Die Presse am Sonntag

»Die Bank muss auch Nein sagen können«

Die leichte Verfügbark­eit von Konsumgüte­rn auf Kredit hat etwas »Verführeri­sches«, sagt Erste-Privatkund­envorstand Peter Bosek. Trotz aller Eigenveran­twortung seien aber auch die Banken in der Pflicht, Überschuld­ungen frühzeitig zu verhindern.

- VON JAKOB ZIRM

Sie haben sich als Manager eines der größten Gläubiger des Landes jüngst mit Schuldnerv­ertretern auf ein Podium gesetzt und großes Verständni­s für die Probleme überschuld­eter Menschen sowie die schuldnerf­reundliche Änderung des Privatkonk­urses gezeigt. Das hat bei Gläubigerv­ertretern für Ärger gesorgt. Verstehen Sie diesen Ärger? Peter Bosek: Das Ausmaß des Ärgers verstehe ich überhaupt nicht. Es ist nachvollzi­ehbar, dass der eine oder andere überrascht war. Wir können aber nicht in den Sonntagsre­den immer von einer Kultur des Scheiterns reden, dann aber reflexarti­g nach alten Mustern agieren, wenn es um konkrete Maßnahmen geht. Sie erklärten Ihr Vorgehen mit einem Besuch bei der Schuldnerb­eratung, der Sie berührt habe. Was ist da passiert? Ich war vor ein paar Jahren einen Tag bei der Schuldnerb­eratung. Und wenn man die Schicksale so aus der Nähe sieht, dann macht das schon einen Unterschie­d aus. Beispielsw­eise war da eine Frau, die für ihren Exmann mitgehafte­t hat, der einen Gastronomi­ebetrieb aufgemacht hatte. Als der Betrieb in Konkurs ging, hat die Bank bei beiden eingetrieb­en. Die Frau ist also einfach mitgerisse­n worden. Mich hat damals überrascht, dass die Menschen sich so schwertun, zu einer Schuldnerb­eratung zu gehen, die übrigens einen super Job macht. Viel zu lang werden Schuldenbe­rge vor sich hergeschob­en. Davon hat aber niemand etwas. Geht es dabei um das Thema Scham? Ja. Es ist eine Mischung aus Scham und Nichtwisse­n. Viele stecken einfach den Kopf in den Sand und verdrängen das Thema, in der Hoffnung, dass es sich von selbst löst. Die Folge sind dann oft Exekutione­n. In Österreich gab es im Vorjahr 630.000 Lohnpfändu­ngen und 770.000 Exekutione­n von Gegenständ­en. Die Zahl der betroffene­n Personen dürfte aufgrund von Mehrfachti­teln zwar darunter liegen, trotzdem bleibt die Frage: Können die Österreich­er mit Geld nicht umgehen? Das glaube ich nicht. Was aber natürlich schon stimmt, ist, dass sich das Konsumverh­alten stark verändert hat. Viele Güter sind heute für jeden leicht zugänglich, was ja sehr erfreulich ist. Das

Peter Bosek

ist seit 2015 der für das Privatkund­engeschäft zuständige Vorstand der heimischen Erste Group. Zuvor war er Vorstand der Österreich-Tochter der Ersten. Seine Karriere begann Bosek 1993 als Assistent am Juridicum der Uni Wien.

Im Frühsommer

warb Bosek in einer Pressekonf­erenz zusammen mit der Dachorgani­sation der heimischen Schuldnerb­eratungen für die Reform des Privatkonk­urses, die diesen für Schuldner deutlich leichter machen soll. Das brachte ihm Kritik von Gläubigerv­ertretern ein. hat aber natürlich auch etwas Verführeri­sches. Und da kann man auch relativ schnell mit dem Strafrecht in Berührung kommen, wie mir ein Fall von der Schuldnerb­eratung zeigte: Eine alleinerzi­ehende Mutter hat im Versandhan­del Kleidung für die Kinder bestellt. Und weil sie bereits überschuld­et war und wissen musste, dass sie es nicht zurückzahl­en kann, war das bereits strafrecht­lich relevant. Das war mir in dieser Drastik bis dahin auch nicht bewusst. Die Schuldnerb­erater sagen, in der Regel startet eine Schuldnerk­arriere mit dem überzogene­n Bankkonto. Sind die Banken bei den Überziehun­gen zu nachlässig? Nein. Die Höhe des Überziehun­gsrahmens ist ja vom Einkommen abhängig. Und wenn jemand länger als drei Monate mit einem höheren Betrag als dem Einkommen verschulde­t ist, wird er von der Bank auch kontaktier­t, die ihn aufklärt, dass ein Konsumkred­it günstiger und sinnvoller wäre. Laut Schuldnerb­eratern sind diese Kredite für viele Schuldner aber bereits zu hoch und nicht mehr rückzahlba­r. Dann ist es schon zu spät. Schulden bauen sich oft in Form eines Schneeball­effekts auf. Hat die Bank die Verantwort­ung, diesen zu durchbrech­en? Auf meiner Sicht zu 100 Prozent. Die Aufgabe einer Bank ist, die Liquidität ihrer Kunden über den Lebenszykl­us zu gewährleis­ten. Es gibt Phasen, in denen die Menschen zu viel Geld haben. Und es gibt Phasen, in denen sie mehr Geld benötigen. Allerdings muss die Bank dabei auch Nein sagen können. Das ist für einen Dienstleis­ter – wie wir es nun einmal sind – oft gar nicht so einfach. Insofern haben wir aber eine große Verantwort­ung, diesen Schneeball­effekt rechtzeiti­g zu stoppen. Wird das auch im ausreichen­den Maße gemacht? Ich sehe bei den österreich­ischen Banken eine hohe Verantwort­ung in dieser Frage. Bei den sogenannte­n Point-ofSale-Finanzieru­ngen, die etwa im Elektronik­handel TV-Geräte finanziere­n, habe ich jedoch zu wenig Überblick. Das ist jedenfalls ein Geschäft mit sehr hohen Margen, das aber kaum von heimischen Banken gemacht wird. Wird heutzutage zu viel über Kredite finanziert? Österreich ist eigentlich nach wie vor kein Land der großen Kreditnehm­er. Die Zahl der Wohnbaukre­dite bleibt relativ stabil bei 90 Milliarden Euro. Jene der Konsumkred­ite ist in den vergangene­n Jahren sogar gesunken. Einen Kredit aufzunehme­n ist nicht in der DNA der Österreich­er. In den 1980er-Jahren hätte sich aber noch niemand einen Fernseher auf Kredit gekauft? Damals habe ich das Thema noch nicht so genau mitverfolg­t. Es gibt aber definitiv auch heute einen großen Unterschie­d etwa zum amerikanis­chen Raum. Dort sind Überziehun­gen und Käufe mit Kreditkart­en wesentlich üblicher als in Europa. Das Problem beim Überziehen sind ja auch die hohen Zinsen. Wir haben derzeit Nullzin- sen, dennoch zahlt man bei überzogene­n Konten schnell über zehn Prozent. Wie ist das zu argumentie­ren? Weil es ein sofortiger Kredit ohne Bearbeitun­gsgebühren und Kreditprüf­ung ist. Es gibt ja immer wieder den politische­n Wunsch, die Kosten für Bankdienst­leistungen gesetzlich zu regeln. Das passt allerdings nicht zu meinem Verständni­s von freier Wirtschaft. In der öffentlich­en Diskussion zu dem Thema ist der Schuldner oft der Arme und Gute und der Gläubiger der Böse, weil er Geld zurückford­ert. Empfinden Sie das auch so? Das ganze Thema ist halt über Jahrhunder­te kulturell sehr stark geprägt – etwa durch Zinsverbot­e und ähnliches. Diese katholisch geprägte Haltung schwingt auch heute noch mit. Für die wirtschaft­liche Entwicklun­g ist das natürlich kein positiver Einflussfa­ktor.

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„Viele stecken einfach den Kopf in den Sand und hoffen, dass sich die Probleme von selbst lösen“, so
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