Der Sisyphos des Jazz
Vor 50 Jahren ist der große Saxofonist John Coltrane gestorben. Seine Idee vom Aufbruch in die (tonale) Freiheit, von Musik als (spiritueller) Reise, hat den Jazz lange geprägt.
Überall, natürlich auch in der „Presse am Sonntag“, wurde der „Summer of Love“des Jahres 1967 ausführlich gefeiert. Zu Recht. Doch seltsam, dass sich niemand fragte: Was war im wunderbaren Jahr des Pop eigentlich mit dem Jazz los? Was war das prägendste Ereignis des Jazzjahrs 1967?
Die naheliegende Antwort ist bestürzend: 1967 war das Jahr, in dem John Coltrane starb. An Leberkrebs, der erst nach seinem Tod diagnostiziert wurde, im Alter von 40 Jahren.
Gewiss, Coltrane war spätestens seit „A Love Supreme“(1964) ein Star, der auch auf Menschen strahlte, die keine Jazzfans im engen Sinn waren. Doch dass sein Tod so erschütternd wirkte, lag daran, dass er, der sich zunächst gar nicht zum Freejazz zählen wollte, zu dessen Leitfigur geworden war, zum Pionier dieser radikalen Befreiung des Genres (ultimativerweise auch von sich selbst), zum Schrittmacher. „Giant Steps“hatte 1959 ein Album Coltranes geheißen, das bezogen viele zuerst auf die großen Intervalle, die bisweilen zwischen seinen rasenden Saxofon-Läufen klafften. Doch bald begriff man es so: Dieser Mann geht voran, in großen Schritten. In einer anderen Metapher: Er fährt voraus. Dass sein Spitzname „Trane“wie „train“klang, kam gerade recht. Den ganzen Weg. Ob es niemals einen Haltepunkt für Coltrane gebe, fragte der Jazzkritiker Nat Hentoff in seinen Liner Notes für das Album „Live at the Village Vanguard Again“(1966) – und ließ den Saxofonisten selbst antworten: „No. You just keep going all the way, as deep as you can. You keep trying to get right down to the crux.“
Dieses Pathos der Reise ist uns hoffnungslos Postmodernen fremd geworden, Patti Smith zum Beispiel verstand es noch, als sie 1973 notierte: „internal voyage: brain rocket. god my skull. yes travel is the key, not, as rimbaud suggested, charity.“Wie die Jazzwelt es verstand, beschreibt vielleicht am besten eine Passage aus dem klassischen „Jazzbuch“von Joachim-Ernst Berendt, aus dem Kapitel, in dem er die beiden großen Figuren des Freejazz, Ornette Coleman und John Coltrane, vergleicht – und klar bewertet.
»A Love Supreme« meinte John Coltrane als Gotteslob, der letzte Satz ist ein Psalm.
„Wenn Ornette Coleman der ,Phoenix‘ ist, dessen Musik von Anfang an vor uns stand, als sei sie ,dem Haupte des Zeus entsprungen‘, dann war Coltrane der ,Sisyphos‘, der den harten, kantigen Fels der Erkenntnis immer wieder von Neuem bergan wälzen musste. Und vielleicht mag man finden – mit dem Schuss Ironie, der darin liegt: Wenn Coltrane dann oben stand, stand immer schon Coleman im zirkusblauen Anzug da und spielte seine schönen Melodien. Aber die Musik, die darauf John Coltrane – neben ihm stehend – von der Höhe des Berges blies, war getragen von der hymnischen Kraft des Pilgers, der eine weitere Etappe auf dem langen, dornigen Weg der Erkenntnis (oder sagen wir ruhig, denn das war Coltranes Überzeugung: zu Gott) hinter sich gebracht hatte und der ahnte, dass es noch viele weitere Stationen geben müsste – wenngleich er in den Monaten der Erschöpfung, die seinem Tod vorangingen, nicht mehr wusste, wie es weitergehen sollte.“
Keine Frage, für wen Berendt – der in seinen späten Jahren (er starb 2000) zunehmend zur Mystik, zur Esoterik neigte – mehr Sympathien hegte. Aus dem gleichen Grund hat die Hippiege-