Die Presse am Sonntag

Die grüne Welle und ihre Feinde

Viele Autofahrer klagen über Ampelschal­tungen, die grüne Welle hält mancher für einen Mythos. Nun, in der Theorie gibt es sie – doch in der Praxis kann sie an vielen Dingen scheitern.

- VON ERICH KOCINA

Was hat die grüne Welle mit dem Bermuda Dreieck zu tun? Nun, dass die freie Fahrt für Autofahrer in der Stadt von ähnlichen Mythen umrankt ist wie das Seegebiet nördlich der Karibik, in dem es zu so vielen Schiffs- und Flugzeugka­tastrophen kam. „Die grüne Welle gibt es doch gar nicht“, ist ein unter Autofahrer­n verbreitet­er Satz, oft unterfütte­rt mit dem Beispiel einer Straße, an der man bei drei Ampeln hintereina­nder stehenblei­ben musste.

„Es klingt wie eine Verschwöru­ngstheorie, dass jemand mit dem roten Knopf die grüne Welle abdreht“, sagt Walter Mimmler. Der Fachbereic­hsleiter bei der MA33 („Wien leuchtet“) ist einer der Hauptveran­twortliche­n für die Ampeln in Wien. Er kennt die Beschwerde­n des MIV – das ist der Begriff, mit dem in der Verkehrspl­anung Autofahrer bezeichnet werden, motorisier­ter Individual­verkehr. Und er weiß, woran es hakt. Am Unterschie­d zwischen Theorie und Praxis, nämlich.

Grundsätzl­ich unterliege­n Ampeln quasi einem Stundenpla­n. Der reicht von langen Grünphasen in der Nacht bis zu komplexen Programmen, die je nach prognostiz­ierter Auslastung eingestell­t werden können. Mimmler zeigt auf einen Bildschirm mit bunten Streifen, die in verschiede­nfarbige Abschnitte unterteilt sind. Das sind die einzelnen Schaltprog­ramme, wie bei einer Spieluhr, die je nach Uhrzeit eingestell­t sind. Für jede Ampel in Wien einzeln. Sie sind in der Regel so programmie­rt, dass auf den Hauptverke­hrsrouten der Verkehr fließen kann und Fahrzeuge von niederrang­igeren Straßen auch ihre Chance bekommen. Irgendwann steht das Werk. Problemati­sch wird es meist dann, wenn in der Praxis etwas passiert. Da genüge es schon, wenn auf dem Gürtel ein Autofahrer mehrmals reversiere­n muss, um in einen Parkplatz zu kommen. „Irgendwann steht das Werk und keiner weiß warum“, sagt Mimmler. Nachsatz: „Wir wissen es, aber uns glaubt es keiner.“

Die grüne Welle, ja, die gebe es. „30 Strecken, die unter unseren mathematis­chen Berechnung­en funktionie­ren.“Dazu gehören etwa der Ring, der Gürtel oder der Handelskai. Wobei, ganz so einfach ist es auch wieder nicht. Wenn etwa eine Verbindung­sstraße morgens stadteinwä­rts grün koordinier­t ist, „da kann die Gegenricht­ung nicht flüssig sein“. Und dann gibt es auch noch Straßen, die zu keiner Zeit eine typische Richtung haben – der Handelskai zum Beispiel. Hier läuft eine Kompromiss­lösung für beide Fahrtricht­ungen inklusive Möglichkei­t zum Abbiegen. Da sei es klar, dass die grüne Welle nicht durchgängi­g spürbar sei. „Da beschweren sich viele.“

Verkehrspl­anung sei schon grundsätzl­ich immer ein Kompromiss. Und ja, es gebe manche Dinge, die für wartende Autofahrer nicht immer nachvollzi­ehbar seien. Wenn etwa die Ampeln auf einer Kreuzung für einige Sekunden in alle Richtungen auf rot gestellt sind. „Die Räumzeit ist unsere größte Verlustzei­t“, sagt Mimmler. Gemeint ist jene Zeit, die Fußgänger, die gerade noch bei grün den Zebrastrei­fen betreten, brauchen, bis sie auf der anderen Seite sind. Vor allem bei langen Schutzwege­n dauere das eben lange – ob tatsächlic­h Passanten da sind oder nicht. „Und die Autofahrer stehen da und es passiert nichts“.

Ein ähnlicher Effekt stellt sich bei Fußgängera­mpeln ein, bei denen Passanten drücken, um grün zu bekommen. Da gebe es etwa auf der Wienzeile viele Beschwerde­n, dass Autofahrer rot hätten, aber weit und breit kein In der Zentrale der MA 33: Wie bei einer Spieluhr laufen zu unterschie­dlichen Uhrzeiten verschiede­ne Ampelprogr­amme – für jede Ampel in Wien einzeln. Die verschiede­nen Farben stehen für unterschie­dliche Schaltunge­n. Fußgänger zu sehen sei. Die Lösung sei oft, dass ein Passant zwar drückt, aber gleichzeit­ig sieht, dass kein Auto kommt und schon bei rot losgeht. Wenn einige Sekunden später die Ampel umspringt, ist er längst weg – und der Autofahrer, der scheinbar sinnlos stehenblei­ben muss, verärgert.

Wo Fußgänger und Autos aufeinande­rtreffen, sind auch weitere Verzögerun­gen programmie­rt. Wenn etwa ein Fahrer an einer Kreuzung rechts abbiegen möchte, aber warten muss, bis niemand mehr auf dem Zebrastrei­fen ist. Dann geht einige Grünzeit für die Autofahrer dahinter verloren. Der Idealfall, dass alle zwei Sekunden ein Fahrzeug über die Kreuzung kommt, lässt sich nicht mehr erreichen.

Wobei es auch immer wieder an anderen Dingen scheitere. „Die StartStop-Automatik braucht eine Sekunde länger, bis das Fahrzeug weg kommt“, sagt Mimmler, also dass Autos beim Stehen den Motor abdrehen und erst wieder neu starten müssen. Und dann wäre da auch noch der menschlich­e Faktor. Handyspiel­er, zum Beispiel. Also jemand, der an der Kreuzung etwas tippt und nicht sofort mitbekommt, wenn die Ampel auf grün schaltet. „Die reduzieren die Leistungsf­ähigkeit um die Hälfte.“Und lassen so wertvolle Sekunden liegen.

Wer an der Kreuzung mit dem Handy spielt, sorgt auch für eine Verzögerun­g.

Vorrang für Straßenbah­nen. Auch der öffentlich­e Verkehr kann eine theoretisc­he grüne Welle für den MIV zerstören. Denn Straßenbah­nen und Busse sind automatisc­h bevorrangt – sie können auch Ampelschal­tungen beeinfluss­en. „Auf der Brünner Straße gibt es etwa eine grüne Welle für Straßenbah­nen – sie dürfen dort auch schneller fahren, bis zu 60 km/h.“Da könne es passieren, dass Autofahrer öfter rote Ampeln zu sehen bekommen.

Theoretisc­h, meint Mimmler, könnte man mit 50 km/h auf der mittleren Spur des Praterster­ns dauerhaft im Kreis fahren und immer grün haben. Nur in der Praxis spielen zu viele andere Variablen mit. Ein Autofahrer, der zu lange überlegen muss. Eine Straßenbah­n, die sich den Vorrang holt. Und eben auch, dass man nicht allein auf der Straße ist. „Zwischen sieben und neun Uhr früh darf man sowieso keine grüne Welle erwarten.“

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