Chinas knausrige Superreiche
Die Volksrepublik zählt inzwischen weltweit die meisten Millionäre und Milliardäre. Dennoch sind Spenden für wohltätige Zwecke im Reich der Mitte nach wie vor eine Ausnahme.
Yang Cong überreicht jedem Gast einzeln einen Teller mit frischen Austern. „Aus Nordfrankreich“, sagt er. Und auch beim Hummer, dem Kobe-Rind und der Seegurke lässt er es sich als Gastgeber nicht nehmen, die Anwesenden am Tisch persönlich zu bewirten. Der Kellner, der etwas verlegen neben ihm steht, soll bloß die benutzten Teller abräumen. „Ich will ihm ja nicht ganz seinen Job nehmen“, sagt Yang Cong und lacht. Seinen Freunden gegenüber zeige man sich in China eben gern großzügig, erläutert er – vor allem beim Essen.
Yang Cong ist ein sehr reicher Mann. Der 42-Jährige hat sein Vermögen mit dem Verkauf von Schmuck und Luxusuhren gemacht. Wie viel er besitzt, will er nicht verraten. Nur so viel: Über 20 Geschäfte besitze er im ganzen Land. Und er ist gern bereit, seinen Reichtum mit anderen zu teilen. Seine beiden jüngeren Brüder hat er zu Anteilseignern gemacht, seinen Eltern mitten in der Pekinger Innenstadt eine Wohnung gekauft.
Erst vor Kurzem ist der neue Familienwohnsitz in seinem Heimatdorf in der südchinesischen Provinz Fujian fertig geworden. Auf seinem Smartphone hat er ein Bild davon – eine dreistöckige Villa, die mit dem vielen Stuck und den Säulen aus Marmor einem Chateauˆ aus der Provence ähnlich sieht. Auf die Frage, ob es in dem Dorf noch andere Villen dieser Art gebe, antwortet er: „Nicht doch, die Leute dort sind bitterarm.“Sie würden noch immer vom Reisanbau leben. Ob er denn erwogen habe, mit seinem Vermögen dem Dorf finanziell unter die Arme zu greifen? Habe er, antwortet er. Die geteerte Straße zu seinem Landsitz habe er aus der eigenen Tasche finanziert. Von dieser Straße hätten ja auch die anderen Dorfbewohner etwas.
In keinem Land gibt es so viele Superreiche wie in China. Wie aus der jüngsten Hurun-Reichenliste des in Schanghai lebenden Briten Rupert Hoogewerf hervorgeht, gibt es in der Volksrepublik 594 Dollar-Milliardäre. Die Zahl der Millionäre liegt gar bei über zwei Millionen. In der Hauptstadt Peking leben inzwischen mehr Milliardäre als in London oder New York.
Doch was die Spendenbereitschaft angeht, sieht es bislang äußerst mau aus. Gerade einmal 81 der rund 600 Milliardäre sind im vergangenen Jahr bereit gewesen, Geld für gemeinnützige Zwecke auszugeben. Dem Ranking der britischen Charities Aid Foundation (CAF) zufolge belegt China von insgesamt 145 untersuchten Ländern gerade einmal den vorletzten Platz. Selbst in Angola, Nepal oder Burundi spenden die Menschen relativ zu ihrem Einkommen mehr als in China.
Das US-Wirtschaftsmagazin Forbes hat ausgerechnet, dass die Chinesen 2016 nicht einmal bereit waren, 0,03 Prozent ihrer jährlichen Wirtschafts- leistung für wohltätige Zwecke auszugeben. Zum Vergleich: Die Deutschen spendeten im selben Jahr rund 1,7 Prozent, die US-Amerikaner fast zwei Prozent. Selbst in Indien ist die Spendenbereitschaft mit rund einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts um ein Vielfaches höher als in China.
Ein Grund für die geringe Spendenbereitschaft: Die meisten wohlhabenden Chinesen sind noch nicht sehr lang reich. Sie haben ihr Vermögen innerhalb sehr kurzer Zeit gemacht. Viele von ihnen denken: Wie gewonnen, so zerronnen. So schnell sie das Geld verdient haben, so rasch kann es wieder weg sein. Zukunftssorgen. So sieht es auch Millionär Yang Cong. Das Geschäft mit Luxusuhren würde bei weitem nicht mehr so rund laufen wie etwa noch vor drei oder vier Jahren, sagt er. Die Antikorruptionskampagne der Regierung habe dazu geführt, dass viele sich nicht mehr trauten, mit teuren Uhren herumzulaufen. Er und seine Familie wissen, wie sich Armut anfühlt. Noch zu Beginn der 1990er-Jahre mussten sie in einer Wellblechhütte unter einer Brücke hausen. Seine Familie in der Heimatprovinz Fujian begann dann später, Armbänder für Uhren herzustellen. Er war in Peking für den Vertrieb zuständig. Aus dem Verkauf von Armbanduhren, wurde der Verkauf von Uhren aus Plastik und billigem Metall, später dann aus Edelstahl, Keramik und Gold. „Politische und wirtschaftliche Vorgaben können unser gut laufendes Geschäft jederzeit wieder zunichte machen“, sagt er.
Er ist nicht der einzige, der den derzeitigen Verhältnissen nicht über den Weg traut: Viele seiner reichen Landsleute vertrauen weder den staatlichen Institutionen, noch den wenigen privaten Initiativen. Vor 2012 waren mehrere Fälle bekannt geworden, in denen die Initiatoren Spendengelder einsammelten, dann aber untertauchten. Die Regierung ließ diese vermeintlichen Wohlfahrtsorganisationen verbieten, zum Teil aber auch jene, die sich ehrlich für die Allgemeinheit einsetzten.
Philanthropie ist in China aber traditionell nur wenig verankert. Geholfen wird vorwiegend der eigenen Sippe – die zumindest in alten Zeiten oft recht groß war. Mit dem Glauben dürfte die Knausrigkeit allerdings nur we- nig zu tun haben. Am Konfuzianismus kann es zumindest nicht liegen. In anderen konfuzianisch geprägten Länder wie Südkorea oder Taiwan ist die Anteilnahme für Hilfsbedürftige sehr viel größer. Und auch auf den Buddhismus, der in China nach wie vor weit verbreitet ist, lässt sich der Geiz nicht zurückführen. Im Gegenteil: In buddhistischen Ländern wie Burma oder Bhutan wird ebenfalls viel mehr gespendet.
Einzig der Kommunismus lässt Rückschlüsse auf den Geiz der Chinesen zu. In den 1950er- und 60er-Jahren unter Mao Tsetung gab es in China offiziell gar keine Armut. Deswegen durfte es auch keine unabhängigen Hilfsorganisationen geben. Auch nach der wirtschaftlichen Öffnung in den Achtzigerjahren hielt der Gedanke an, der Staat würde sich schon um die Notbedürftigen kümmern. In Russland haben die kommunistischen Herrscher den Bürgern ebenfalls über Jahre vorgetäuscht,