Alexander der Große – Thiems künftiger Rivale bei der Titeljagd
Der Erfolgslauf des erst 20-jährigen Deutschen modernen Männertennis eigentlich als unmöglich. Alexander Zverev galt im
Schritt für Schritt, er war kein Wunderkind. Eine Bezeichnung, die Bresnik ohnehin nie mochte. „Es gibt nur solche, die mehr üben als die anderen.“Und Thiem übte mehr als die anderen. Tagein, tagaus. Stundenlang. Bis zur totalen Erschöpfung. Aber am Ende des Tages war er ein besserer Spieler.
Thiem bringt physisch praktisch optimale Voraussetzungen mit auf den Platz. Mit 1,85 Meter Körpergröße bewegt er sich im Idealbereich für einen Tennisspieler. Darunter leidet die Reichweite, darüber die Motorik. Als Bresnik einst Roger Federers Fitnesscoach Pierri Paganini bat, Thiem zu durchleuchten, fiel das Urteil des Schweizer Fachmanns eindeutig aus: „Der Bursche ist nicht schnell. Der ist pfeilschnell.“
Dabei ist Thiem, das hat manch längeres Match eindrucksvoll belegt, nicht nur schnell, er ist auch ausdauernd. Die Geschichten über nächtliche Ausflüge in den Wald und dem Schleppen von 25 Kilo schweren Baumstäm- men im Lauftempo unter der Obhut des ehemaligen Extremsportlers Sepp Resnik sind legendär, seit nunmehr eineinhalb Jahren kümmert sich der Deutsche Alexander Stober um die Fitness. Stober, er arbeitete bereits mit Größen wie Pete Sampras oder Andre Agassi zusammen, erwies sich als Goldgriff. Philipp Kohlschreiber tourt seit 17 Jahren als Profi um den Erdball und hat die Saisonvorbereitung mit dem Team Thiem in Teneriffa absolviert. Sein Fazit: „Niemand auf der Tour trainiert so hart wie Dominic.“
Dass Thiem die Liese-Prokop-Privatschule in Maria Enzersdorf nach der sechsten Klasse aus Zeitmangel abbrechen musste, scheint mit dem heutigen Blick auf das Gehaltskonto verkraftbar. Erst vergangene Woche hatte der 23-Jährige die Sieben-Millionen-Dollar-Preisgeldmarke geknackt, es werden noch viele Millionen folgen. In Luxus lebt der FC-Chelsea-Fan deshalb aber nicht, er mag es eher bescheiden.
Vor einigen Jahren musste Großmutter Thiem noch eine Wohnung im ersten Wiener Gemeindebezirk verkaufen, um die Karriere des Enkelkinds überhaupt finanzieren zu können. Heute ist Thiem stolzer Besitzer seiner eigenen Wohnung in Mödling. Wie sich die Zeiten ändern.
Die Tenniselite ist in die Jahre gekommen: Andy Murray, 30, Novak Djokovic,´ 30, Stan Wawrinka, 32, Rafael Nadal, 30, Roger Federer, 35. Doch die Top fünf der Weltrangliste spiegeln ohnehin nicht die aktuellen Kräfteverhältnisse wider. Das Jahresranking 2017 führen zwei Altstars vor zwei Aufsteigern an: Nadal und Federer erleben eine Renaissance, ihnen auf den Fersen sind Dominic Thiem, 23, und Alexander Zverev, 20. Es scheint, als sitzen den beiden Ausnahmekönnern bereits ihre Nachfolger im Nacken.
Nummer eins wird, wer GrandSlam-Titel holt. Und ab heute in Roland Garros sind die Chancen für einen solchen Coup so groß wie lang nicht. Murray ist gesundheitlich angeschlagen, Titelverteidiger Djokovic´ nicht in der Verfassung des Vorjahres, Wawrinka zu unberechenbar, und Federer pausiert. Dennoch führt ein Major-Titel nach wie vor nur über diese alte Garde, und im Pariser Sand nur über Nadal.
Doch der nächste Name im Favoritenkreis lautet schon Dominic Thiem. Für den längst in der Weltklasse etablierten Österreicher wäre ein GrandSlam-Sieg nur ein weiterer, logischer Entwicklungsschritt. Die großen Titel wird er sich in Zukunft mit folgenden Herren ausspielen: Milos Raonic (26 Jahre/ATP-6.), Kei Nishikori (27/9.), David Goffin (26/11.), Grigor Dimitrov (26/12.), Jack Sock (24/15.), Lucas Pouille (23/17.), Nick Kyrgios (22/19.), Pablo Carren˜o Busta (25/21.), Borna C´oric´ (20/40.). Thiem vs. Zverev. Vor allem aber Thiems Duelle mit seinem Freund Alexander Zverev (20/10.) haben schon jetzt Züge eines Klassikers, sie sind ein Vorgeschmack auf künftige große Finalpartien. Der Deutsche hat vollbracht, was ob der allerhöchsten athletischen Anforderungen im modernen Männertennis seit einer Dekade als praktisch unmöglich galt: Ein Teenager spielt um die großen Titel. Gerade einmal 20 Jahre alt war Zverev, als er vor einer Woche in Rom triumphierte. Damit ist er der jüngste Masters-Titelträger seit Djokovic´ 2007 in Miami – und er katapultiere sich als jüngster Profi seit Juan Mart´ın Del Potro 2008 in die Top Ten. Boris Becker, die bisher letzte deutsche Nummer eins, schließt einen Grand-Slam-Titel Zverevs schon heuer nicht mehr aus. „Ich sage: Nichts ist unmöglich.“Und Thiem-Coach Günter Bresnik ist überzeugt: Zverev ist eine sichere zukünftige Nummer eins.
Noch führt Thiem im Head-toHead mit dem Jungstar 4:1, blieb dabei aber nie ohne Satzverlust. Oft war ein- zig die noch bessere Physis des drei Jahre älteren Österreichers entscheidend. So auch im Vorjahr in Paris in Runde drei (6:7, 6:3, 6:3, 6:3). Nun hat Zverev seinem Rivalen aber den ersten Masters-Titel voraus, in einem Alter, in dem Thiem – auch durch schwer erkennbare Campylobacter-Darmbakterien zurückgeworfen – gerade seinen ersten Challenger-Titel gefeiert hat.
Die Nummer eins der Zukunft wird die Ballwechsel auf allen Belägen diktieren müssen. Zverev hat das nötige Repertoire dazu: ein erster Aufschlag, konstant schneller als 200 km/h (Returnspezialist Djokovic´ hatte im RomFinale keine einzige Breakchance), eine beidhändige Rückhand, die schon jetzt zu den besten des Spiels gehört. Der Return des 1,98-m-Mannes ist bereits solide genug, um in Rom mit Kevin Anderson, Milos Raonic und John Isner nacheinander jene Aufschlagriesen zu verabschieden, die Thiem immer wieder Probleme bereitet haben.
Thiem hat früh verstanden, dass Talent allein für die Spitze längst nicht reicht. Thiem-Coach Bresnik ist überzeugt: Zverev ist eine zukünftige Nummer eins.
Auf dem Platz lebt Zverev seine Emotionen aus, er ist impulsiv, andererseits unheimlich abgeklärt. Der Hamburger hat die Siegermentalität und das Auftreten eines Champions – beides wird ihm mitunter als Überheblichkeit ausgelegt – und verfügt über ein professionelles Umfeld. Die Eltern sind ehemalige russische Tennisprofis, Bruder Mischa ist 33. der Weltrangliste. Der Vater ist zugleich Trainer, Fitnesscoach Jez Green brachte schon Murray in Form, neu im Team ist Physiotherapeut Hugo Gravil. Längst hat Zverev einen gut dotierten Adidas-Vertrag.
Was ihm noch fehlt, sind die Resultate bei den Grand Slams. Über die dritte Runde kam er bisher nicht hinaus, zuletzt in Melbourne zwang er Nadal in den fünften Satz, dort gingen ihm aber die Kräfte aus. Noch unterliegt er Schwankungen, vor seinem Turniersieg in München (250er) verlor er in Barcelona (500er) gegen den gleichaltrigen Qualifikanten Hyeon Chung (damals ATP-94.). In Indian Wells und Miami war er jeweils einem anderen Jungstar unterlegen: Nick Kyrgios, 22. Setzt Zverev seinen Weg fort, wird er eher früher als später um den Tennisthron kämpfen. Noch aber hat ein anderer die besten Chancen, Andy Murray abzulösen: Zverevs Idol Roger Federer hat heuer eine Matchbilanz von 19:1 und nach Wimbledon (von 3. bis 16. Juli) keine Punkte zu verteidigen.