Culture Clash
FRONTNACHRICHTEN AUS DEM KULTURKAMPF
Ungeist-Revival II. Buzz Windrip, Donald Trump und die wirklichen Faschisten: Zweiter Teil einer Warnung vor allzu oberflächlich gezogenen Parallelen zu den Dreißigerjahren.
Die problematische Übung, heutige Populisten mit den radikalen Demagogen der Dreißigerjahre zu vergleichen – unser Thema vom vergangenen Sonntag –, hat auch ein literarisches Kapitel: die Neuauflage des Romans „It Can’t Happen Here“des US-Nobelpreisträgers Sinclair Lewis von 1935. Nach der Wahl Donald Trumps wurde das Buch erneut zum Bestseller.
Das Buch beschreibt einen Präsidenten, der mit populistischem Programm und Berufung auf amerikanische Werte ins Weiße Haus kommt und dann die Opposition ins KZ sperrt und mit einer paramilitärischen Miliz (den „Minute Men“) die Bürger terrorisiert. Das Verkaufsargument für die Neuauflage sind aktuelle Bezüge. Der Watergate-Journalist Carl Bernstein, der Trump einen Neofaschisten genannt hat, empfiehlt es deshalb. Und der Klappentext der deutschen Ausgabe fragt am Ende einer knappen Inhaltsangabe: „Das klingt vertraut?“
Offen gesagt: Nein. Denn die Unterschiede zwischen Lewis’ Präsidenten Buzz Windrip und Donald Trump sind viel größer als ihre Gemeinsamkeiten. Auch Trump profiliert sich mit Taktlosigkeit und Klassenkampfrhetorik, verkauft Gruppenegoismus als neue Solidarität und hat ein scharfes Freund-Feind-Schema. Aber für das, was Windrip und die realen Diktatoren der Dreißiger so gefährlich gemacht hat, gibt es bei Trump keine ernsthaften Anzeichen: die äußerste Hemmungslosigkeit beim Einsatz brutaler Gewalt. Trump hat keine SA.
Bei aller bedenklichen Demagogie unserer Tage: Die Trumps, Le Pens, Straches usw. sind keine Mörder. Das ist ein gewaltiger Unterschied. „Aber hat das wirklich Relevanz für die Frage, ob und wie man sie bekämpfen muss?“, hat mir in der Vorwoche ein Leser geschrieben. Ich denke, doch.
Denn wer den Unterschied zwischen radikalen und gemäßigten Populisten bagatellisiert, leugnet den Wert der Mäßigung. Unsere Zivilisation beruht aber auf ihr. Liberale Demokratie und Rechtsordnung verlangen von uns nicht, dass wir nett denken, sondern, dass wir uns im Tun zurückhalten. Wer zwischen Gemäßigten und Radikalen keinen fundamentalen, sondern nur einen graduellen Unterschied sieht, ist im selben Denklager wie jene, für die überzeugte Muslime und Jihadisten im Grunde ein- und dasselbe sind.
Und durch falsche Zuordnungen verengen wir fahrlässig den Lösungsspielraum unserer Krisen. Etwa, wenn es zur Koalition mit Populisten heißt: Das habe man mit den Nazis ja auch versucht, und man wisse, wie das ausgegangen ist. Ja: Mit Leuten, die über Leichen gehen, darf man nicht zusammenarbeiten. Aber mit anderen eben schon. Muss man vielleicht sogar. Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.