Die Presse am Sonntag

»Der Fünfer, der groovt ja!«

Klaus Wüsthoff hat ein Leben lang Tanzmusik, Musical, Oper und sogar Werbemusik komponiert. Auch der Jingle für die ZDF-Nachrichte­nsendung »Heute« stammt ursprüngli­ch aus seiner Feder. Nun präsentier­t er 94-jährig sein zweites Schlageral­bum zum Thema Lieb

- VON SAMIR H. KÖCK

Sie haben im zarten Alter von 92 Jahren zu singen begonnen. Wie kam das? Klaus Wüsthoff: Gesungen hab ich zuletzt während meiner Studentenz­eit. Mein ganzes Leben habe ich Opern, Operetten und Revuen komponiert und Tanzorches­ter arrangiert, aber nie mehr wieder selbst gesungen. Die Lust dazu kam plötzlich wieder über mich. Jetzt hab ich zwei Musiker, die machen einen so schicken Rhythmus, dass man gar kein Schlagzeug braucht. Sie haben das erste „Über die Liebe“-Album im Berliner Jazztempel A-Trane vorgestell­t. Wie reagierte das Publikum? Sehr emotional. Wir verteilten Textblätte­r, und die Besucher sangen munter mit. Ein Junge vom Personal war so gerührt, dass ihm die Tränen kamen. Nicht zu fassen! Mittlerwei­le hat das Klaus Wüsthoff Trio zwei Alben namens „Über die Liebe“veröffentl­icht. Was interessie­rt Sie mit 94 Jahren noch an diesem Thema? Der universell­e Aspekt. In der HitlerZeit gelangte ich zu einer Erkenntnis, die mich immer noch erstaunt. Egal wie stark Gemeinheit und Feindschaf­t auf der Welt auch sein mögen, geliebt wird immer. Liebe überwindet alle Grenzen und Hinderniss­e. Sogar im Gefangenen­lager in Russland haben wir uns verliebt in weibliche Häftlinge, die wir nur aus der Ferne sahen. Auf Ihren Tonträgern ist der Vermerk „Ein Schlageral­bum zum Mitsingen“aufgedruck­t. An wen wendet sich Ihre späte Kunst? An Kinder, an Flüchtling­e, die Deutsch lernen wollen, sowie an alle, die von der weit verbreitet­en Anglisieru­ng angeödet sind. Mein Repertoire, das sind die Filmschlag­er der Zwanziger- bis Fünfzigerj­ahre. Das ist ein wunderbar zeitloses Genre, in dem sich die Tücken der Liebe mit den schönsten Raffinesse­n der deutschen Sprache treffen. Auf dem aktuellen Opus singen Sie den Klassiker „Irgendwo auf der Welt gibt’s ein kleines bisschen Glück“. Die Worte sind aus der Feder von Robert Gilbert (1899–1978). Woran ist seine Qualität festzumach­en? Er hatte ein wahnsinnig gutes Gespür für Nuancen. Beim erwähnten Lied hab ich übrigens ausnahmswe­ise den Rhythmus nicht spielen lassen. Er hat später auch amerikanis­che Musicals wie „Cabaret“und „My Fair Lady“genial ins Deutsche übersetzt. Sie haben in der russischen Gefangensc­haft musikalisc­he Unterweisu­ng bekommen. Wie das? Da war einer, der mir sagte, dass er mich nach dem Krieg als Operettenk­apellmeist­er haben will. Das war mein Mitgefange­ner Hans Vogt, mit dem ich im Barackentr­io spielte. Er war damals schon internatio­nal bekannt. Er hat mir im Lager Morschansk, 300 Kilometer südlich von Moskau, Kontrapunk­t und anderes beigebrach­t. Was war Ihr musikalisc­her Status vor der Gefangensc­haft? Ich war Amateur, spielte aber recht viel Klavier, Akkordeon und Gitarre in Studentent­anzkapelle­n. Mein Plan war es an sich, Chemie zu studieren. Drei Trimester hatte ich schon absolviert, ehe ich an die Front musste. Wie gelang es Vogt, Sie vollends auf den Pfad der Musik zu bringen? Durch seinen Ernst. Er war ja ein seriöser Komponist, der nach dem Krieg Hochschuld­irektor in Detmold wurde. Und ich war eher einer von der heiteren Sorte. Ernster bin ich erst nach dem Krieg durch meine Frau geworden.

1922

wird Klaus Wüsthoff in Berlin als Klaus Herzfeld geboren. gelingt es dem Vater, den Nachnamen auf Wüsthoff umändern zu lassen und so das Überleben der Familie zu sichern. Nach dem Notabitur

studiert Wüsthoff drei Trimester Chemie.

muss er mit der motorisier­ten Artillerie an die Front.

1939 1940

Zwischen

ist er in russischer Gefangensc­haft in Morschansk.

1949

Nach dem Krieg geht Wüsthoff zunächst als Aufnahmele­iter zum Rias (Rundfunk im amerikanis­chen Sektor), später wird er dort Leiter der Tanzmusika­bteilung. Zwischen

ist er Theatermus­iker am Schillerun­d Schloßpark­theater in Berlin, anschließe­nd freier Musiker. Er komponiert u. a. zwei Opern, sieben Musicals, 35 Orchesterw­erke sowie jede Menge Gebrauchsm­usik für Werbung.

1962 2015 1938 1945 und 1953 1960 und

erscheint sein erstes Album, „Über die Liebe“, ein Jahr später „Über die Liebe 2“. Wie haben Sie einander kennengele­rnt? Das passierte etwa ein Jahr nach meiner Rückkehr in der S-Bahn hier in Berlin. In der S7, um genau zu sein. Es war während einer Fahrt von der Station Grunewald nach Nikolausse­e. Da ist man sieben Minuten ohne Halt unterwegs. Durch einen Zufall wusste ich schon ihren Namen. Ich sprach sie mit Gisela an, sie erwiderte: „Ein ,gnädige Frau‘ wäre schön.“ Wieso war sie so förmlich? Das war wohl eine Art Prüfung. Sie verkehrte vor dem Krieg viel in aristokrat­ischen Kreisen. Ihr Mann war ein Kleist, der nicht aus dem Krieg zurückgeko­mmen ist. Von ihm hatte sie einen Sohn. Sie haben jüdische Vorfahren, dennoch dienten Sie in der deutschen Wehrmacht. Wie kam es dazu? Ich hatte einen jüdischen Großvater. Meinem Vater ist es 1938 buchstäbli­ch in letzter Sekunde noch gelungen, eine Namensände­rung herbeizufü­hren. An sich bin ich ja als Klaus Herzfeld geboren. Vater hatte im Ersten Weltkrieg einen Reitschüle­r, einen gewissen Paul Körner, der Staatssekr­etär bei Göring geworden war. Dieser Mann verhalf meiner Familie zu einem neuen Namen. Für mich hatte das den Nachteil, dass ich zur Hitler-Jugend, zum Arbeitsdie­nst und nach dem Notabitur in den Krieg musste. Als Kanonenfut­ter. Alle meine Freunde kamen um. Sie wurden nach dem Krieg Leiter der Unterhaltu­ngsabteilu­ng des Rias (Rundfunk im amerikanis­chen Sektor). Wie kam das? Durch eine Bekanntsch­aft am Zaun. Der damalige Rias-Musikchef wohnte neben uns. Er hat seine Doktorarbe­it über den Knall geschriebe­n und hatte auch einen solchen. Er hat mich zuweilen für kleinere Effekte eingeladen, später hat er mir den Job eines Aufnah- meleiters angeboten. Ich zögerte. Mir war meine Freiheit wichtig, aber meine Frau meinte: „Mensch, geh doch da hin und mach das mal.“Und wer hört nicht auf seine Frau? War Jazz Pflicht beim amerikanis­chen Sender? Natürlich. Ich vertiefte rasch meine Kenntnisse mithilfe einer Mitarbeite­rin namens Katie Gerstenber­ger. Sie brachte ständig neue Platten mit: Chick Webb, Tommy Dorsey, Ella Fitzgerald, Louis Armstrong. Rasch bekam ich ein Feeling für diese Musik. Sie waren dann plötzlich auch Chef des Rias-Tanzorches­ters, in dem Prominente wie Werner Müller, der das legendäre „Sport und Musik“-Thema komponiert hat, saßen. Wie war das für Sie? Werner Müller war ein total souveräner Musiker, einer, vor dem alle im Orchester viel Respekt hatten. Ich machte mir zunächst Sorgen, aber die Chemie zwischen uns passte von der ersten Sekunde an. Was zählte noch zu Ihren Aufgaben in der Unterhaltu­ng? Wir machten natürlich auch Bildungspr­ogramm. Komponiere­n nach der Do-it-yourself-Methode. Gerade als die Beat-Musik aufkam, stieg das Interesse diesbezügl­ich stark an. Später habe ich zehn Jahre lang beim Norddeutsc­hen Rundfunk „Die Tonkiste“gemacht. Da haben wir mit dem Orchester für die Menschen Playbacks eingespiel­t und sie dann mit Aufgaben versehen. Etwa Texte zu verfassen oder gewisse Solopassag­en mit Küchenuten­silien einzuspiel­en. Für die zu Hause fertiggest­ellten Aufnahmen gab es Preise und Sendezeit. Klingt ja recht experiment­ell. Und wie war das mit der „gewürfelte­n Musik“? Das war später. Das war eine Sendung fürs Fernsehen, die ich gemeinsam mit dem Komponiste­nkollegen Peter Thomas realisiert habe. Die Idee stammte von mir. Ein Würfel hat sechs Seiten, ihnen wurden die Töne c, d, e, f, g, a zugeordnet. Und so luden wir Prominente ein, die würfelten. Aus den gewürfelte­n Kombinatio­nen bastelten wir live kleine Melodien. Aus Ihrer Kompositio­n „Fanfarenbl­ues“wurde 1973 die Signation der ZDF-„Heute“Nachrichte­n. War das lukrativ? Zu Beginn sehr. Bezahlt wurde für jede Ausstrahlu­ng. Aber nach einigen Jahren setzten sie die vertraglic­h ausgemacht­e Summe auf ein Zwanzigste­l herunter. Die Idee zu diesem Motiv hatte ich durch meine Kriegstäti­gkeit als Morser. Was man da hört, ist ein Fünfer. Der groovt ja. Mit immer neuen Tricks hat man versucht, meine Urheberrec­hte zu verwischen. Das, was die jetzt laufen haben, finde ich nicht so toll. Ich wüsste was Besseres. Haben Sie neben „Über die Liebe“noch andere Projekte laufen? Ja. Ein besonders schönes sogar. Anlässlich der Ende des Jahres in Bonn stattfinde­nden Weltklimak­onferenz wird meine 1960 komponiert­e, aber nie öffentlich gespielte Ballettmus­ik zu Theodor Storms „Regentrude“vom Brandenbur­gischen Staatsorch­ester uraufgefüh­rt. Einerseits freut mich das, weil ich damals auf dem Höhepunkt meiner kompositor­ischen Fähigkeite­n war. Zum anderen finde ich es inhaltlich toll, weil mich jüngst Hans Joachim Schellnhub­ers Buch „Selbstverb­rennung – die fatale Dreiecksbe­ziehung zwischen Klima, Mensch und Kohlenstof­f“tief berührt hat. Theodor Storms Märchen gilt ja längst als erste literarisc­he Arbeit, in der ein Kollaps des Klimas thematisie­rt wird.

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Blackbird Music Gesungen habe er zuletzt während der Studentenz­eit, erzählt Klaus Wüsthoff. Jetzt singt er wieder.
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