Asterix: Die Lust an historischer Anarchie
2017 ist ein Asterix-Jahr: Uderzo wird 90 und ein neuer Band erscheint. Wie aus den Fantasiekelten der Nationalisten die berühmten Comic-Gallier wurden, wie sie Flügelhelme bekamen und warum man »Asterix« lang für unübersetzbar hielt.
Was wäre passiert, hätte in Frankreich 1958 nicht gerade ein Zeichner an einem Comic zu Reineke Fuchs gearbeitet? Vielleicht hätte es dann Asterix und Obelix nie gegeben. Denn Goscinny und Uderzo wollten sich den Reineke-Stoff für die neue Jugendzeitschrift „Pilote“vornehmen, bemerkten, dass ihnen schon jemand zuvorgekommen war, und suchten nun nach einer anderen Geschichte, um mit klassischem Bildungsgut zu spielen. Sie landeten bei den vermeintlichen Urfranzosen, den Kelten, und ihrem Kampf gegen Rom.
Diesen Herbst erscheint „Asterix in Italien“, der 37. Band der Serie, über den man noch kaum mehr weiß als den Schauplatz. Es ist der dritte Band, seitdem Uderzo 2013 die Autorschaft an Jean-Yves Ferri und Didier Conrad übergeben hat. Den beiden gelang es tatsächlich, eigenständig und kreativ an den Geist der alten Asterix-Bände anzuknüpfen. „Asterix bei den Pikten“litt noch unter der Zeitnot des zunächst nicht vorgesehenen Zeichners Conrad, doch „Der Papyrus des Cäsar“gilt vielen zu Recht als bester Asterix seit 1977.
Damals starb Rene´ Goscinny, Sohn polnischer jüdischer Eltern, der nach einem vergeblichen Versuch, für Walt Disney zu arbeiten, in Frankreich erfolgreich geworden war (unter anderem als Texter von „Lucky Luke“und „Der kleine Nick“) – und mit „Asterix“weltberühmt. Unter der Alleinherrschaft von dessen Kompagnon Uderzo, der demnächst 90 Jahre alt wird, führte Asterix dann ein vergleichsweise kümmerliches Dasein, begegnete Aliens (in „Gallien in Gefahr“) und grotesk überzeichneten „Emanzen“(in „Asterix und Maestria“, nur eines von vielen Beispielen für Uderzos reaktionäre Ansichten). Zum Qualitätsschwund kam ein schrecklicher Rechtsstreit zwischen dem Autor und seiner Tochter, bei dem es um die Zukunft der „Asterix“-Serie, vor allem aber um viel Geld ging.
In Paris landete der geniale Goscinny, weil er bei Walt Disney keinen Platz fand.
Obelix braucht mehr Platz. Besser, man erinnert sich an die goldenen Anfänge. „Asterix“begeisterte von seinen ersten Seiten in der Zeitschrift „Pilote“(1959) an. 1961 erschien der erste Band, ein bis zwei Bände jährlich folgten. Von „Asterix und Kleopatra“erschienen bereits 100.000 Stück, im selben Jahr benannten die Franzosen ihren ersten Satelliten inoffiziell nach dem kleinen Gallier. Band neun und zehn erschienen in Millionenauflage. Einiges – nicht viel – erhielt erst allmählich seine heute vertraute Form: Majestix tauchte erst in „Asterix und die Goten“auf (dem chronologisch dritten Band), Asterix hatte anfangs mehr Bart und einen härteren Unterkiefer, Troubadix durfte noch beim Essen aufsingen etc. Am meisten veränderte sich Obelix, der ursprünglich als Nebenfigur geboren wurde – mit wirren roten Haaren, geringerer Körperfülle und langem Schnauzbart.
„Ich lasse mir meine Orgien vom großen Fellinius inszenieren“, heißt es in „Asterix bei den Schweizern“(1970), ein Jahr nach Fellinis in Orgienbildern schwelgendem Rom-Film „Satyricon“. Zeitgenössische Filme gehörten zu den wichtigsten Inspirationsquellen der Serie: von „Caesar und Kleopatra“mit Liz Taylor, den Antikenfilmen überhaupt, bis hin zu den Wikingerfilmen der Fünfzigerjahre („Asterix bei den Normannen“). Vor allem aber war „Asterix“eine urfranzösische Angelegenheit – was man über der zwar erst Ende der Sechzigerjahre, aber dann umso stärker ausgebrochenen Asterix-Begeisterung im deutschsprachigen Raum fast vergessen könnte. Dass das Thema zu einem der Bände, „Asterix bei den Schweizern“, von einem französischen Premierminister kam (Georges Pompidou), ist bezeichnend. Viele hielten „Asterix“sogar für unübersetzbar, so sehr strotzt das Original von für das Ausland unverständlichen Anspielungen.
Dass Goscinny und Uderzo ein wildes Spiel mit nationalen Mythen trieben, daran erinnert auch der Althistoriker Jörg Fündling in seinem neuen, kurzweiligen Rückblicksbuch „Asterix. 100 Seiten“(Reclam). „Nun, junger Mann, wer waren unsere Vorfahren?“, heißt es am Beginn von „Die goldene Sichel“– der so Gefragte ist naturgemäß ratlos. Für die Franzosen war das noch bis zum Zweiten Weltkrieg eine wichtige Frage, lange hatte man sich stolz auf die Römer zurückgeführt, im Lauf des nationalistischen 19. Jahrhunderts aber wurden sie durch die angeblich so heldenhaften und anständigen Kelten ersetzt. Napoleon III. ließ eine riesige Statue des Keltenführers Vercingetorix errichten, eine spätere Statue zeigte ihn zum ersten Mal mit dem ganz unhistorischen Flügelhelm (vielleicht eine Antwort auf den Adlerhelm Wilhelms II.). Dieser fand sich bald auf der 1910 gegründeten Zigarettenmarke Gauloises wieder – und später eben auf vielen Gallierköpfen in den „Asterix“-Bänden. „Ich kenne kein Alesia!“Die Fantasiekelten romantischer Nationalisten haben Goscinny und Uderzo inspiriert, so wie sie auf Gemälden, als Statuen und in französischen Schulbüchern porträtiert wurden und sogar noch etwas über den Zweiten Weltkrieg hinaus weiterlebten. Das ironische Spiel mit Patriotismus, französischer Geschichte und historischen Mythen beschränkte sich natürlich nicht aufs 19. Jahrhundert. Wenn Majestix etwa in „Asterix und der Arvernerschild“beteuert, nichts von einem Ort namens Alesia zu wissen („Alesia? Ich kenne kein Alesia! Ich weiß nicht, wo Alesia liegt! Niemand weiß, wo Alesia liegt!“), ist nicht nur von einem Ort die Rede, wo die Gallier unter Vercingetorix einst vernichtend geschlagen wurden. Franzosen konnten darin auch eine Anspielung auf die Kollaborationsregierung des Zweiten Weltkriegs in Vichy erkennen, und den Nachkriegsmythos von einem sich kollektiv im Widerstand befindenden Frankreich. (Vichy kommt mit seinem lateinischen Namen, Aquae Calidae, im Band auch vor, Majestix wird dorthin zur Kur gebracht.)
Dass „Asterix“später gerade in Deutschland reüssierte, ist direkt erstaunlich. Denn es ist auch ein Dokument der in Frankreich nicht erst seit