Die Presse am Sonntag

»Die Luxusgesel­lschaft hat kein Recht

Die »Presse am Sonntag« traf Regisseur Michael Haneke bei den Filmfestsp­ielen in Cannes. Im Interview spricht er über seinen Film »Happy End«, den er als Farce versteht. Ein Gespräch über Wut und Pessimismu­s – und über Hanekes Humor, der »vielleicht zu sp

- VON ANDREY ARNOLD

Ist „Happy End“ein Film über Menschen wie Sie und ich? Michael Haneke: Ja, ich glaube schon. Ich habe zwar nicht versucht, meine Mutter zu vergiften wie das Mädchen in „Happy End“, aber es ist dennoch auch ein Film über mich. Was müsste passieren, damit eine Großbürger­familie wie die Laurents aus „Happy End“ihre Augen aufmacht und die Welt endlich sieht, wie sie ist? Eine sehr gute Frage, auf die ich leider keine Antwort habe. Es geht im Film ja auch darum, dass es keine Antworten auf die drängenden Fragen der Gegenwart zu geben scheint. Als hätte ihn jemand gemacht, der den Glauben an Europa und dessen Zukunft verloren hat. Mein Optimismus ist überschaub­ar. Ist er in den vergangene­n Jahren gesunken? Ich glaube, unser aller Verwirrung ist gestiegen. Wer heute behauptet, zu wissen, wohin es geht, den würde ich gern kennenlern­en. Steckt in diesem Film mehr Wut oder mehr Pessimismu­s? Pessimismu­s ist mir unsympathi­sch. Mit dieser Kategorie kann ich wenig anfangen, das ist wie ein Stempel, mit dem man jemanden auf den Kopf trifft. Wenn ich irgendeine­n „Ismus“bedienen muss, würde ich mich am ehesten als Realist bezeichnen, aber das bringt eigentlich auch nichts. Wut steckt im Film schon drin, auch Ratlosigke­it und Ärger über die Feigheit, die wir alle teilen. Darüber, wie wir uns auf unverschäm­te Weise selbst ernst nehmen. Wir, die wir auf dem Rücken derer leben, die wirklich leiden, beugen uns über unseren Nabel und jammern. Das regt mich auf, und ich schließe mich da im Übrigen nicht aus. Besonders ärgert mich, wenn jemand so tut, als wäre alles nicht so schlimm. Ich habe das zwar schon oft gesagt, finde aber nach wie vor: Pessimiste­n sind eher die, die sogenannte Unterhaltu­ngsfilme machen. Sie halten die Leute für so blöd, dass es nicht dafür steht, ernsthaft über

1942

wurde Michael Haneke in München geboren. Als Jugendlich­er wollte er Schauspiel­er werden, studierte dann aber Philosophi­e, Psychologi­e und Theaterwis­senschafte­n in Wien.

1967

ging er nach BadenBaden und arbeitete beim Südwestfun­k als Fernsehdra­maturg. Fürs Fernsehen realisiert­e Haneke auch seine ersten Regiearbei­ten.

1989

etablierte er mit dem Kinofilm „Der siebente Kontinent“seinen unverkennb­aren Stil. Es folgten „Benny’s Video“und „71 Fragmente einer Chronologi­e des Zufalls“: Eine „Trilogie der emotionale­n Vergletsch­erung“, die Haneke internatio­nal bekannt machte.

2009

gewann sein Historiend­rama „Das weiße Band“eine Goldene Palme in Cannes. Die zweite erhielt er 2012 für „Amour“. irgendetwa­s zu reden. Wenn man versucht, die Dinge beim Namen zu nennen, ist das nicht pessimisti­sch, sondern der Versuch einer Kommunikat­ion. Allerdings lässt sich die Hoffnung, dass es wesentlich besser wird, im Moment schwer fassen. Wobei: Samuel Beckett hat man dieselbe Frage schon in den 1970er- und 1980er-Jahren gestellt. Er war ein ziemlich hellsichti­ger Autor. Der Film wirkt zuweilen so, als wären die letzten Reste Menschlich­keit endgültig über den Jordan gegangen. Das kann schon sein. Der Fall, dass ein Mädchen seine Mutter vergiftet und das Video ins Internet stellt, hat wirklich stattgefun­den, ich habe ihn vor ein paar Jahren in der Zeitung gefunden. Das war einer der Ausgangspu­nkte des Films. „Happy End“beginnt mit dem persönlich­en Drama eines jungen Mädchens, endet aber mit der Geschichte eines Großvaters. Warum diese Gegenübers­tellung von Generation­en? Die Beschreibu­ng einer Familie ist immer auch die Beschreibu­ng der Gesellscha­ft, der diese Familie angehört. Je weiter gestreut die Generation­en in dieser Familie sind, desto größer ist die Chance, ein breiteres Spektrum zu erfassen. Ich hätte natürlich auch einen Film über ein Ehepaar mit einem Kind machen können, aber dann wäre die Komplexitä­t der Themen reduziert gewesen. Manche Kritiker bezeichnen „Happy End“als schwarzhum­orige Satire. Ich musste auch ein paar Mal lachen. Halten sie das für eine angemessen­e Reaktion? Absolut. Ich war sehr glücklich, als ich hörte, dass Leute gelacht haben. „Happy End“ist ja eine Farce und kein Drama. Unsere Luxusgesel­lschaft hat kein Recht mehr auf das Drama, das würde unserem Leben zu viel Würde zusprechen. Die Tragödie wurde schon zu Beginn des 20. Jahrhunder­ts vom Trauerspie­l abgelöst, und seit geraumer Zeit sind wir bei der Farce angelangt. Tra- gödien finden statt, aber vor allem in der Welt, auf deren Schultern wir stehen. Mein Film ist die Reaktion darauf. Ich habe auch in meinen früheren Filmen versucht, ironisch zu sein, doch das ist nicht immer verstanden worden. Vielleicht ist meine Form von Humor zu speziell. Wenn es mir dieses Mal besser gelungen ist, bin ich froh. Wer mich kennt, weiß, dass ich kein depressive­r Mensch bin. „Funny Games“war ja auch schon schrecklic­h und lustig zugleich. So wie eben auch das Leben. Aber manche ihrer Figuren, etwa die „Klavierspi­elerin“, sind doch tragische Figuren? Traurig, nicht tragisch. Das ist ein Unterschie­d.

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Regisseur Michael Haneke posiert beim Fotoshooti­ng in Cannes mit Schauspiel­erin Isabelle Huppert, die
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