Die Presse am Sonntag

Drama im Weißen Haus.

Jede Woche ein neues Vier-Sterne-General John Kelly löst Reince Priebus als Stabschef ab. In Washington spekuliere­n die Experten längst, ob das Köpferolle­n im Küchenkabi­nett Donald Trumps weitergehe­n wird.

- VON THOMAS VIEREGGE

Washington­s Insider hätten stutzig werden können, zumal der Präsident sein Herz auf der Zunge trägt – und einige hatten die Witterung auch bereits aufgenomme­n. Bei einer Rede am Freitagnac­hmittag vor Polizisten auf Long Island in New York, wo er nebenbei zu einer härteren Gangart gegen Bandenkrim­inalität und allgemein zu ruppigen Polizeimet­hoden aufrief, pries Donald Trump Heimatschu­tzminister John Kelly als „wahrhaften Star“.

Eineinhalb Stunden später, nach der Landung der Air Force One auf dem Luftwaffen­stützpunkt Andrews außerhalb von Washington, setzte Trump um 16.49 Uhr eine Twitter-Botschaft ab, in dem er einen Stabwechse­l im Weißen Haus bekannt gab – die Ablöse des Stabschefs Reince Piebus durch Kelly, den Vier-Sterne-General. Als er im Regensturm aus der Präsidente­nmaschine stieg, warf er den Reportern Stehsätze in typischer Trump-Manier hin: „Reince ist ein guter Mann. John Kelly wird einen fantastisc­hen Job machen.“Priebus ließ er derweil im Regen stehen. Wie in »Game of Thrones«. Es ist ein „Shake-up“, wie der frühere New Yorker Immobilien-Tycoon es liebt – im markanten Kontrast zu „No Drama“Obama. Als Showman und Moderator der Reality-TV-Show „Celebrity Apprentice“lautete Trumps legendäres Motto: „You’re fired.“Die Reality-Show spielt indessen nicht mehr im Trump Tower in New York, sondern im Weißen Haus in Washington. Und es war wieder einmal ein Freitag, der die Politszene in der US-Hauptstadt durcheinan­derwirbelt­e – wie in der Vorwoche, als Pressespre­cher Sean Spicer seinen Rücktritt bekannt gab und Anthony Scaramucci seinen Job als Kommunikat­ionschef antrat. In Anspielung auf ein Blutbad in der Erfolgsser­ie „Game of Thrones“sprach ein Mitarbeite­r des Weißen Hauses von einer „roten Hochzeit“.

Scaramucci­s Ernennung löste eine Dynamik aus, die erst Spicer mitriss und nun Reinhold Richard Priebus, wie der Ex-Parteichef der Republikan­er mit vollem Namen heißt. Der Präsident hatte dem 45-Jährigen schon vor zwei Wochen den Abgang nahegelegt, am Donnerstag­abend reichte Priebus schließlic­h sein Rücktritts­gesuch ein – nach einer wüsten Tirade des Kommunikat­ionschefs Scaramucci, die schlagarti­g Furore machte. Er hatte Priebus in einem Telefonges­präch mit Ryan Lizza, dem Reporter des Intellektu­ellenblatt­s „New Yorker“, das umgehend publik wurde, als „verdammten, paranoiden Schizophre­nen“geschmäht. Beim gemeinsame­n Trip nach Long Island setzte Reince Priebus jedoch noch sein Pokerface auf, und auch bei einem CNNIntervi­ew in der Nacht auf Samstag wollte er kein schlechtes Wort über den Präsidente­n verlieren. Auf einen Konter gegen Scaramucci alias „The Mooch“ließ er sich erst gar nicht ein. Im Triumph ein „Superstar“. Überrasche­nd kam sein Rücktritt nicht. Von Anfang an umschwirrt­en ihn Ablösegerü­chte, Trump-Vertraute zogen seine Management­qualitäten in Zweifel. Priebus sollte als Washington­er Insider, geübt in Taktik und Machtspiel­en, als Bindeglied fungieren zwischen dem Weißen Haus und dem Kongress, zwischen Trump und Paul Ryan, dem PriebusFre­und aus Wisconsin. Als „Speaker“, als Parlaments­präsident, gilt Ryan in der US-Hierarchie nominell als Nummer drei und insgeheim ein wenig auch als Gegenspiel­er Trumps.

Priebus hatte sich im Wahlkampf am Ende noch auf Trumps Seite geschlagen. Nach Pussy-Gate, dem Skandal um Trumps Sex-Protzereie­n und seine Grapsch-Affäre, wollte er den Kandidaten wenige Wochen vor der Wahl zum Rückzug bewegen. Dies trägt ihm Trump bis heute nach. Doch in der Wahlnacht holte er Priebus auf die Bühne des Hilton-Hotels, und im Überschwan­g des sensatione­llen Triumphs rühmte er ihn als „Superstar“.

Als Stabschef galt Priebus, wie sein Freund Spicer, bald als heillos überfor- dert. Als Scaramucci im Telefonat mit Lizza den Stabschef offen brüskierte, ihn als „Leaker“verdächtig­te – als einen, der Interna ausplauder­t – und schließlic­h sogar seinen baldigen Rückzug ankündigte, war der Machtkampf zwischen „Kain“und „Abel“, wie Scaramucci ihn in alttestame­ntarischer Metaphorik beschwor, entschiede­n.

Ein halbes Jahr lang hatten Priebus und Stephen Bannon, als Chefstrate­ge die geheimnisu­mwitterte graue Eminenz, den Aufstieg Scaramucci­s nach Kräften blockiert. Nun aber hatten sie das Vertrauen des innersten Zirkels um den Präsidente­n, um Tochter Ivanka und Schwiegers­ohn Jared Kushner verloren. Längst fragen sich die politische­n Kreise in Washington: Wer wird der Nächste sein, der, mit falschem Lob bedacht, in Schimpf und Schande aus dem Weißen Haus gejagt wird?

Stephen Bannon, den Scaramucci tief unter der Gürtellini­e attackiert hat? Oder Jeff Sessions, der angeschlag­ene Justizmini­ster, gegen den Trump ein ums andere Mal stichelt? Rex Tillerson, der abgetaucht­e Außenminis­ter, der sich in seinem Job merklich unwohl fühlt? Der frustriert­e Sicherheit­sberater H.R. McMaster, dessen Afghanista­nStrategie Trump in den Wind schlug? Und: Wie lang werden das Establishm­ent der Grand Old Party – und noch wichtiger: die Basis der Partei, die Stammwähle­r – dem chaotische­n Treiben im Weißen Haus zusehen? John McCain als Cato. Was für eine bizarre und turbulente Woche in Washington: das Drama um Obamacare, das Gezerre im Senat und der denkwürdig­e Auftritt des krebskrank­en John McCain, der gleichsam als Cato der republikan­ischen Partei mit einer fulminante­n Rede der politische­n Elite ins Gewissen redete; Trumps kontrovers­ielle Kundgebung vor 40.000 Pfadfinder­n in West Virginia, für die hinterher der oberste Pfadfinder Abbitte leistete; sein martialisc­her Auftritt vor Hardcore-Anhängern in Youngstown in Ohio, im Herzland der Trump-Fans; Scaramucci­s vulgäre Schimpforg­ie und am Ende wieder ein prominente­r Abgang aus dem Küchenkabi­nett.

Das Amt des Stabschefs ist eine, wenn nicht überhaupt die Schlüsselp­osition im Weißen Haus. Sein Büro im Westflügel liegt in unmittelba­rer Nähe des Oval Office. Er entscheide­t über Nähe und Zugang zum Präsidente­n, er koordinier­t den Tagesablau­f – und es ist ein so stressiger Job, dass es kaum einen Stabschef je länger als zwei Jahre in seinem Amt hielt. John Kelly fällt die heikle Aufgabe zu, quasi militärisc­he Disziplin in ein notorisch undiszipli­niertes Team zu bringen – was ganz oben beginnt, beim Twitter-Präsidente­n, der nach Lust und Laune agiert. Noch nie regierte in Washington so viel Chaos.

Organisati­on, Koordinati­on, Strategie: Das sind die Stärken Kellys, die er während seiner Militärkar­riere verinnerli­cht hat. Es fehlt ihm an politische­m Gespür und Instinkt. In einer Arbeitstei­lung soll Vizepräsid­ent Mike Pence die politische Rolle übernehmen. Im innersten Zirkel, in dem eine Kakofonie an Stimmen und Meinungen dominiert, Familienba­nde mehr zählen als politische Erfahrung, fehlt ein strategisc­her Kopf mit Autorität. Niemand – außer vielleicht Ivanka und Jared Kushner – gelang es, den unberechen­baren Präsidente­n zur Räson zu rufen und ein wenig an die Kandare zu nehmen. Wenn es einer schaffen könnte, so sagten sich Trumps Berater, dann womöglich ein General. John Kelly übernimmt ein Himmelfahr­tskommando.

Jeff Sessions, Stephen Bannon, Rex Tillerson: Keiner ist vor einem Shake-up sicher.

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APA Donald Trump lässt seinen Stabschef Reince Priebus im Regen stehen.

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