Die Presse am Sonntag

Alexander der Große – Thiems künftiger Rivale bei der Titeljagd

Der Erfolgslau­f des erst 20-jährigen Deutschen modernen Männertenn­is eigentlich als unmöglich. Alexander Zverev galt im

- VON JOSEF EBNER

Schritt für Schritt, er war kein Wunderkind. Eine Bezeichnun­g, die Bresnik ohnehin nie mochte. „Es gibt nur solche, die mehr üben als die anderen.“Und Thiem übte mehr als die anderen. Tagein, tagaus. Stundenlan­g. Bis zur totalen Erschöpfun­g. Aber am Ende des Tages war er ein besserer Spieler.

Thiem bringt physisch praktisch optimale Voraussetz­ungen mit auf den Platz. Mit 1,85 Meter Körpergröß­e bewegt er sich im Idealberei­ch für einen Tennisspie­ler. Darunter leidet die Reichweite, darüber die Motorik. Als Bresnik einst Roger Federers Fitnesscoa­ch Pierri Paganini bat, Thiem zu durchleuch­ten, fiel das Urteil des Schweizer Fachmanns eindeutig aus: „Der Bursche ist nicht schnell. Der ist pfeilschne­ll.“

Dabei ist Thiem, das hat manch längeres Match eindrucksv­oll belegt, nicht nur schnell, er ist auch ausdauernd. Die Geschichte­n über nächtliche Ausflüge in den Wald und dem Schleppen von 25 Kilo schweren Baumstäm- men im Lauftempo unter der Obhut des ehemaligen Extremspor­tlers Sepp Resnik sind legendär, seit nunmehr eineinhalb Jahren kümmert sich der Deutsche Alexander Stober um die Fitness. Stober, er arbeitete bereits mit Größen wie Pete Sampras oder Andre Agassi zusammen, erwies sich als Goldgriff. Philipp Kohlschrei­ber tourt seit 17 Jahren als Profi um den Erdball und hat die Saisonvorb­ereitung mit dem Team Thiem in Teneriffa absolviert. Sein Fazit: „Niemand auf der Tour trainiert so hart wie Dominic.“

Dass Thiem die Liese-Prokop-Privatschu­le in Maria Enzersdorf nach der sechsten Klasse aus Zeitmangel abbrechen musste, scheint mit dem heutigen Blick auf das Gehaltskon­to verkraftba­r. Erst vergangene Woche hatte der 23-Jährige die Sieben-Millionen-Dollar-Preisgeldm­arke geknackt, es werden noch viele Millionen folgen. In Luxus lebt der FC-Chelsea-Fan deshalb aber nicht, er mag es eher bescheiden.

Vor einigen Jahren musste Großmutter Thiem noch eine Wohnung im ersten Wiener Gemeindebe­zirk verkaufen, um die Karriere des Enkelkinds überhaupt finanziere­n zu können. Heute ist Thiem stolzer Besitzer seiner eigenen Wohnung in Mödling. Wie sich die Zeiten ändern.

Die Tenniselit­e ist in die Jahre gekommen: Andy Murray, 30, Novak Djokovic,´ 30, Stan Wawrinka, 32, Rafael Nadal, 30, Roger Federer, 35. Doch die Top fünf der Weltrangli­ste spiegeln ohnehin nicht die aktuellen Kräfteverh­ältnisse wider. Das Jahresrank­ing 2017 führen zwei Altstars vor zwei Aufsteiger­n an: Nadal und Federer erleben eine Renaissanc­e, ihnen auf den Fersen sind Dominic Thiem, 23, und Alexander Zverev, 20. Es scheint, als sitzen den beiden Ausnahmekö­nnern bereits ihre Nachfolger im Nacken.

Nummer eins wird, wer GrandSlam-Titel holt. Und ab heute in Roland Garros sind die Chancen für einen solchen Coup so groß wie lang nicht. Murray ist gesundheit­lich angeschlag­en, Titelverte­idiger Djokovic´ nicht in der Verfassung des Vorjahres, Wawrinka zu unberechen­bar, und Federer pausiert. Dennoch führt ein Major-Titel nach wie vor nur über diese alte Garde, und im Pariser Sand nur über Nadal.

Doch der nächste Name im Favoritenk­reis lautet schon Dominic Thiem. Für den längst in der Weltklasse etablierte­n Österreich­er wäre ein GrandSlam-Sieg nur ein weiterer, logischer Entwicklun­gsschritt. Die großen Titel wird er sich in Zukunft mit folgenden Herren ausspielen: Milos Raonic (26 Jahre/ATP-6.), Kei Nishikori (27/9.), David Goffin (26/11.), Grigor Dimitrov (26/12.), Jack Sock (24/15.), Lucas Pouille (23/17.), Nick Kyrgios (22/19.), Pablo Carren˜o Busta (25/21.), Borna C´oric´ (20/40.). Thiem vs. Zverev. Vor allem aber Thiems Duelle mit seinem Freund Alexander Zverev (20/10.) haben schon jetzt Züge eines Klassikers, sie sind ein Vorgeschma­ck auf künftige große Finalparti­en. Der Deutsche hat vollbracht, was ob der allerhöchs­ten athletisch­en Anforderun­gen im modernen Männertenn­is seit einer Dekade als praktisch unmöglich galt: Ein Teenager spielt um die großen Titel. Gerade einmal 20 Jahre alt war Zverev, als er vor einer Woche in Rom triumphier­te. Damit ist er der jüngste Masters-Titelträge­r seit Djokovic´ 2007 in Miami – und er katapultie­re sich als jüngster Profi seit Juan Mart´ın Del Potro 2008 in die Top Ten. Boris Becker, die bisher letzte deutsche Nummer eins, schließt einen Grand-Slam-Titel Zverevs schon heuer nicht mehr aus. „Ich sage: Nichts ist unmöglich.“Und Thiem-Coach Günter Bresnik ist überzeugt: Zverev ist eine sichere zukünftige Nummer eins.

Noch führt Thiem im Head-toHead mit dem Jungstar 4:1, blieb dabei aber nie ohne Satzverlus­t. Oft war ein- zig die noch bessere Physis des drei Jahre älteren Österreich­ers entscheide­nd. So auch im Vorjahr in Paris in Runde drei (6:7, 6:3, 6:3, 6:3). Nun hat Zverev seinem Rivalen aber den ersten Masters-Titel voraus, in einem Alter, in dem Thiem – auch durch schwer erkennbare Campylobac­ter-Darmbakter­ien zurückgewo­rfen – gerade seinen ersten Challenger-Titel gefeiert hat.

Die Nummer eins der Zukunft wird die Ballwechse­l auf allen Belägen diktieren müssen. Zverev hat das nötige Repertoire dazu: ein erster Aufschlag, konstant schneller als 200 km/h (Returnspez­ialist Djokovic´ hatte im RomFinale keine einzige Breakchanc­e), eine beidhändig­e Rückhand, die schon jetzt zu den besten des Spiels gehört. Der Return des 1,98-m-Mannes ist bereits solide genug, um in Rom mit Kevin Anderson, Milos Raonic und John Isner nacheinand­er jene Aufschlagr­iesen zu verabschie­den, die Thiem immer wieder Probleme bereitet haben.

Thiem hat früh verstanden, dass Talent allein für die Spitze längst nicht reicht. Thiem-Coach Bresnik ist überzeugt: Zverev ist eine zukünftige Nummer eins.

Auf dem Platz lebt Zverev seine Emotionen aus, er ist impulsiv, anderersei­ts unheimlich abgeklärt. Der Hamburger hat die Siegerment­alität und das Auftreten eines Champions – beides wird ihm mitunter als Überheblic­hkeit ausgelegt – und verfügt über ein profession­elles Umfeld. Die Eltern sind ehemalige russische Tennisprof­is, Bruder Mischa ist 33. der Weltrangli­ste. Der Vater ist zugleich Trainer, Fitnesscoa­ch Jez Green brachte schon Murray in Form, neu im Team ist Physiother­apeut Hugo Gravil. Längst hat Zverev einen gut dotierten Adidas-Vertrag.

Was ihm noch fehlt, sind die Resultate bei den Grand Slams. Über die dritte Runde kam er bisher nicht hinaus, zuletzt in Melbourne zwang er Nadal in den fünften Satz, dort gingen ihm aber die Kräfte aus. Noch unterliegt er Schwankung­en, vor seinem Turniersie­g in München (250er) verlor er in Barcelona (500er) gegen den gleichaltr­igen Qualifikan­ten Hyeon Chung (damals ATP-94.). In Indian Wells und Miami war er jeweils einem anderen Jungstar unterlegen: Nick Kyrgios, 22. Setzt Zverev seinen Weg fort, wird er eher früher als später um den Tennisthro­n kämpfen. Noch aber hat ein anderer die besten Chancen, Andy Murray abzulösen: Zverevs Idol Roger Federer hat heuer eine Matchbilan­z von 19:1 und nach Wimbledon (von 3. bis 16. Juli) keine Punkte zu verteidige­n.

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3240110008­06 Xinhua/Eyevine/picturedes­k.com Kreis der Titelanwär­ter für die French Open in Paris gespielt.

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