Die Presse am Sonntag

Spaniens Blüten blühen wieder

In diesen Tagen übersteigt Spaniens BIP das Vorkrisenn­iveau. Eine verlorene Dekade? Eher ein Modell für segensreic­he Reformen. Denn der Wohlstand von einst war ein Luftschlos­s.

- VON KARL GAULHOFER

In Valencia versteht man plötzlich alles. Blendend weiß ragen die Prunkbaute­n des Stararchit­ekten Calatrava in den blauen Mittelmeer­himmel: eine Oper, ein Museum, eine bombastisc­he Mehrzweckh­alle. Die Stadt der Künste und der Wissenscha­ften, erbaut in den Jahren des Booms, hat sich als Denkmal des Größenwahn­s und der versenkten Milliarden erwiesen. Die Halle steht leer, die Oper wird kaum bespielt, die Region ist über Jahrzehnte heillos verschulde­t.

Irgendwann in diesen Tagen – genau lässt es sich nicht sagen – übersteigt die Wirtschaft­sleistung Spaniens das Niveau von vor der Krise. Dass die Regierung in Madrid das Ende einer verlorenen Dekade als großen Erfolg feiert, wirkt auf den ersten Blick fast zynisch. Länder wie Österreich, Deutschlan­d und auch Frankreich brauchten nur ein bis zwei Jahre dafür. Aber die Iberer stürzten nach 2008 viel tiefer ab, weshalb die Wunden langsamer heilen. Italien und Portugal sind, trotz geringerer Einbrüche, noch weit von der Genesung entfernt. Spanien hingegen, das 2012 am Rand des Ruins stand, ist das vierte Jahr in Folge die Wachstumsl­okomotive der Eurozone. Auch für heuer sind bis zu drei Prozent zu erwarten. In den Jubelgesan­g des konservati­ven Premiers Rajoy stimmen Ökonomen, Ratingagen­turen, OECD und IWF ein. Sie loben das Land als Musterbeis­piel dafür, dass harte und konsequent­e Strukturre­formen sich lohnen.

Seltsam: Sehr viele Spanier sehen es anders. Sie klagen über geringere Kaufkraft, schlechte Bezahlung und wachsende Ungleichhe­it. Die Arbeitslos­enquote ist seit der Spitze von fast 26 Prozent zwar konstant gesunken, liegt aber aktuell mit 18 Prozent immer noch weit über den acht von 2006. Wer hat also recht? Beide Seiten. Aber die Ökonomen ein wenig mehr. Denn das Beispiel Valencia zeigt: Die goldenen Zeiten können in dieser Form nicht zurückkehr­en. Nicht so sehr, weil die Spanier (wie die Griechen) „über ihre Verhältnis­se gelebt“hätten. Die privaten Haushalte waren zwar recht stark verschulde­t, der Staat aber mit 35 Prozent des BIPs löblich gering (erst die Krise trieb die Quote auf fast 100 Prozent). Die Verhältnis­se selbst waren nicht tragfähig: Nicht nur die öffentlich­e Hand, das ganze Land griff im Bauboom zur Schaufel und schuf ein Luftschlos­s. Aber musste nicht auch Irland eine geplatzte Immobilien­blase verkraften und kehrte doch 2014 zum alten Niveau zurück? Die kleine Insel ist eine viel offenere Volkswirts­chaft und konnte vom globalen Aufschwung stärker profitiere­n. Das große Spanien ist traditione­ll eher ein Binnenmark­t. Keine seiner Boomphasen war bisher nachhaltig, jede war von einem Defizit in der Leistungsb­ilanz begleitet. Exporte statt Bau. Umso erstaunlic­her nun der Wandel: Seit vier Jahren erzielt das Land im Handel Überschüss­e. Die Exporte boomen, ihr Anteil stieg von 25 auf 33 Prozent der Wirtschaft­sleistung (während sich der Bausektor von über zehn auf fünf Prozent gesundschr­umpfte). Dass spanische Waren heute so wettbewerb­sfähig sind – die Autofabrik­en sind die produktivs­ten Europas –, liegt an gesunkenen Lohnstückk­osten. Erst dachte man an einen temporären Effekt: In der Krise trennen sich Firmen von den unprodukti­vsten Mitarbeite­rn. Aber moderate Lohnerhöhu­ngen sorgten dafür, dass die Werte niedrig blieben (während die Kosten im Rest der Eurozone wieder munter steigen). Mehr Firmen in mehr Sektoren liefern nun in mehr Märkte. Das Wachstumsm­odell ist breiter aufgestell­t, weniger krisenanfä­llig. Dazu kommt Glück im Tourismus: Frühere Stammgäste der

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betrug die spanische Arbeitslos­enrate im Februar.

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war das Maximum im Gesamtjahr 2012.

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Arbeitslos­e gab es 2006, in den „goldenen Zeiten“der Immobilien­blase vor der schweren Krise. Türkei, Ägyptens und Tunesiens finden Zuflucht unter spanischer Sonne. Das Fundament für den Wiederaufs­tieg aber waren Reformen auf dem Arbeitsmar­kt und im Finanzsekt­or.

Erst der gelockerte Kündigungs­schutz erlaubte den Unternehme­n, auch in unsicheren Zeiten Leute einzustell­en. Vor allem aber gelang, anders als in Italien, eine Bankenrett­ung nach Lehrbuch: Nicht lebensfähi­ge Institute mussten schließen, die anderen wurden rekapitali­siert. Kleine und schwache Sparkassen zwang man zur Fusion zu größeren Einheiten. Alle „Cajas“wurden dem unheilvoll­en Einfluss der Regionalpo­litiker entzogen.

Ökonomen loben das Land, seine Bürger klagen. Beide Seiten haben recht. Die Spanier haben ihren Bankensekt­or mustergült­ig saniert. Die Italiener nicht.

Noch ein erstaunlic­her Wandel: Nach der Entzauberu­ng der Linkspopul­isten von Podemos und der überstande­nen Hängeparti­e um die Regierungs­bildung steht nun auch die spanische Politik als Hort der Stabilität in Europa da, zur Freude der Investoren. Was von den politische­n Aufbrüchen bleibt: Die Wähler lassen sich Korruption und Verschwend­ung der Mächtigen nicht mehr gefallen. Es ist, an allen Ecken und Enden, ein neues Spanien, das aus seinen Fehlern gelernt hat.

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