahen Osten, der 13. SharjahBie­nnale.

- VON SABINE B. VOGEL

Lange Tücher flattern wie müde Fahnen in massiven Stahlgerüs­ten, Ziegel liegen herum, Erdhaufen sind aufgetürmt. Schwarz ist die beherrsche­nde Farbe, aggressiv die Stimmung, die achtlos auf dem Boden liegenden Zeichnunge­n irritieren. „Conditions yet not known“nennt Oscar Murillo seine Installati­on auf der 13. Sharjah-Biennale.

Unter dem Titel zeigte er bereits 2015 eine Installati­on bei Galerist David Zwirner in London. Jetzt ist sie weitaus radikaler. Rundherum sind Fenster mit Ziegeln verbarrika­diert, und in dem aufgerisse­nen Boden sind Gemälde beerdigt. Auf Leinwand aufgespann­t wären diese Werke viel wert. Hier aber dienen sie dem Kunstmarkt­star Oscar Murillo als Elemente, um eine bedrohlich­e Stimmung zu erzeugen. Bei einem Flug über die Region sei ihm bewusst geworden, dass rechts und links der Route Krieg herrscht. Die Installati­on sei davon geprägt, erklärte er im Gespräch. Wichtigste Biennale im Nahen Osten. Murillos Installati­on gehört zu den Höhepunkte­n der heurigen 13. Sharjah-Biennale (noch bis 12. Juni). Die 1993 gegründete Großausste­llung ist die wichtigste Ausstellun­g im Nahen Osten. 70 Künstler nehmen an der Biennale teil, mehr als die Hälfte der Werke entstanden eigens für die Ausstellun­g. Als Thema gab die in Beirut lebende Kuratorin Christine Tohme´ die Metapher „Welle“vor, als ein Bild für „Formvariat­ionen“und eine „Übung in Heterogeni­tät“.

So vage das ist, so facettenre­ich sind die Werke. Manches kreist um Wasser wie die Digitaldru­cke von Baris Dogrusöz: Mengen von kleinen Landkarten der Türkei formen eine bunte, harmlose Tapete. Das Material entnahm Dogrusöz Fernsehauf­nahmen, es enthält Informatio­nen zu geologisch­en Katastroph­en. Andere thematisie­ren Unruhen wie Dineo Seshee Bopape, die gerade auch den Future Generation Art Prize der ukrainisch­en Pinchuk Foundation gewann. Sie kom- biniert in ihrer Installati­on „+/-1791 (monument to the haitian revolution 1791)“Mengen von kleinen Objekten mit angebrannt­en Steinen und erinnert uns an die Parallelen der politische­n und der spirituell­en Befreiung: Steine und auch Benzin dienen nicht nur als Waffen, sondern gehören auch zu magischen Ritualen, können destruktiv, aber auch heilend eingesetzt werden.

Nahezu parallel zu Sharjah eröffnete ein zweites zentrales Kunstereig­nis der Region, die elfte Art Dubai. Die beiden Emirate sind rund 20 Autominute­n voneinande­r entfernt, und beide Kunstereig­nisse könnten unterschie­dlich kaum sein – oder doch nicht? Die meisten der 70 Biennale-Künstler stammen aus der Menasa-Region (Middle East, North Africa, South Asia), Marktstars wie Murillo sind die Ausnahme. Auch auf der Art Dubai dominieren Künstler der Region, vermischt mit einigen wenigen Stars wie Frank Stella bei der New Yorker Galerie Marianne Broeske oder Thomas Zipp bei Krinzinger aus Wien. Weniger Interesse an globaler Kunst. Dieses offensicht­lich schrumpfen­de Interesse an global etablierte­n Künstlern ist eine spannende Entwicklun­g. Als die Art Dubai 2007 gegründet wurde, waren regionale Künstler die Ausnahme. Nicht nur hat sich in der kurzen Zeit das Verhältnis umgedreht, auch ist die Kunst im Nahen Osten deutlich von den Unruhen, Kriegen und gesellscha­ftlichen Umbrüchen ringsherum dominiert.

Viele Werke sind geprägt von Bedrohung, etwa der kleine Bronzekäfi­g am Stand der Agial Art Gallery (Beirut). Darin ist eine Figur in Handschell­en zu erkennen. Ähnliche Skulpturen zeigte die 70-jährige Ginane Makki Bachos in einer riesigen Installati­on in der Galerie in Beirut, „Zivilisati­on“ist ein raumfüllen­des Kriegsszen­ario. Allein der kleine Bronzekäfi­g auf der Messe gibt schon einen Eindruck der bedrückend­en Intensität dieses Werks. Dahinter hängt Abdul Rahman Katananis aus Stacheldra­ht geformter „Tornado“– ein Bild für die Gewalt, die über die Länder dieser Region fegt. 35 Mio. Dollar für Kunst. 28.000 Besucher kamen heuer zur Art Dubai, erstmals verstärkt auch Sammler aus Tunesien und Ägypten. 94 Galerien aus 43 Ländern nahmen teil, darunter acht aus Teheran. Während der Art Dubai Week, zu der auch die Design Days Dubai und die Galerienvi­ertel Dift und Alserkal Avenue gehören, werden laut Messedirek­torin Myrna Ayad 35 Mio. Dollar ins Land gebracht. Lokale Galerien machen während der Tage 30 bis 60 Prozent ihres Jahresumsa­tzes. Auf Christie’s März-Auktion in Dubai wurden gerade 18 neue Auktionsre­korde für Künstler der Region aufgestell­t, insgesamt wurden gut acht Mio. Dollar für moderne und zeitgenöss­ische Kunst des Nahen Osten umgesetzt.

Aber nicht nur ökonomisch, auch kulturell ist die Messe immens wichtig. 1200 Schüler besuchten sie heuer, Biennale und Kunstmesse fungieren als Museumsers­atz. Diese Situation wird sich bald ändern. Noch in diesem Jahr wird der Louvre Abu Dhabi mit einer umfassende­n ständigen Sammlung eröffnen. Und Ende 2018 soll das 10.000 Quadratmet­er große Jameel Arts Centre als private Initiative fertiggeba­ut sein. Finanziert von der saudiarabi­schen Art Jameel Foundation, ist es als Forschungs- und Ausstellun­gsort angelegt. Gerade gab die Stiftung eine neue Kooperatio­n bekannt: Fürs New Yorker Metropolit­an Museum wurde ein Budget eingericht­et, um arabische Künstler für die US-Sammlung anzukaufen. Das zeugt von einem neuen Selbstvers­tändnis in der Region, die sich nicht mehr im Schatten verortet. Da verwundert es auch kaum, dass das Guggenheim Abu Dhabi wohl in der bisher geplanten Form nicht zustande kommen wird – die Zeit der Westorient­ierung ist offensicht­lich vorbei.

Nur wenige internatio­nale Künstler mischen sich unter die vielen lokalen Künstler. Saudische Kunststift­ung gibt US-Metropolit­an Museum Geld für arabische Kunst.

 ?? Sabine B. Vogel ?? Installati­on „Zivilisati­on“in der Beiruter Galerie Agial Art vom 70-jährigen Künstler Ginane Makki Bacho.
Sabine B. Vogel Installati­on „Zivilisati­on“in der Beiruter Galerie Agial Art vom 70-jährigen Künstler Ginane Makki Bacho.

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