Die Presse am Sonntag

Auf Musters Spuren: Wie ein Österreich­er die Tenniswelt erobert

Erstmals seit über 20 Jahren zählt bei den heute beginnende­n French Open in Paris wieder ein Österreich­er zum Kreis der Titelanwär­ter. Der Aufstieg von Tennis-Ass Dominic Thiem (23) ist weder Zufall noch kaum zu erklärende Sensation, sondern vielmehr das

- VON CHRISTOPH GASTINGER

Paris, 11. Juni 1995. Im Stade Roland Garros, so heißt der gewaltige und altehrwürd­ige Tenniskomp­lex im 16. Arrondisse­ment der Stadt, schrieb ein Österreich­er an jenem Sonntagnac­hmittag ein Stück Sportgesch­ichte. Der Steirer Thomas Muster besiegte im Finale der French Open, dem bedeutends­ten auf Sandplatz ausgetrage­nen Tennisturn­ier der Welt, den US-Amerikaner Michael Chang in drei Sätzen. Muster ist bis heute der einzige österreich­ische Spieler, der je einen Grand Slam, also eines der vier wichtigste­n Turniere des Jahres, im Einzel gewinnen konnte. Im Februar 1996 stieg Muster, ein Linkshände­r, 28-jährig sogar zur Nummer eins der Tenniswelt auf. Die Euphorie in der Heimat war groß, Muster ein Nationalhe­ld. Tennis boomte, das Spiel mit der gelben Filzkugel begeistert­e hierzuland­e die Massen.

Über zwei Jahrzehnte später ist erneut ein Österreich­er im Begriff, weit über die Landesgren­zen hinausreic­hende Schlagzeil­en zu liefern. Der 23-jährige Dominic Thiem zählt bei den heute beginnende­n 116. French Open nach zuletzt außergewöh­nlichen Leistungen zum kleinen Kreis der Titelanwär­ter. Nicht wenige sehen in ihm sogar den ersten Herausford­erer von Rafael Nadal, der Spanier ist mit neun Paris-Triumphen Rekordhalt­er am Bois de Boulogne und der mit Abstand beste Sandplatzs­pieler der Saison.

Als Muster im Juni 1995 den schicken Siegerpoka­l Coupe des Mousquetai­res gen Pariser Himmel streckte, war Thiem keine zwei Jahre alt. Ausschnitt­e des historisch­en Finalspiel­s sah der Niederöste­rreicher erstmals etliche Jahre später auf einer Videokasse­tte. „Für einen richtigen Muster-Fan war ich zu jung“, sagt Thiem. Vielleicht war das auch ganz gut so. Stefan Koubek (höchste Ranglisten­platzierun­g: 20) und Jürgen Melzer (8), die vor Thiem besten heimischen Spieler in der PostMuster-Ära, wurden zeit ihrer Karrieren am 44-fachen Turniersie­ger aus Leibnitz gemessen. Noch größere Er- wur†e 2011 Profi un† bestritt bis 2013, be†ingt †urch seine Weltanglis­tenplatzie­rung, nur gelegentli­ch Turniere auf †er ATP-Tour. 2014 gelang ihm †er Durchbruch in †ie erweiterte Weltklasse un† auch †er rasche Vorstoß in †ie Top 100. Seit†em steigert sich Österreich­s jüngster Tenniscrac­k jährlich. folge der beiden scheiterte­n mitunter an der immensen öffentlich­en Erwartungs­haltung und dem ständigen Heranziehe­n von Vergleiche­n. Thiem hatte diese Generation übersprung­en, der „Presse am Sonntag“erklärt er: „Das Gefühl, als Spieler heute noch an Muster und seinen unglaublic­hen Erfolgen gemessen zu werden, habe ich nicht. Mein Glück ist, dass sein Paris-Titel bereits über 20 Jahre zurücklieg­t.“

Dominic Thiem ist gegenwärti­g damit beschäftig­t, seine eigene, glanzvolle Geschichte zu schreiben. Der Aufstieg des Rechtshänd­ers zur Nummer sieben der Weltrangli­ste war weder rasant noch höchst verwunderl­ich, er ist schlichtwe­g das Produkt harter und kontinuier­licher Arbeit über einen mittlerwei­le beträchtli­ch langen Zeitraum. Als Architekt des Erfolgs gilt Thiems Trainer, Günter Bresnik. Der gebürtige Wiener ist ein weltweit anerkannte­r Fachmann, in der Vergangenh­eit feilte er bereits an Vorhand und Volley von Größen wie Boris Becker, Henri Leconte oder Patrick McEnroe. Als sein Meisterwer­k bezeichnet Bresnik allerdings die Arbeit mit Thiem. RŻ©ikŻler WŻn©el. Erstmals kreuzten sich die Wege von Bresnik und Thiem um die Jahrtausen­dwende. Vater Wolfgang Thiem war damals wie heute als Trainer in Bresniks Tennisschu­le in der Südstadt beschäftig­t, als eines Tages der Chef höchstpers­önlich auf den schüchtern­en, aber ganz offensicht­lich ausgesproc­hen talentiert­en Burschen aufmerksam wurde. Aus ein paar wenigen Ballwechse­ln entwickelt­en sich intensiver­e gemeinsame Trainingse­inheiten, bald stellten sich erste Erfolge ein. Von der U9 bis zur U11 war Thiem die unangefoch­tene Nummer eins Österreich­s. Sein Spielstil? Die Vorhand war passabel, aber die beidhändig­e Rückhand konnte er stundenlan­g über das Netz spielen. Die Konkurrent­en verzweifel­ten reihenweis­e. In der Regel machte aber nicht Thiem die Punkte in Form von Gewinnschl­ägen, sondern sein Gegner die Fehler.

Im Frühjahr 2005 erkannte Bresnik trotz des anhaltende­n Erfolgs die Notwendigk­eit einer Veränderun­g, er sah ein natürliche­s Ablaufdatu­m im Spiel des damals Elfjährige­n. „Ab jetzt machen wir’s g’scheit“, erklärte und forderte der Tennislehr­er, der das Spiel Thiems nun radikal umkrempelt­e.

Fehler zu vermeiden galt nicht länger als oberste Prämisse, stattdesse­n sollte sein Schützling die Initiative ergreifen, unentwegt versuchen, Winner, also direkt zum Punktgewin­n führende Schläge, anzubringe­n. Um jeden Preis. In Bresniks Kopf entstand erstmals das Bild eines zukünftige­n Weltklasse­spielers. Und er wusste nur allzu gut, was es dafür brauchte.

Der Neuausrich­tung fiel auch die so sicher geschlagen­e, beidhändig­e Rückhand zum Opfer. Sie sollte Thiem künftig nur mit einer Hand spielen. Und mit hohem Risiko. „Volle Post“, wie Bresnik es im Buch „Die DominicThi­em-Methode“beschrieb. Der spielerisc­he 180-Grad-Wandel blieb nicht ohne, zunächst fatale, Folgen. Thiem verlor nun gegen Spieler, die er zuvor noch problemlos besiegt hatte. Zwei Jahre lang hagelte es Niederlage­n. „Der Bresnik hat den Thiem umgebracht“, hörte man andere Jugendtrai­ner sagen. Es dauerte über drei Jahre, bis Thiem im nationalen Bereich wieder zur Nummer eins aufstieg.

Rückblicke­nd war Bresniks Umstellung nichts anderes als eine gewinnbrin­gende Investitio­n in die Zukunft, wohl wissend, welches Risiko er damit einging. Thiem hätte die Freude am Spiel verlieren können, den Glauben an die eigenen Stärken, ja sogar an die Qualitäten seines Trainers. Die Basis der Arbeit aber war stets vollstes, im Grunde blindes Vertrauen. Bresnik hatte es geschafft, aus einem NichtVerli­erer-Typ einen Siegertyp zu formen.

Um die Karriere zu finanziere­n, verkaufte Großmutter Thiem eine Wohnung in Wien.

Kein Wun©erkin©. Die Entwicklun­g Dominic Thiems vom talentiert­en Jugendlich­en hin zum Weltklasse­spieler war eine konstante. Er gewann als Teenager weder die French Open wie es Rafael Nadal tat, noch versetzte er die Szene in jungen Jahren mit wiederkehr­enden Siegen über Topstars ins Staunen. Thiem verbessert­e sich

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Dominic Thiem, 23, hŻt sich nŻch etlichen ein©rucksvolle­n Siegen Żuf ©en SŻn©pl´tzen EuropŻs in ©en
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