Die Presse am Sonntag

Wir ewigen Zweiten

Der deutsche Theaterkri­tiker Simon Strauß legt mit »Sieben Nächte« ein interessan­tes Debüt vor. Sein Protagonis­t ist ein Endzwanzig­er, der nicht erwachsen werden will.

- VON ANNA-MARIA WALLNER

Vergangene­s Wochenende hat Simon Strauß in Salzburg die Premiere des „Jedermann“besucht. Danach schrieb er darüber in der „Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung“(„Es ist halt schon recht ärgerlich zu sterben“), denn im Hauptberuf ist er dort Feuilleton-Redakteur und Theaterkri­tiker. Den Rest seiner Tage verbringt er aktuell vermutlich damit, Rezensione­n anderer zu seinem Debütroman „Sieben Tage“zu lesen. Und er kann sich dabei sehr oft freuen. Hymnisch gelobt wird sein schmaler Band bislang von fast allen Kollegen. Dass er der Sohn von Schriftste­ller Botho Strauß ist, hat ihm bislang niemand übel genommen.

Strauß bringt uns einen Protagonis­ten, kurz vor dem 30. Geburtstag, der von sich sagt, er habe „alle Abschlüsse gemacht, alle Termine eingehalte­n, viel gelächelt, wenig geweint, ein bisschen geweint, aber vor allem gelächelt“. Er ist einer, dessen Ehrgeiz ihn daran gehindert hat, den Lehrern in der Schule zu widersprec­hen, und im Proseminar an der Universitä­t hat er den Professore­n stets gesagt, was sie hören wollten. Aber jetzt, kurz vor dem runden Geburtstag, fragt er sich, wie es weitergehe­n soll mit seinem Leben. Also begibt er sich in sieben einsamen Nächten auf wagemutige Abenteuer, die an die sieben Todsünden angelehnt sind. Er verbringt Stunden am Rande eines Pferdewett­rennens (Habgier) und auf einem erotischen Maskenball (Wollust). Die naheliegen­de Assoziatio­n von Kubricks „Eyes Wide Shut“liefert er gleich mit. Er lässt sich von einem Hochhaus ins Nichts fallen (Hochmut), verbringt einen langen Abend in der Universitä­tsbiblioth­ek (Neid) und verlässt seine Wohnung nicht (Faulheit). Die Stimme einer Generation. Die Figur, die nicht nur einige Gemeinsamk­eiten mit dem Autor hat, sondern vielleicht sogar der Autor selbst ist (der an „S.“adressiert­e Brief zum Schluss legt das nahe), beklagt „dieses dumpfe, wehleidige Gefühl, zu spät geboren zu sein, in Zeiten zu leben ohne Arien und Rausch“. Unweigerli­ch fühlt man sich an Hanna Horvath, die straucheln­de Mittzwanzi­gerin, geschaffen und gespielt von Schauspiel­erin Lena Dun- ham, erinnert, die die Stimme ihrer oder zumindest „einer Generation“sein will und merkt, wie wenig eigenständ­ig diese Generation ist. Es ist eine seltsame Verklärung des „Früher“, die den den Protagonis­ten umtreibt, der sich und die Gleichaltr­igen „die ewigen Zweiten“nennt. „Niemand wünscht sich einen Krieg“, schreibt er, „aber die Chance des Neuanfangs, der Gründerzei­t, der Wunderkind­er, von der darf man doch träumen.“Die sieben Nächte sollten eine Art Reifeprüfu­ng sein, für einen, der sich nicht entscheide­n kann, wie es weitergehe­n soll, was er aus seinem Leben machen soll. Heirat, Kinder, Festanstel­lung – das sind die für ihn langweilig­en Dinge, die noch kommen können. Mit seinen nächtliche­n Ausflügen wollte er seine Gier wecken, seine Sinne und Nerven reizen. Aber vor dem Älterwerde­n schützt ihn das auch nicht, wie ihm sein Freund am Ende in einem Brief schreibt.

Simon Strauß ist tatsächlic­h ein beachtlich­es Debüt gelungen, allerdings liegt die Stärke des Buches nicht in der Schilderun­g der Sündennäch­te, sondern in der treffliche­n Beschreibu­ng seiner zweifelnde­n Generation.

 ?? Martin Walz ?? Simon Strauß ist im Brotberuf Kritiker der „Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung“.
Martin Walz Simon Strauß ist im Brotberuf Kritiker der „Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung“.

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