»Die Bank muss auch Nein sagen können«
Die leichte Verfügbarkeit von Konsumgütern auf Kredit hat etwas »Verführerisches«, sagt Erste-Privatkundenvorstand Peter Bosek. Trotz aller Eigenverantwortung seien aber auch die Banken in der Pflicht, Überschuldungen frühzeitig zu verhindern.
Sie haben sich als Manager eines der größten Gläubiger des Landes jüngst mit Schuldnervertretern auf ein Podium gesetzt und großes Verständnis für die Probleme überschuldeter Menschen sowie die schuldnerfreundliche Änderung des Privatkonkurses gezeigt. Das hat bei Gläubigervertretern für Ärger gesorgt. Verstehen Sie diesen Ärger? Peter Bosek: Das Ausmaß des Ärgers verstehe ich überhaupt nicht. Es ist nachvollziehbar, dass der eine oder andere überrascht war. Wir können aber nicht in den Sonntagsreden immer von einer Kultur des Scheiterns reden, dann aber reflexartig nach alten Mustern agieren, wenn es um konkrete Maßnahmen geht. Sie erklärten Ihr Vorgehen mit einem Besuch bei der Schuldnerberatung, der Sie berührt habe. Was ist da passiert? Ich war vor ein paar Jahren einen Tag bei der Schuldnerberatung. Und wenn man die Schicksale so aus der Nähe sieht, dann macht das schon einen Unterschied aus. Beispielsweise war da eine Frau, die für ihren Exmann mitgehaftet hat, der einen Gastronomiebetrieb aufgemacht hatte. Als der Betrieb in Konkurs ging, hat die Bank bei beiden eingetrieben. Die Frau ist also einfach mitgerissen worden. Mich hat damals überrascht, dass die Menschen sich so schwertun, zu einer Schuldnerberatung zu gehen, die übrigens einen super Job macht. Viel zu lang werden Schuldenberge vor sich hergeschoben. Davon hat aber niemand etwas. Geht es dabei um das Thema Scham? Ja. Es ist eine Mischung aus Scham und Nichtwissen. Viele stecken einfach den Kopf in den Sand und verdrängen das Thema, in der Hoffnung, dass es sich von selbst löst. Die Folge sind dann oft Exekutionen. In Österreich gab es im Vorjahr 630.000 Lohnpfändungen und 770.000 Exekutionen von Gegenständen. Die Zahl der betroffenen Personen dürfte aufgrund von Mehrfachtiteln zwar darunter liegen, trotzdem bleibt die Frage: Können die Österreicher mit Geld nicht umgehen? Das glaube ich nicht. Was aber natürlich schon stimmt, ist, dass sich das Konsumverhalten stark verändert hat. Viele Güter sind heute für jeden leicht zugänglich, was ja sehr erfreulich ist. Das
Peter Bosek
ist seit 2015 der für das Privatkundengeschäft zuständige Vorstand der heimischen Erste Group. Zuvor war er Vorstand der Österreich-Tochter der Ersten. Seine Karriere begann Bosek 1993 als Assistent am Juridicum der Uni Wien.
Im Frühsommer
warb Bosek in einer Pressekonferenz zusammen mit der Dachorganisation der heimischen Schuldnerberatungen für die Reform des Privatkonkurses, die diesen für Schuldner deutlich leichter machen soll. Das brachte ihm Kritik von Gläubigervertretern ein. hat aber natürlich auch etwas Verführerisches. Und da kann man auch relativ schnell mit dem Strafrecht in Berührung kommen, wie mir ein Fall von der Schuldnerberatung zeigte: Eine alleinerziehende Mutter hat im Versandhandel Kleidung für die Kinder bestellt. Und weil sie bereits überschuldet war und wissen musste, dass sie es nicht zurückzahlen kann, war das bereits strafrechtlich relevant. Das war mir in dieser Drastik bis dahin auch nicht bewusst. Die Schuldnerberater sagen, in der Regel startet eine Schuldnerkarriere mit dem überzogenen Bankkonto. Sind die Banken bei den Überziehungen zu nachlässig? Nein. Die Höhe des Überziehungsrahmens ist ja vom Einkommen abhängig. Und wenn jemand länger als drei Monate mit einem höheren Betrag als dem Einkommen verschuldet ist, wird er von der Bank auch kontaktiert, die ihn aufklärt, dass ein Konsumkredit günstiger und sinnvoller wäre. Laut Schuldnerberatern sind diese Kredite für viele Schuldner aber bereits zu hoch und nicht mehr rückzahlbar. Dann ist es schon zu spät. Schulden bauen sich oft in Form eines Schneeballeffekts auf. Hat die Bank die Verantwortung, diesen zu durchbrechen? Auf meiner Sicht zu 100 Prozent. Die Aufgabe einer Bank ist, die Liquidität ihrer Kunden über den Lebenszyklus zu gewährleisten. Es gibt Phasen, in denen die Menschen zu viel Geld haben. Und es gibt Phasen, in denen sie mehr Geld benötigen. Allerdings muss die Bank dabei auch Nein sagen können. Das ist für einen Dienstleister – wie wir es nun einmal sind – oft gar nicht so einfach. Insofern haben wir aber eine große Verantwortung, diesen Schneeballeffekt rechtzeitig zu stoppen. Wird das auch im ausreichenden Maße gemacht? Ich sehe bei den österreichischen Banken eine hohe Verantwortung in dieser Frage. Bei den sogenannten Point-ofSale-Finanzierungen, die etwa im Elektronikhandel TV-Geräte finanzieren, habe ich jedoch zu wenig Überblick. Das ist jedenfalls ein Geschäft mit sehr hohen Margen, das aber kaum von heimischen Banken gemacht wird. Wird heutzutage zu viel über Kredite finanziert? Österreich ist eigentlich nach wie vor kein Land der großen Kreditnehmer. Die Zahl der Wohnbaukredite bleibt relativ stabil bei 90 Milliarden Euro. Jene der Konsumkredite ist in den vergangenen Jahren sogar gesunken. Einen Kredit aufzunehmen ist nicht in der DNA der Österreicher. In den 1980er-Jahren hätte sich aber noch niemand einen Fernseher auf Kredit gekauft? Damals habe ich das Thema noch nicht so genau mitverfolgt. Es gibt aber definitiv auch heute einen großen Unterschied etwa zum amerikanischen Raum. Dort sind Überziehungen und Käufe mit Kreditkarten wesentlich üblicher als in Europa. Das Problem beim Überziehen sind ja auch die hohen Zinsen. Wir haben derzeit Nullzin- sen, dennoch zahlt man bei überzogenen Konten schnell über zehn Prozent. Wie ist das zu argumentieren? Weil es ein sofortiger Kredit ohne Bearbeitungsgebühren und Kreditprüfung ist. Es gibt ja immer wieder den politischen Wunsch, die Kosten für Bankdienstleistungen gesetzlich zu regeln. Das passt allerdings nicht zu meinem Verständnis von freier Wirtschaft. In der öffentlichen Diskussion zu dem Thema ist der Schuldner oft der Arme und Gute und der Gläubiger der Böse, weil er Geld zurückfordert. Empfinden Sie das auch so? Das ganze Thema ist halt über Jahrhunderte kulturell sehr stark geprägt – etwa durch Zinsverbote und ähnliches. Diese katholisch geprägte Haltung schwingt auch heute noch mit. Für die wirtschaftliche Entwicklung ist das natürlich kein positiver Einflussfaktor.