Spaniens Blüten blühen wieder
In diesen Tagen übersteigt Spaniens BIP das Vorkrisenniveau. Eine verlorene Dekade? Eher ein Modell für segensreiche Reformen. Denn der Wohlstand von einst war ein Luftschloss.
In Valencia versteht man plötzlich alles. Blendend weiß ragen die Prunkbauten des Stararchitekten Calatrava in den blauen Mittelmeerhimmel: eine Oper, ein Museum, eine bombastische Mehrzweckhalle. Die Stadt der Künste und der Wissenschaften, erbaut in den Jahren des Booms, hat sich als Denkmal des Größenwahns und der versenkten Milliarden erwiesen. Die Halle steht leer, die Oper wird kaum bespielt, die Region ist über Jahrzehnte heillos verschuldet.
Irgendwann in diesen Tagen – genau lässt es sich nicht sagen – übersteigt die Wirtschaftsleistung Spaniens das Niveau von vor der Krise. Dass die Regierung in Madrid das Ende einer verlorenen Dekade als großen Erfolg feiert, wirkt auf den ersten Blick fast zynisch. Länder wie Österreich, Deutschland und auch Frankreich brauchten nur ein bis zwei Jahre dafür. Aber die Iberer stürzten nach 2008 viel tiefer ab, weshalb die Wunden langsamer heilen. Italien und Portugal sind, trotz geringerer Einbrüche, noch weit von der Genesung entfernt. Spanien hingegen, das 2012 am Rand des Ruins stand, ist das vierte Jahr in Folge die Wachstumslokomotive der Eurozone. Auch für heuer sind bis zu drei Prozent zu erwarten. In den Jubelgesang des konservativen Premiers Rajoy stimmen Ökonomen, Ratingagenturen, OECD und IWF ein. Sie loben das Land als Musterbeispiel dafür, dass harte und konsequente Strukturreformen sich lohnen.
Seltsam: Sehr viele Spanier sehen es anders. Sie klagen über geringere Kaufkraft, schlechte Bezahlung und wachsende Ungleichheit. Die Arbeitslosenquote ist seit der Spitze von fast 26 Prozent zwar konstant gesunken, liegt aber aktuell mit 18 Prozent immer noch weit über den acht von 2006. Wer hat also recht? Beide Seiten. Aber die Ökonomen ein wenig mehr. Denn das Beispiel Valencia zeigt: Die goldenen Zeiten können in dieser Form nicht zurückkehren. Nicht so sehr, weil die Spanier (wie die Griechen) „über ihre Verhältnisse gelebt“hätten. Die privaten Haushalte waren zwar recht stark verschuldet, der Staat aber mit 35 Prozent des BIPs löblich gering (erst die Krise trieb die Quote auf fast 100 Prozent). Die Verhältnisse selbst waren nicht tragfähig: Nicht nur die öffentliche Hand, das ganze Land griff im Bauboom zur Schaufel und schuf ein Luftschloss. Aber musste nicht auch Irland eine geplatzte Immobilienblase verkraften und kehrte doch 2014 zum alten Niveau zurück? Die kleine Insel ist eine viel offenere Volkswirtschaft und konnte vom globalen Aufschwung stärker profitieren. Das große Spanien ist traditionell eher ein Binnenmarkt. Keine seiner Boomphasen war bisher nachhaltig, jede war von einem Defizit in der Leistungsbilanz begleitet. Exporte statt Bau. Umso erstaunlicher nun der Wandel: Seit vier Jahren erzielt das Land im Handel Überschüsse. Die Exporte boomen, ihr Anteil stieg von 25 auf 33 Prozent der Wirtschaftsleistung (während sich der Bausektor von über zehn auf fünf Prozent gesundschrumpfte). Dass spanische Waren heute so wettbewerbsfähig sind – die Autofabriken sind die produktivsten Europas –, liegt an gesunkenen Lohnstückkosten. Erst dachte man an einen temporären Effekt: In der Krise trennen sich Firmen von den unproduktivsten Mitarbeitern. Aber moderate Lohnerhöhungen sorgten dafür, dass die Werte niedrig blieben (während die Kosten im Rest der Eurozone wieder munter steigen). Mehr Firmen in mehr Sektoren liefern nun in mehr Märkte. Das Wachstumsmodell ist breiter aufgestellt, weniger krisenanfällig. Dazu kommt Glück im Tourismus: Frühere Stammgäste der
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betrug die spanische Arbeitslosenrate im Februar.
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war das Maximum im Gesamtjahr 2012.
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Arbeitslose gab es 2006, in den „goldenen Zeiten“der Immobilienblase vor der schweren Krise. Türkei, Ägyptens und Tunesiens finden Zuflucht unter spanischer Sonne. Das Fundament für den Wiederaufstieg aber waren Reformen auf dem Arbeitsmarkt und im Finanzsektor.
Erst der gelockerte Kündigungsschutz erlaubte den Unternehmen, auch in unsicheren Zeiten Leute einzustellen. Vor allem aber gelang, anders als in Italien, eine Bankenrettung nach Lehrbuch: Nicht lebensfähige Institute mussten schließen, die anderen wurden rekapitalisiert. Kleine und schwache Sparkassen zwang man zur Fusion zu größeren Einheiten. Alle „Cajas“wurden dem unheilvollen Einfluss der Regionalpolitiker entzogen.
Ökonomen loben das Land, seine Bürger klagen. Beide Seiten haben recht. Die Spanier haben ihren Bankensektor mustergültig saniert. Die Italiener nicht.
Noch ein erstaunlicher Wandel: Nach der Entzauberung der Linkspopulisten von Podemos und der überstandenen Hängepartie um die Regierungsbildung steht nun auch die spanische Politik als Hort der Stabilität in Europa da, zur Freude der Investoren. Was von den politischen Aufbrüchen bleibt: Die Wähler lassen sich Korruption und Verschwendung der Mächtigen nicht mehr gefallen. Es ist, an allen Ecken und Enden, ein neues Spanien, das aus seinen Fehlern gelernt hat.