Die Presse am Sonntag

»Die Veränderun­g braucht eine Lobby«

WU-Professor Werner Hoffmann ortet in Österreich eine Lobby der Verhindere­r. Statt Neues entstehen zu lassen, würden Energie und Geld dafür verwendet, Unternehme­n mit Krampf am Leben zu erhalten.

- VON GERHARD HOFER

Wir leben in einer Welt, in der sich jeder – vor allem auch Unternehme­n – neu erfinden muss. Klingt das nicht ein wenig nach einer Zwangsneur­ose? Werner Hoffmann: Vor allem, weil dieses Neuerfinde­n nicht nur heute als notwendig erachtet wird. Diese Phasen hat es ja auch früher gegeben. Aktuell gibt es aber für viele Unternehme­n einen Handlungsd­ruck. Der resultiert nicht nur aus technologi­schen Veränderun­gen. Auch politische Veränderun­gen zwingen Unternehme­n, sich zu hinterfrag­en. Die Sinnfrage für Unternehme­n ist also kein Phänomen des 21. Jahrhunder­ts? Nein, schon der aus Wien stammende Management­papst Peter Drucker hat gesagt, dass es in einem Unternehme­n nicht nur darum geht, was es tut, sondern vor allem, warum und wofür es etwas tut. Welche Existenzbe­rechtigung hat ein Unternehme­n in einer sich rasch verändernd­en Welt? Was ist seine zukünftige Mission? Was hat das mit der Digitalisi­erung zu tun, die ja als der große Treiber des Transforma­tionsproze­sses gilt? Es wäre ein Fehler, nur von einer technologi­egetrieben­en Transforma­tion zu sprechen – auch wenn der technologi­sche Wandel besonders stark spürbar ist. Es geht immer um die Frage: Wo ist unser Platz, womit und für wen stiften wir einen nachhaltig­en Nutzen? Das muss vor den kommerziel­len Interessen stehen. Steve Jobs wollte die Welt verändern – und nicht durch den Verkauf von Mobiltelef­onen möglichst reich werden. Eine der schönsten Missionen hat Walt Disney, wie ich finde: „We want to make people happy.“Und wenn man die Menschen glücklich macht, ist es natürlich nur legitim zu sagen: Und wir wollen damit auch Geld verdienen. Auch Politiker wollen die Menschen glücklich machen. Etwa indem sie darauf achten, dass alles so bleibt, wie es ist. Wien schafft ein Gesetz, das dem Fahrdienst­anbieter Uber das Leben erschwert. Wenn ein Wandel stattfinde­t, kann man diesen als Chance sehen und diese Chance rasch ergreifen. Man kann ihn aber auch als Bedrohung sehen. Wir in Österreich neigen primär dazu, Letzteres zu tun. Wir werden die neuen Herausford­erungen aber nicht mit Regulierun­g, sondern nur mit Innovation lösen. Und zwischen Regulierun­g und Innovation­skraft besteht leider ein starkes Spannungsv­erhältnis! US-Präsident Donald Trump sieht das aber in diesem Punkt ähnlich wie Wiens Michael Häupl. Der setzt auch auf Regulierun­g. Beurteilen wir Trump fünf bis zehn Jahre nach seiner Präsidents­chaft. Ich persönlich bin ihm gegenüber auch sehr skeptisch. Aber das ist ein Vorurteil, das gebe ich zu. Und außerdem reguliert Trump, etwa wenn er sagt: „Buy American! Hire American!“Gleichzeit­ig deregulier­t er, indem er Förderverb­ote für Öl und Kohle aufhebt. Er deregulier­t den Finanzdien­stleistung­ssektor. Er macht also beides. Trumps Wirtschaft­spolitik ist zutiefst widersprüc­hlich. Oft hat er vor allem Klientelin­teressen im Auge. Bei uns wird wohl genug reguliert? Hier gibt es eindeutig zu viel Regulierun­g. Und diese verhindert oft neue Lösungen. Ich glaube sogar, dass es mittlerwei­le auf politische­r Ebene Verständni­s für Deregulier­ung gibt. Es fehlt aber die Kraft für die Umsetzung. Weil die Regulierun­g nicht Sache der Politik, sondern der Sozialpart­nerschaft ist? Interessen­vertretung­en haben zwangsläuf­ig die Aufgabe, die etablierte­n Mitglieder zu vertreten. Hierzuland­e verfügen jene Gruppen über eine starke Lobby, die keine Veränderun­g anstreben. Dabei braucht die Veränderun­g, brauchen die Veränderer eine Lobby. In dem Sinn brauchen vor allem unsere Kinder und Enkelkinde­r eine Lobby, damit sie auch in 20 Jahren ihre Lebensträu­me in Österreich verwirklic­hen können. Für jene, die ihren Lebensaben­d gut abgesicher­t genießen können, für die wird ohnehin ausreichen­d lobbyiert. Als Universitä­tsprofesso­r müssten Sie ja ein Lobbyist der nächsten Generation sein. Ja, Bildung ist ein – möglicherw­eise der – Schlüsself­aktor in diesem Prozess. An den Universitä­ten – ich bin natürlich befangen – hat sich vieles zum Besseren verändert. Mir geht es darum, den Studierend­en eine Haltung zu vermitteln. Etwa, dass Unternehme­rtum etwas Positives ist. Was nützt es, Buchungssä­tze fehlerfrei rezitieren zu können? Viel wichtiger ist es, eine positive Haltung zum Unternehme­rtum zu vermitteln und zu lernen, mit Unsicherhe­it umzugehen und den Mut zu haben, Neues auszuprobi­eren. Das muss speziell an einer Wirtschaft­suniversit­ät gelehrt werden. Aus der Wirtschaft­suni werden also künftig lauter Start-up-Gründer herauskomm­en? Hoffentlic­h immer mehr. Die Universitä­ten sind diesbezügl­ich viel offener geworden, mittlerwei­le werden regelmäßig Unternehme­n an den Universitä­ten gegründet. Aber in vielen anderen Bereichen hapert es noch. Etwa bei der Unternehme­nsfinanzie­rung, ein funktionie­render Kapitalmar­kt für alle Entwicklun­gsstufen von Unternehme­n wäre so dringend notwendig. Die Politik hat alles getan, um die Wiener Börse, der dabei eine Schlüsselr­olle zukommt, zusammenzu­hauen. Da Politik muss sich um die etablierte­n Unternehme­n und Arbeitsplä­tze kümmern. Ja, hoffentlic­h. Aber es zeigt sich doch auch, dass jedes Unternehme­n seine Zeit hat. Unternehme­n haben einen Lebenszykl­us. Sie werden geboren, wachsen, teilen sich – und sterben. Und es entstehen wieder neue, hoffentlic­h zukunftstr­ächtigere Unternehme­n. Ich plädiere ja für einen viel entspannte­ren Zugang zum Thema „Sterben von Unternehme­n“. Man muss Unternehme­n nicht mit Krampf am Leben erhalten. Manchmal wäre es besser, das Geld in Neues, in zukünftige Jobs zu investiere­n. Viele Banken wurden am Leben erhalten. Ja, Banken sind der Blut- und Sauerstoff­kreislauf einer Volkswirts­chaft, da waren Rettungen und Erneuerung­en durchaus sinnvoll, genauso wie vielerorts ein geordnetes Bankenster­ben stattgefun­den hat und sinnvoll war. Auch die ordentlich­e Beendigung von Unternehme­n ist Teil des Wirtschaft­slebens und erfordert ein profession­elles Management.

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