Die grüne Welle und ihre Feinde
Viele Autofahrer klagen über Ampelschaltungen, die grüne Welle hält mancher für einen Mythos. Nun, in der Theorie gibt es sie – doch in der Praxis kann sie an vielen Dingen scheitern.
Was hat die grüne Welle mit dem Bermuda Dreieck zu tun? Nun, dass die freie Fahrt für Autofahrer in der Stadt von ähnlichen Mythen umrankt ist wie das Seegebiet nördlich der Karibik, in dem es zu so vielen Schiffs- und Flugzeugkatastrophen kam. „Die grüne Welle gibt es doch gar nicht“, ist ein unter Autofahrern verbreiteter Satz, oft unterfüttert mit dem Beispiel einer Straße, an der man bei drei Ampeln hintereinander stehenbleiben musste.
„Es klingt wie eine Verschwörungstheorie, dass jemand mit dem roten Knopf die grüne Welle abdreht“, sagt Walter Mimmler. Der Fachbereichsleiter bei der MA33 („Wien leuchtet“) ist einer der Hauptverantwortlichen für die Ampeln in Wien. Er kennt die Beschwerden des MIV – das ist der Begriff, mit dem in der Verkehrsplanung Autofahrer bezeichnet werden, motorisierter Individualverkehr. Und er weiß, woran es hakt. Am Unterschied zwischen Theorie und Praxis, nämlich.
Grundsätzlich unterliegen Ampeln quasi einem Stundenplan. Der reicht von langen Grünphasen in der Nacht bis zu komplexen Programmen, die je nach prognostizierter Auslastung eingestellt werden können. Mimmler zeigt auf einen Bildschirm mit bunten Streifen, die in verschiedenfarbige Abschnitte unterteilt sind. Das sind die einzelnen Schaltprogramme, wie bei einer Spieluhr, die je nach Uhrzeit eingestellt sind. Für jede Ampel in Wien einzeln. Sie sind in der Regel so programmiert, dass auf den Hauptverkehrsrouten der Verkehr fließen kann und Fahrzeuge von niederrangigeren Straßen auch ihre Chance bekommen. Irgendwann steht das Werk. Problematisch wird es meist dann, wenn in der Praxis etwas passiert. Da genüge es schon, wenn auf dem Gürtel ein Autofahrer mehrmals reversieren muss, um in einen Parkplatz zu kommen. „Irgendwann steht das Werk und keiner weiß warum“, sagt Mimmler. Nachsatz: „Wir wissen es, aber uns glaubt es keiner.“
Die grüne Welle, ja, die gebe es. „30 Strecken, die unter unseren mathematischen Berechnungen funktionieren.“Dazu gehören etwa der Ring, der Gürtel oder der Handelskai. Wobei, ganz so einfach ist es auch wieder nicht. Wenn etwa eine Verbindungsstraße morgens stadteinwärts grün koordiniert ist, „da kann die Gegenrichtung nicht flüssig sein“. Und dann gibt es auch noch Straßen, die zu keiner Zeit eine typische Richtung haben – der Handelskai zum Beispiel. Hier läuft eine Kompromisslösung für beide Fahrtrichtungen inklusive Möglichkeit zum Abbiegen. Da sei es klar, dass die grüne Welle nicht durchgängig spürbar sei. „Da beschweren sich viele.“
Verkehrsplanung sei schon grundsätzlich immer ein Kompromiss. Und ja, es gebe manche Dinge, die für wartende Autofahrer nicht immer nachvollziehbar seien. Wenn etwa die Ampeln auf einer Kreuzung für einige Sekunden in alle Richtungen auf rot gestellt sind. „Die Räumzeit ist unsere größte Verlustzeit“, sagt Mimmler. Gemeint ist jene Zeit, die Fußgänger, die gerade noch bei grün den Zebrastreifen betreten, brauchen, bis sie auf der anderen Seite sind. Vor allem bei langen Schutzwegen dauere das eben lange – ob tatsächlich Passanten da sind oder nicht. „Und die Autofahrer stehen da und es passiert nichts“.
Ein ähnlicher Effekt stellt sich bei Fußgängerampeln ein, bei denen Passanten drücken, um grün zu bekommen. Da gebe es etwa auf der Wienzeile viele Beschwerden, dass Autofahrer rot hätten, aber weit und breit kein In der Zentrale der MA 33: Wie bei einer Spieluhr laufen zu unterschiedlichen Uhrzeiten verschiedene Ampelprogramme – für jede Ampel in Wien einzeln. Die verschiedenen Farben stehen für unterschiedliche Schaltungen. Fußgänger zu sehen sei. Die Lösung sei oft, dass ein Passant zwar drückt, aber gleichzeitig sieht, dass kein Auto kommt und schon bei rot losgeht. Wenn einige Sekunden später die Ampel umspringt, ist er längst weg – und der Autofahrer, der scheinbar sinnlos stehenbleiben muss, verärgert.
Wo Fußgänger und Autos aufeinandertreffen, sind auch weitere Verzögerungen programmiert. Wenn etwa ein Fahrer an einer Kreuzung rechts abbiegen möchte, aber warten muss, bis niemand mehr auf dem Zebrastreifen ist. Dann geht einige Grünzeit für die Autofahrer dahinter verloren. Der Idealfall, dass alle zwei Sekunden ein Fahrzeug über die Kreuzung kommt, lässt sich nicht mehr erreichen.
Wobei es auch immer wieder an anderen Dingen scheitere. „Die StartStop-Automatik braucht eine Sekunde länger, bis das Fahrzeug weg kommt“, sagt Mimmler, also dass Autos beim Stehen den Motor abdrehen und erst wieder neu starten müssen. Und dann wäre da auch noch der menschliche Faktor. Handyspieler, zum Beispiel. Also jemand, der an der Kreuzung etwas tippt und nicht sofort mitbekommt, wenn die Ampel auf grün schaltet. „Die reduzieren die Leistungsfähigkeit um die Hälfte.“Und lassen so wertvolle Sekunden liegen.
Wer an der Kreuzung mit dem Handy spielt, sorgt auch für eine Verzögerung.
Vorrang für Straßenbahnen. Auch der öffentliche Verkehr kann eine theoretische grüne Welle für den MIV zerstören. Denn Straßenbahnen und Busse sind automatisch bevorrangt – sie können auch Ampelschaltungen beeinflussen. „Auf der Brünner Straße gibt es etwa eine grüne Welle für Straßenbahnen – sie dürfen dort auch schneller fahren, bis zu 60 km/h.“Da könne es passieren, dass Autofahrer öfter rote Ampeln zu sehen bekommen.
Theoretisch, meint Mimmler, könnte man mit 50 km/h auf der mittleren Spur des Pratersterns dauerhaft im Kreis fahren und immer grün haben. Nur in der Praxis spielen zu viele andere Variablen mit. Ein Autofahrer, der zu lange überlegen muss. Eine Straßenbahn, die sich den Vorrang holt. Und eben auch, dass man nicht allein auf der Straße ist. „Zwischen sieben und neun Uhr früh darf man sowieso keine grüne Welle erwarten.“