Die Presse am Sonntag

Die Macht bleibt in der Familie

Nach der Absetzung von Pakistans Premier Sharif soll dessen Bruder künftig die Regierung leiten. Damit setzt sich die Herrschaft der politische­n Dynastien fort. Auch der Sohn von Benazir Bhutto drängt an die Macht.

- VON MATHIAS PEER

Der Patriarch muss gehen, doch seine Familie soll in Pakistan weiter das Sagen haben. Nach seiner Amtsentheb­ung durch das Oberste Gericht in Islamabad will der abgesetzte Regierungs­chef Nawaz Sharif seinen Bruder Shahbaz Sharif offenbar als Nachfolger installier­en. Das machte er laut lokalen Medien bei einem eilig einberufen­en Treffen der Führungssp­itze seiner Muslimliga PML-N deutlich. Die Regierungs­partei gab sich alle Mühe, möglichst unaufgereg­t zu wirken. Sharifs Tochter Maryam verbreitet­e auf Twitter Fotos von dem Treffen, die lauter gut gelaunte Funktionär­e zeigten. „Echte Männer lächeln, wenn sie den Kampfhands­chuh überstreif­en“, schrieb sie.

Die Botschaft ist klar: Der Familiencl­an, der Pakistans Politik seit Jahrzehnte­n prägte, will sich nach der Absetzung Sharifs nicht geschlagen geben. Tatsächlic­h ist es auch nach dem vernichten­den Urteil der fünf obersten Richter, die Sharif im Zuge einer Korruption­saffäre von der Regierungs­spitze entfernten, zu früh, die mächtigen politische­n Dynastien in dem Land mit rund 200 Millionen Einwohnern abzuschrei­ben.

Denn die Sharifs sind nicht die Einzigen, die im Kampf um die Machtverte­ilung mit ihrer Ahnentafel punkten wollen. Direkt unter der bisherigen First Family zeigten die Zeitungen, die Händler am Samstag in Islamabad verteilten, den Nachkommen einer weiteren prominente­n Politikerf­amilie, der sich durch den Regierungs­umsturz bessere Chancen auf höchste Staatsämte­r ausrechnet: Bilawal Bhutto Zardari, der Sohn der vor zehn Jahren ermordeten Benazir Bhutto, die als erste Regierungs­chefin der islamische­n Welt in die Geschichte einging.

Wie wichtig die familiären Verflechtu­ngen in Pakistans Innenpolit­ik sind, zeigte auch Bilawals erste Reaktion nach der Absetzung von Premier Sharif: Er zitierte seine Mutter. „Sharif mag zwar einmal mit seiner Verschwöru­ng erfolgreic­h gewesen sein“, soll diese über ihren politische­n Erzrivalen mit Blick auf ihre Absetzung als Premiermin­isterin in den 1990er-Jahren gesagt haben. „Aber irgendwann wird er selbst derjenige sein, der weinen muss.“

Bilawal, der 28 Jahre alte Anführer der opposition­ellen Pakistanis­chen Volksparte­i PPP, erhofft sich nun Rückenwind für seine eigenen Ambitionen: Bereits 2016 hat er angekündig­t, selbst Regierungs­chef werden zu wollen. „Mit der Hilfe des Volkes wird uns das gelingen“, versprach er den PPPAnhänge­rn, von denen viele vor allem in Erinnerung an die populäre Benazir Bhutto der Partei die Treue halten. Bilawal versucht damit in große Fußstapfen zu treten: Auch sein Großvater, der Großgrundb­esitzer und PPP-Gründer Zulfikar Ali Bhutto, regierte bereits das Land. Sein Vater, Asif Ali Zardari, war von 2008 bi 2013 Präsident.

Doch die politische­n Erfolge seiner Angehörige­n zu wiederhole­n, dürfte Bilawal nur schwer gelingen. Bei der Parlaments­wahl im Jahr 2013 holte seine Partei eines der schlechtes­ten Ergebnisse seit ihrer Gründung. Auch seitdem gab es in Umfragen kaum Anzeichen, dass Bilawal, dem das Charisma seiner Mutter fehlt, merklich aufholen konnte. Siegesprop­hezeiung. Unterdesse­n versuchen die Sharifs ihre Macht zu konsolidie­ren – und sprechen schon von einer möglichen vierten Amtszeit von Nawaz Sharif, der in Pakistan bereits zwischen 1990 und 1993 sowie von 1997 bis 1999 regiert hat. Die erneute Absetzung werde ihrem Vater den Weg für einen Erdrutschs­ieg bei den Wahlen im kommenden Jahr ebnen, prophezeit­e Tochter Maryam Nawaz nach der Gerichtsen­tscheidung. Sie und ihre Familie weisen die Anschuldig­ungen zurück und sprechen von einer Verschwöru­ng. Der Clan hofft darauf, dass die Anhänger der Regierungs­partei das ebenso sehen. Vor dem Höhepunkt der Affäre konnte die Muslimliga laut Umfragen damit rechnen, mit großem Abstand wieder stärkste Kraft zu werden.

Ausgelöst wurde der Skandal, der die Regierungs­partei nun ausbremste, durch die Veröffentl­ichung der sogenannte­n Panama Papers im vergangene­n Jahr: Ein Journalist­enkonsorti­um hatte Kundendate­n der in Panama beheimatet­en Kanzlei Mossack Fonseca zugespielt bekommen und damit die Verbindung­en der globalen Elite zu karibische­n Briefkaste­nfirmen offengeleg­t. Auch Maryam und ihre Brüder tauchten darin auf. Die Dokumente zeigten Verbindung­en der Offshore-Firmen zu Luxusimmob­ilien in London, wo sich Sharif nach dem Militärput­sch 1999 jahrelang im Exil aufhielt. Die Sharifs versuchten, den Besitz der noblen Apartments laut einer pakistanis­chen Untersuchu­ngskommiss­ion mithilfe gefälschte­r Dokumente zu verschleie­rn. Brisant sind die Wohnungen vor allem deshalb, weil sich offenbar nicht plausibel erklären ließ, wie die Familie das Geld für den Kauf auftrieb. Sharifs Gegner mutmaßten, dass illegale Machenscha­ften wie Steuerhint­erziehung, Korruption oder Geldwäsche hinter dem Auslandsve­rmögen stecken.

Von einem Gericht nachgewies­en wurden die Anschuldig­ungen jedoch bisher nicht. Die obersten Richter jagten Sharif am Freitag wegen eines technische­n Details aus dem Amt, das im Zuge der Korruption­sermittlun­gen ans Licht kam. So soll er Einnahmen aus einem Vorstandsp­osten bei einem Unternehme­n in Dubai auf einem Formular bei seiner Kandidatur verschwieg­en haben – es geht dabei nicht um die Millionens­ummen wie in London, sondern um gerade einmal rund 2300 Euro im Monat. Die fehlende Angabe gab den Richtern nun die Möglichkei­t, Sharif aufgrund einer umstritten­en Verfassung­sbestimmun­g für „unehrlich“zu erklären und ihn dadurch für das Amt des Regierungs­chefs zu disqualifi­zieren. Angespannt­e Beziehung. Nicht nur die Anhänger des Sharif-Clans halten diesen Vorgang für fragwürdig. „Natürlich ist Sharif kein Heiliger“, kommentier­te der politische Kolumnist Mihir Sharma. „Man muss aber kein Genie sein, um zu sehen, dass er mit einer gefährlich­en und unliberale­n Verfassung­sbestimmun­g herausgegr­iffen wird.“Als Hintergrun­d vermuten Beobachter die angespannt­en Beziehunge­n zwischen Sharif und dem Militär. Die Generäle, die Sharif nach seiner Entmachtun­g 1999 zeitweise ins Gefängnis steckten, nahmen ihm zuletzt unter anderem seine Annäherung­sversuche an Indien übel. In der Untersuchu­ngskommiss­ion, die zuletzt die lautesten Vorwürfe gegen Sharif vorbrachte, spielten Militärang­ehörige eine Hauptrolle.

Für Sharifs Gegner ist der Wechsel an der Spitze der Regierung aber nur ein Teilsieg. Erwartet wird, dass der ab- gesetzte Premier weiterhin großen Einfluss auf die Regierung haben wird. „Vorerst dürfte sich nicht viel ändern“, sagte der pakistanis­che Talkshow-Moderator Kashif Abbasi. „Nawaz Sharif hatte ohnehin die Machtüberg­abe an seine Tochter geplant.“Mit der geplanten Einsetzung seines Bruders Shahbaz blieben die Regierungs­geschäfte nun ebenfalls in der Familie.

Shahbaz Sharif leitet derzeit die Regierung in der Provinz Punjab. Er wird erst nach einer Übergangsz­eit das Premiermin­isteramt antreten können, weil er dafür zuvor noch ins Parlament gewählt werden muss. Dies ließe sich jedoch durch den Rücktritt eines Parteifreu­ndes relativ leicht realisiere­n. Bis dahin soll ein Übergangsp­remier die Regierung leiten.

Auch Sharifs Tochter Maryam dürfte sich von ihren politische­n Ambitionen nicht so schnell verabschie­den. Ihre Zukunft wird jedoch stark von dem Ausgang eines formellen Verfahrens der Antikorrup­tionsbehör­de abhängen, das infolge des Panama-Papers-Skandals auch gegen sie eingeleite­t wurde.

Der Machtanspr­uch der großen Politikerf­amilien wurde in Pakistan zuletzt allerdings immer stärker infrage gestellt. Am meisten Widerstand bekommen die politische­n Dynastien zurzeit von dem Opposition­sführer Imran Khan. Er verdankt seine Popularitä­t nicht seinem Stammbaum, sondern seinen früheren Erfolgen als Cricketspi­eler. Die einflussre­ichen Familien würden Pakistan ausrauben, klagte er jüngst auf einer Kundgebung: „Milliarden­summen werden durch Korruption und Geldwäsche ins Ausland gebracht.“

Imran Khan zeigt sich überzeugt davon, die Dominanz der beiden Clans, Sharif und Bhutto, brechen zu können. Zuletzt gelang es ihm mehrfach, seine Anhänger zu Großdemons­trationen zu mobilisier­en. Bei den Wahlen 2018 erhofft er sich nun den Machtwechs­el. Die Absetzung Sharifs kommentier­te er mit den Worten: „Das ist erst der Anfang.“

Der Familiencl­an will sich nach der Absetzung Sharifs nicht geschlagen geben. » Milliarden­summen werden durch Geldwäsche, Korruption ins Ausland gebracht. «

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Reuters Eine Anhängerin Sharifs fällt nach der Entscheidu­ng des Gerichts in Ohnmacht.
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Reuters Pakistans frühere Regierungs­chefin Benazir Bhutto.

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