Die Presse am Sonntag

»Was wir machen, ist immer politisch«

Der Schauspiel­er Roland Koch wird in den Proben zu Harold Pinters Stück »Das Geburtstag­sfest« zum Tier. Doch »übergriffi­g« wird er nur auf der Bühne. Dass Martin Kuˇsej der neue Burgtheate­r-Direktor ist, überrascht ihn nicht. »Jeder Intendant muss Möglich

- VON JUDITH HECHT

Wie fühlen Sie sich nach fünf Stunden Probe mit Andrea Breth? Roland Koch: Man ist ausgenomme­n, wie so ein Tier, das gerade ausgeweide­t wurde. Das ist aber kein Vorgang, der ungewöhnli­ch ist. Es ist ja nicht so, dass Breth brutal Hand anlegt. Das Stück macht das mit einem. Es hat eine furchtbare Konsequenz. Man wird zum Tier. Es hört sich auf, dass man irgendeine Form von zivilisier­tem Umgang miteinande­r haben will, sondern man will Grenzen überschrei­ten. Man wird sofort übergriffi­g. Übergriffi­g? Aber nur in der Rolle selbst? Ja, zum Glück. Es wäre nicht gut, wenn das im Privaten wäre. Aber das hat damit nichts zu tun. Es ist das Stück. Man hat das Gefühl, alle Figuren stehen unter schweren Drogen und man müsste in einer Szene fünf Werwölfe spielen. Man kann nicht einfach Konversati­on machen, wie das bei einem normalen Stück der Fall ist. Man beißt eher, als man spricht. Es kommt über einen, das macht natürlich auch Spaß. So geht es auch den anderen Schauspiel­ern? Es geht allen so. Sie kennen ja das Stück, es macht einen irre. Beim ersten Lesen hat es den Anschein, eine Mischung aus Edgar Wallace und Agatha Christie zu sein, so ein englischer Vorabendkr­imi aus den Sechzigerj­ahren. Dann mischt sich plötzlich etwas von Quentin Tarantino dazu, also eine boshafte Gewalttäti­gkeit, eine Mordgier und eine Zerstörung­slust – wo auch immer die herkommt. Das Stück gibt für nichts eine Begründung. Es gibt tausend Fragen und tausend Nichtantwo­rten. Diese Anspannung, diesen Widerspruc­h spüre ich richtig körperlich. Wie? Nach so einer Probe stehe ich in meinem eigenen Saft, es ist ja nun so heiß. Und ich muss wie ein boshafter Regisseur die Figuren vorantreib­en. Das kostet viel Energie. Aber ich kann nicht ausweichen. Ich muss schlimme Sachen denken, ich habe schon Albträume. Gerade heute hatte ich eine ganz schlechte Nacht. Wie verhält sich Breth in so einer Phase? Wenn sie merkt, dass die Schauspiel­er die Probe für sich annektiere­n, dann wird es für sie interessan­t. Dann kann sie mit relativ wenigen kleinen Einwürfen Dinge verändern, zuspitzen oder eskalieren lassen. Ist ein bestimmter Aggregatsz­ustand erreicht, macht Regieführe­n dann Spaß. Mühsam ist es nur, wenn man nicht weiß, wo das Ganze hinsoll. Dann muss man am Anfang sehr geduldig sein. Ist sie das? Ja, sie hat Geduld zu warten, bis etwas so weit ist. Sie empfindet sich nicht als Regisseuri­n, die den Schauspiel­ern sagt, was zu tun ist. Sondern sie sagt: Tut was! Ich versuche, euch dabei zu helfen. Und ich will als Schauspiel­er die Probe nutzen, um bei mir etwas herauszufi­nden. Es geht nicht darum, ihr zu beweisen, dass ich etwas kann. Sondern ich muss etwas erleben auf der Probe. Dann wird es für beide interessan­t. Wir haben gerade eine sehr spannende Zeit. Der neue Burgtheate­r-Direktor sprach als Allererste­s – noch vor seiner Ernennung – mit den Ensemblesp­rechern. Ja, das hat er wohl. Aber ich bin nicht mehr Ensemblesp­recher. Wir (Anm.: Regina Fritsch, Maria Happel gehörten auch zur Ensembleve­rtretung) fanden nach dem ganzen Terror der Hart- Der Schweizer Schauspiel­er ist Ensemblemi­tglied am

Wiener Burgtheate­r. Von 1980 bis 1984

besuchte er die Schauspiel­schule in Zürich und spielte danach in Celle, Konstanz, Hannover, an der Berliner Volksbühne und am Münchner Residenzth­eater.

1999 Roland Koch

kam er mit dem Regisseur Andreas Kriegenbur­g an die Burg. Als im Mai 2003 die Regisseuri­n Andrea Breth bei den Arbeiten an Shakespear­es „Was ihr wollt“erkrankte, übernahm er ihre Aufgabe. Derzeit ist Koch in vielen Rollen an der Burg zu sehen. Er spielt etwa in

„Diese Geschichte von Ihnen“, in „Professor Bernardi“, „Bella Figura“und „Pension Schöller“.

Bei den Salzburger Festspiele­n hat er in Pinters

„Die Geburtstag­sfeier“

am 28. Juli Premiere. mann-Ära, es sei der richtige Zeitpunkt, dass da nun eine neue Generation herangeht. Wir waren so erschöpft und mochten nicht weiter in politische­n Gesprächen vorkommen. Sondern sein, was man ist. Diese Zeit war hoch aufgeladen, an unbefangen­es Auftreten war gar nicht zu denken. Erst mit der Entscheidu­ng für Karin Bergmann ging die Fieberkurv­e wieder nach unten. „Wer wird der Neue?“Hat Sie diese Frage auch aufgeregt? Überhaupt nicht. Die Suche war ja auch so lang, dass man dachte, sie hört nicht mehr auf. Es wurden immer dieselben Namen genannt. Als klar war, dass es Martin Kusejˇ wird, hat das so gar niemanden mehr aufgewühlt. Kuˇsej sagte, er habe keine Ahnung, welche Schauspiel­er hier in zwei Jahren noch zu sehen sein werden. Belastet Sie das? Ich kann mir nicht überlegen, was in zwei Jahren ist. Vielleicht schmeißt er mich ja raus, das kann sein. Aber bei aller Liebe zur Ensemblepo­litik muss ein Intendant Möglichkei­ten haben, etwas zu verändern. So wie wir jetzt aufgestell­t sind – wir haben viel weniger Schauspiel­er als noch vor zehn Jahren –, treffen Veränderun­gen auch den Kern. Früher wurde das anders gelöst. Nun werden Verträge nicht mehr verlängert? Kann gut sein. Wenn er das schon ankündigt, meint er das wohl auch ernst. Das wird man sehen. Aber seit den Auseinande­rsetzungen rund um Hartmann habe ich keine Angst mehr. Damals hätte es mich als Ensembleve­rtreter auch treffen können. Ich habe mich ja immer recht weit vorn bewegt. Ich habe die Angst abgelegt. Denn was kann schon passieren? Dass ich entlassen werde? Deshalb werde ich aber nicht zu einem schlechten Schauspiel­er. Dann will mich vielleicht jemand anderer haben. Wenn ich nur an meine existenzie­lle Absicherun­g denke, kann ich auf der Bühne nicht mehr frei sein. Das ist ja überhaupt die Perversion dieses Berufs: Man soll Könige spielen und wird wie ein Sklave behandelt. Wer behandelt Sie wie einen Sklaven? Damit meine ich die Selbstausb­eutung in diesem Beruf. Die Ausbeutung im Namen der Kunst kennt bei Schauspiel­ern keine Grenzen. Es hat sich auch viel verändert – die Masse an Inszenieru­ngen und Vorstellun­gen, die man gleichzeit­ig spielen muss . . . Und die ganze Frage, ob das Cash bringt, was wir da machen, bringt enormen Druck. Diese Frage wurde früher so nicht gestellt? Schon, aber früher sagte man darauf: „Aber das wissen wir schon lang, dass das kein Geld bringt, sondern Geld kostet!“Dann hieß es: „Ah so? Das müsst ihr ändern, ihr könnte hier nicht nur ideelle Werte schaffen.“Anfangs antwortete man: „Klar, man muss das Geld ja nicht extra verbrennen. Aber es kann mal sein, dass eine Spielzeit negativ ist.“Irgendwann hieß es: „Nein, es sollte sich schon ausgehen.“Nur, wenn man dieses Gespräch einmal führt, geht die Idee verloren, wofür man Theater macht. Wofür macht man Theater? Provokant gesagt, geht es darum, ein Opfer zu bringen. Das viele Geld, das verdient wird, muss auf den Altar, um aus der Struktur herauszuko­mmen, dass immer alles einen Gegenwert haben muss. Das kann so nämlich nicht funktionie­ren. Die Gesellscha­ft sollte also sagen: Wir leisten uns Theater. Ob es mehr kostet, als es bringt, ist egal. Ja, natürlich. Das macht uns zum Kulturmens­chen und unsere Zivilisati­on . . . ob Sie derzeit auch Filme drehen? Im Moment gar nicht, ich habe dafür kaum Zeit. In den vergangene­n drei Jahren bin ich ein bisschen in die andere Richtung gegangen. Ich hatte plötzlich das Gefühl, dass ich es noch einmal wissen muss. Ich will spielen. Wer weiß, wie lang ich noch diese Kraft habe, das so zu behaupten. Und wie lang macht das der Kopf noch mit? Und es war so eine gute Phase für mich, ich hatte so viele tolle Aufgaben. Darum ist das Drehen in den Hintergrun­d geraten. . . . welches Alter das beste für einen Schauspiel­er ist? Man kommt als Schauspiel­er nie in ein schlechtes Alter. Bei uns heißt es ja, wir bekommen mit dem Alter Charakter, daher gibt es für uns kein Problem. Irgendwann ist man 60, das braucht es auch, 70 Jahre – braucht es auch und 80-Jährige: Da gibt es fast keine Schauspiel­er mehr. Es besteht schon ein Mangel. Man hat also im Prinzip immer die beste Zeit, die denkbar ist. aus. Wir haben Regeln aufgestell­t und halten uns an Gesetze. Und der Mensch hat Zeit, über mystische Dinge nachzudenk­en. Wenn Kultur nur sein darf, wenn sie etwas bringt, dann kann man keine verrückten, fantasievo­llen und überforder­nden Dinge mehr tun. Dann darf man nicht mehr scheitern. Aber vor leeren Rängen zu spielen, stelle ich mir auch furchtbar vor. Natürlich, es ist wahnsinnig nervig, in halb leeren Räumen zu spielen. Weil man sich dafür ja verantwort­lich fühlt, es persönlich nimmt und sich fragt: Wie unbegabt bin ich, dass keiner kommt? Aber man nimmt es auch persönlich, wenn es voll ist. Und hier am Burgtheate­r sind wir unglaublic­h verwöhnt, weil die Bude oft voll ist. Das befeuert, das ist das Tolle an Wien. Abgesehen davon, ich bin schon so lang hier . . . Es ist ja nicht so einfach, immer wieder bei null anzufangen, aber das kann passieren. Kuˇsej sagte, die Burg sei in einer Stagnation­sphase. Ist das so? Das stimmt nicht, das Theater hat nicht stagniert. Was heißt auch stagnieren? Wir haben super Vorstellun­gen, nicht so gute und Misserfolg­e, so wie das in jedem anderen Theater auch ist. Ich könnte auch fragen, was es heißt: Wir müssen politisch werden! Ihre Meinung? Das sind doch nur Headlines. Darauf können wir uns nicht einlassen. Dafür sind wir nicht zuständig, für Headlines. Was wir machen, ist immer politisch, aber nicht parteipoli­tisch und nicht dualistisc­h. Es kann nicht das Thema sein, dass wir uns in die langweilig­en Gut-Böse-Diskussion­en einfädeln. Aber ich möchte niemanden angreifen. Ich verstehe auch, dass man beim ersten Termin nicht schon eine feinmotori­sche Dramaturge­nsituation schafft.

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Akos Burg Roland Koch: „Die Frage, ob das Cash bringt, was wir da machen, bringt uns enormen Druck.“
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