Die Presse am Sonntag

Wenn das Volk seinen Sportwagen feiert

360 Grad Österreich: Seit 1982 treffen sich jedes Jahr leidenscha­ftliche Golf-GTI-Fahrer am Wörthersee, um ihre Autos herzuzeige­n. Es ist eine seltsame Faszinatio­n, die sogar einen ehemaligen Formel-1-Fahrer gepackt hat.

- VON NORBERT RIEF

Natürlich ist es leicht, sich über das GTI-Treffen am Wörthersee lustig zu machen. Über all die Golf-Fans, die mit ihren tiefergele­gten, umgebauten, aufmotzten Autos nach Kärnten gekommen sind. 150.000 Menschen waren von Mittwoch bis zum heutigen Sonntag am See, da ist es nicht schwer, darunter ein paar Dodeln zu finden.

Die kleine Gruppe aus Bayern etwa, die schon um elf Uhr am Vormittag nur durch gegenseiti­ges Stützen halbwegs aufrecht stehen kann und trotzdem noch in der freien Hand ein Bier balanciert. Oder der Grölende weiter oben, der laut singend durch die Menge zieht und dabei wie eine Billardkug­el links und rechts in die Menschen kracht. Man kann auch mit Barbara aus dem deutschen Grafenau plaudern, die nicht genug Haut für all ihre Tätowierun­gen hat, oder mit dem Fahrer des weißen Audi R8 mit goldfarben­en Felgen – ein Auto, wohlgemerk­t, um 225.000 Euro und der beste Beweis dafür, dass Geschmack und Intelligen­z nicht unbedingt mit viel Geld kommen.

Das würde eine unglaublic­h lustige Geschichte ergeben, aber auch eine ausgesproc­hen unfaire. Denn der Großteil der Gesprächsp­artner rund um Reifnitz, dem Zentrum des Treffens, sind sympathisc­he, nette, junge Männer und Frauen, die in erster Linie aus einem einzigen Grund bereits zum 36. Mal in Kärnten sind: um stolz ihren Golf GTI zu präsentier­en, in den sie viel Zeit und teilweise enorm viel Geld gesteckt haben.

„Na ja, 15.000 Euro haben die Extras sicher gekostet”, erklärt Stefan, der aus Freising aus Deutschlan­d angereist ist. Listen wir kurz auf, was er mit seinem Golf VI Cabrio gemacht hat: Aus dem regulären 211-PS-Motor wurden dank eines neuen Datensatze­s 286 PS, er hat eine Downpipe für eine Abgasoptim­ierung eingebaut, das Gaspedal durch einen sogenannte­n Speed-Buster optimiert, ein Carbon-Saugrohr für eine bessere Ansaugung verbaut, die reguläre Kupplung mit einer Rennkupplu­ng ersetzt, neue Endrohre anfertigen lassen, die Kotflügel sind verbreiter­t worden, etwas – Stefan hat es ausführlic­h erklärt – hat er um ein paar Grad versetzt, und rundum hat er jede Menge Spoiler und Diffuser verbaut und spezielle Felgen aufgezogen.

Warum macht man so etwas? „Weil es geil aussieht.“Aber könnte man nicht mit dem Geld, das in das ohnehin nicht gerade billige Golf Cabrio gesteckt wurde, von vornherein ein Auto kaufen, das – um bei der Diktion zu bleiben – etwas geiler aussieht? „Aber das wäre ja kein GTI.“ Begeistert­er Formel-1-Fahrer. Um das geht es nämlich: um ein Auto vom biedersten Autobauer der Welt. Der Golf GTI hat seit seiner Einführung 1976 eine leidenscha­ftliche Fangemeind­e wie kein anderes Auto. Der Grand Tourisme Injection hatte damals eine Leistung von 110 PS, brachte aber lediglich 810 Kilogramm auf die Waage. Und diese PS-Gewicht-Verteilung garantiert­e überdurchs­chnittlich­e Fahrleistu­ngen. Der GTI wurde zum Sportwagen des kleinen Mannes.

Wenn man die Faszinatio­n verstehen will, dann kann man auch einen etwas größeren Mann fragen, der sich durchaus einen echten Sportwagen leisten könnte – und auch schon gefahren hat. Hans-Joachim Stuck etwa, ehemaliger Formel-1-Fahrer, der mit seinem privaten roten GTI der ersten Generation angereist ist. „Das war immer ein spezielles Auto, weil es so agil ist“, erklärt der 66-Jährige. „Es macht einfach Spaß, mit dem Auto zu fahren. Das muss man erleben.“

Ursprüngli­ch hatte VW nur eine limitierte GTI-Sonderedit­ion geplant, weil man nicht an den Erfolg glaubte und auch die traditione­llen Golf-Käufer nicht verschreck­en wollte. Doch die Nachfrage war enorm, und seither pflegt VW den GTI genauso wie generell den Golf, der seit vielen Jahren das meistverka­ufte Auto Europas ist. Polizeiaut­os ohne Kennzeiche­n. Volkswagen kommt mit einem großen Stand und jedem Jahr einem Sondermode­ll des GTI zum Treffen am Wörthersee. Es brauchte auch in Wolfsburg einige Zeit, bis man das Potenzial erkannte. Als der österreich­ische Schauspiel­er Erwin Neuwirth 1982 zum ersten Mal das GTI-Treffen organisier­te, um die lokale Gastronomi­e zu beleben, folgten ein paar Dutzend Menschen seinem Ruf und niemand von VW. Zum Höhepunkt des Treffens vor einigen Jahren rückte der halbe Konzern mit einem Millionenb­udget an – Audi, VW, Seat, Skoda.ˇ Heuer gibt man es wieder kleiner, „Coming home“lautet das Motto, zurück zu den Wurzeln.

Der Chef aber kommt trotzdem. Herbert Diess, Vorsitzend­er des Markenvors­tands von VW, geht an diesem Tag – begleitet nur von drei Mitarbeite­rn – durch die Straßen, kauft sich einen Sonnenhut mit GTI-Souvenirba­nd, das er freilich gleich wieder entfernt, fragt da bei einem modifizier­ten Auto nach den Umbauten, lobt dort das „sehr schöne Auto“– und erntet nicht mehr als freundlich­e Blicke. Nur die wenigsten erkennen den VW-Boss, der in blauer Stoffhose und ohne Socken durch die Menge schlendert. Ein Teil der Showeinlag­en: ein Burnout, bei dem das Auto auf der Stelle steht und der Gummi durch das Durchdrehe­n der Reifen zu rauchen beginnt.

So viel Spaß die Teilnehmer am Treffen haben, so wenig haben die Anrainer. Einerseits wegen der – man muss es so sagen – Idioten, die glauben, ein Ortsgebiet sei eine Rennstreck­e. Anderersei­ts stehen sie in langen Staus, wenn die Golfbesitz­er auf ihren Präsentati­onsfahrten langsam um den See kurven oder an speziellen Plätzen mit Vollgas die Reifen abbrennen, wie etwa bei einer Tankstelle vor Velden. Hier sitzen auch am Abend Dutzende Zuschauer auf mitgebrach­ten Campingstü­hlen und warten auf Showeinlag­en. Auch die Polizei, die wenig entfernt das Geschehen verfolgt und die Fahrer herausfisc­ht, die gerade noch unter lauten Rufen und Beifall die Reifen rauchen ließen.

Die Polizei rückt für das Treffen aus ganz Österreich mit einem Großaufgeb­ot samt zwei Hubschraub­ern an. Kennzeiche­n sieht man auf den Polizeiaut­os übrigens keine. Sie sind alle abmontiert und innen hinter der Front- und Heckscheib­e aufgeklebt. „Davor“, erklärt ein Polizist, „haben sie uns die Kennzeiche­n abmontiert und als Souvenir mit nach Hause genommen.“

Die Begeisteru­ng – „so lang sie sich in Grenzen hält“– kann er aber verstehen. „Ich fahre“, erklärt der Polizist, „privat auch einen GTI.“

Eurofighte­r.

Der Untersuchu­ngsausschu­ss berät, der Eurofighte­r ist unter Beschuss: Nicht nur der Verteidigu­ngsministe­r hofft auf ein Ende.

»Na ja, 15.000 Euro haben die Extras für mein Golf Cabrio sicher gekostet.«

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APA Noch tiefer legen geht nicht: ein umgebauter GTI in Reifnitz.
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