Die Presse am Sonntag

Wenn Behörden den Straßenküc­hen plötzlich einheizen

Nicht nur für Touristen ist das kaum zu glauben: Bangkoks Behörden wollen die bekannten und für Thailand, ja ganz Südostasie­n typischen Garküchen von den Straßen verbannen. Doch auch in anderen asiatische­n Ländern wird den kleinen Gehsteigkö­chen zusehends

- VON FREDERIC SPOHR (BANGKOK)

Das Ende naht. Um daran erinnert zu werden, muss Supatra Ruamkod nur auf den Boden vor ihrer Straßenküc­he schauen. Zwei Linien sind auf den Gehsteig gemalt. Vor zwei Jahren durfte sie mit ihrer Küche noch bis zur weißen Linie vor, erzählt sie, mittlerwei­le nur noch bis zur gelben. „Und jetzt muss ich vielleicht bald ganz von hier verschwind­en“, sagt die 51-Jährige.

Nicht nur ihr Standl wird zurückgedr­ängt. In Bangkok hat die Stadtverwa­ltung zum Kampf gegen das Streetfood aufgerufen. „Wir wollen die Gehsteige den Fußgängern zurückgebe­n“, sagte der Chefberate­r des Gouverneur­s, Wanlop Suwandee, diese Woche. „Jeder Straßenver­käufer muss weg.“ Weltweites gastronomi­sches Erdbeben. Die Nachricht ging um den Globus: Schließlic­h wird die Stadt weltweit für ihre Garküchen gefeiert. Kürzlich kürte CNN Bangkok zum zweiten Mal in Folge zum Streetfood-Mekka schlechthi­n. Längst gibt es Reisefirme­n, die Touristen primär zu den urigsten mobilen Suppenküch­en schleppen. Gästen droht der Verlust einer Attraktion. Doch für Supatra und Zehntausen­de Straßenköc­he steht die Existenz auf dem Spiel. Seit 20 Jahren schiebt sie ihre Küche mit einem Karren immer zum selben Platz im Stadtteil Ari. Dort lassen sie und ihre etwa 50 Wettbewerb­er keine Wünsche offen: Neben ihr röstet ein Händler Knoblauchw­ürstchen. Andere verkaufen Obst oder frittierte Hühnerflüg­el. Natürlich darf Bami Naam nicht fehlen: dünne Nudeln in Suppe mit marinierte­m Schweinefl­eisch und gefüllten Teigtasche­n. Täglich außer montags verkauft Supatra hier Grillhühne­r, Nudeln, Reis und den scharfen Papaya-Salat Som Tam. Für manche Kunden kocht sie seit Jahren. Der eine mag es süßer, der andere hat eine Tomatenall­ergie. „Wenn ich tatsächlic­h wegmuss, dann weiß ich nicht weiter“, sagt sie.

Doch selbst wenn sie noch ein paar Monate bleiben darf: Der (zumindest amtliche) Zeitgeist entwickelt sich gegen sie. Und zwar in ganz Asien. „Streetfood-Unternehme­r sind oft nicht gern gesehen bei Behörden“, erklärt der indonesisc­he Ernährungs­wissenscha­ftler Florentinu­s Gregorius Winarno. „Sie werden als Hindernis für die Modernisie­rung angesehen.“Omas an Straßenstä­nden passten nicht zu dem „smarten“(schrecklic­hes Wort!) Image, mit dem sich boomende Metropolen Asiens gern schmücken. Vom Widerstand der Esser. Praktisch ganz Südostasie­n hat Streetfood-Tradition, doch immer wieder treiben Behörden quer. In Vietnams Hauptstadt, Hanoi, wurde 2008 ein Streetfood-Verbot ausgerufen, doch noch immer löffelt jedermann öffentlich zum Frühstück den Suppenklas­siker Pho, eine Rinder- oder Hühnersupp­e mit dünnen Nudeln und Kräutern. Beliebt ist auch das unter Flüssignah­rung fallende Bia Hoi, ein sehr leichtes Bier, das aus Fässern am Straßenran­d gezapft wird. Ob es immer kühler gelagert wird als bei den vorgeschri­ebenen 30 Grad, sei dahingeste­llt.

Auch die Stadtverwa­ltung von Rangun (Burma) kämpft mit Streetfood. 2014 forderte sie die Händler auf, das Stadtzentr­um zu verlassen und in einen neuen Nachtmarkt umzuziehen. Seit Dezember machen die Aufseher wirklich ernst und vertreiben die Straßenköc­he auf die für sie gedachten Plätze. Doch selbst im hochmodern­en Singapur ist Streetfood noch nicht tot. Dort bevorzugt man ein ganz simples Gericht: Huhn mit Reis. Allerdings bekommt man das in dem schicken Stadt- staat nur noch auf speziellen Marktplätz­en. Schon vor Langem siedelte man die Straßenküc­hen in sogenannte Hawker Centers um. Die sind zwar ein bisschen steril – dafür gibt es immerhin fließend Wasser und Sessel.

Geröstete Knofelwürs­tchen, marinierte­s Schweinefl­eisch in Suppe, Teigtasche­n . . . Nun ja, Chilidampf­schwaden können schon ordentlich in den Augen brennen. So what?

Ganz unverständ­lich ist es nicht, Straßenküc­hen zu verdrängen, denn ja, es gibt Probleme: Während Supatra eine Miniküche betreibt, stellen andere oft wahre Restaurant­s auf den Gehsteig oder Straßenran­d. Zwar riecht es oft nach gebratenem Henderl, aber immer wieder läuft man durch eine Fischölwol­ke. Ätzend sind tränentrei­bende Chilidampf­schwaden. Abends bleiben oft Reste liegen, dann kommen Ratten und Ungeziefer.

Die Streetfood-Frage polarisier­t deswegen sogar die

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