Diese Pille schluck ich nicht
Pro TŻg un© PŻtient pŻssiert ein Medikationsfehler. Nur selten entsteht ©Ż©urch SchŻ©en. Dennoch rŻten Experten, Me©izin un© Dosis zu hinterfrŻgen.
Es sind Millionen von Medikamenten, die täglich in Österreichs Krankenhäusern verabreicht werden. Da passieren Fehler, schätzungsweise kommt es pro Tag und Patient zu einem Medikationsfehler. Laut der Weltgesundheitsorganisation geben etwa 18 Prozent aller EU-Bürger an, einen schwerwiegenden medizinischen Fehler im Krankenhaus erlebt und elf Prozent eine falsche Medikation verschrieben bekommen zu haben. Allerdings verursachen fehlerhaft verabreichte Arzneimittel nur selten einen Schaden. Unter Medikationsfehlern versteht man sowohl die (meist harmlose) zu späte Verabreichung oder zu frühes Absetzen als auch eine zu hohe Dosis. Letztere freilich kann im schlimmsten Fall zum Tod führen. In Deutschland sterben pro Jahr 17.000 ältere Menschen an kumulierenden Medikamentenwirkungen. Legt man diese Zahl auf Österreich um, wären das 1700 Tote pro Jahr, also beinahe fünf Menschen täglich.
Fehler passieren in einem Krankenhaus ständig, aber nur ein geringer Prozentsatz verursacht tatsächlich gesundheitliche Probleme. „Man muss das Vertrauen in ein Spital keineswegs verlieren, denn sehr vieles funktioniert ja auch optimal“, sagt Patientenanwalt Gerald Bachinger. Vom blinden Vertrauen rät er allerdings ab und empfiehlt: Patienten sollen und dürfen in einem Spital nachfragen. Information ist ein Patientenrecht. „Wir wollen Patienten aber nicht verschrecken, wir wollen nur sensibilisieren, dass jeder etwas zur eigenen Sicherheit im Krankenhaus beitragen kann.“ Fragen ist erlaubt. „Es ist wichtig, dass Sie über die Medikamente bestmöglich informiert sind“, heißt es etwa im „Patientenhandbuch“als Leitfaden für einen sicheren Krankenhausaufenthalt. Man sollte sich beispielsweise nach der Wirkweise eines Präparats erkundigen und erst recht fragen, wenn plötzlich eine andere Dosis verabreicht wird oder die Tabletten eine andere Farbe haben als an anderen Tagen – zur eigenen Sicherheit. Im Krankenhaus werden Medikamente meist kommentarlos verabreicht. Leider fehlt vielen Patienten der Mut nachzufragen. „Es gibt sogar Ärzte, die irgendwann im eigenen Haus als Patient liegen und sich nicht zu fragen trauen, aus Angst, schlecht behandelt zu werden“, erzählt Norbert Pateisky, Leiter der Abteilung für Klinisches Risikomanagement am Allgemeinen Krankenhaus in Wien.
„Das System sollte viel mehr auf den angsterfüllten Patienten eingehen“, fordern Patientenanwälte seit Jahren. Mediziner mögen perfekt am Operationstisch sein, aber im Umgang mit verängstigten Patienten versagen sie häufig. Vielleicht hilft es, wenn jeder Patient sich immer wieder bewusst macht: Ohne ihn und seine Leidgenossen könnte kein Krankenhaus der Welt existieren, Patienten sind für ein Krankenhaus existenzsichernd.
Das sollten sich auch jene Kranken vor Augen halten, die dem Personal keine Umstände machen wollen und deshalb beispielsweise nächtens allein auf die Toilette gehen. Das ist gefährlich, denn genau dabei ereignen sich die meisten Stürze in Krankenhäusern. „Bitten Sie um Hilfe“, rät das Patientenhandbuch – das Personal wird schließlich (auch dafür) bezahlt. Stürze in einem Spital passieren generell häufig, denn vorangegangene Operation, Schwäche, ungewohnte Medikamente und Umgebung erhöhen das Sturzrisiko enorm.
Auch bei Identitätsverwechslungen, die neben Medikationsfehlern und übersehenen Allergien zu den häufigsten unnötigen Fehlen im Krankenhaus gehören, können Patienten zu mehr Sicherheit beitragen. Indem sie etwa bei der Einlieferung mit Arzt oder Krankenschwester Name und Grunddaten abgleichen. Todesursache Nummer 7. Letztlich geht es um die eigene Sicherheit, schließlich sind vermeidbare medizinische Fehler die siebenthäufigste Todesursache und rangieren damit weit vor Verkehrsunfällen, Brustkrebs oder Aids. Das könnte man leicht ändern – etwa durch bestimmte Checklisten (wie in der Luftfahrt). „Eine aktuelle, groß angelegte Studie in den USA ergab, dass Maßnahmen der Besten in Sachen Sicherheit, wie eben die Luftfahrt, auch in der Medizin zu dramatischen Verbesserungen hinsichtlich Fehlerhäufigkeit und -auswirkungen führen würden“, sagte Norbert Pateisky bei der Sommerakademie der österreichischen Apothekerkammer im vergangenen Juni, die sich mit Arzneimittelsicherheit beschäftigte.
Das Gedächtnis sei sehr verwundbar, auch Ärzten könne in der Hektik des Spitalsalltags immer wieder ein Fehler unterlaufen, sagt er. Und beispielsweise etwas vergessen, übersehen, verwechseln. „Wir haben in wenigen Bereichen konkretes Wissen, wie was funktionieren soll und was wirklich das Beste für den Patienten ist, aber wenigstens da sollten Mediziner das einhalten“, ergänzt er und bringt als Beispiel die Handdesinfektion, die vom Spitalspersonal häufig vergessen wird. Patienten können darauf aufmerksam machen, ein guter Arzt, eine gute Krankenschwester wird dankbar sein. Denn Handhygiene ist eine äußerst effektive Maßnahme gegen Infektionen. Tatsache ist: 4,1 Millionen Menschen erkranken in Europa jährlich an Krankenhauskeimen, in Österreich sterben jährlich 2400 Patienten daran.
Zudem gibt Pateisky zu bedenken: „In jedem OP-Saal liegen Metallschalen, in die OP-Schwestern Medikamente geben. Aber die werden nicht beschriftet, sodass vielfach unbekannt ist, was sich in den Schalen befindet. Da könne schon schon einmal statt Kochsalz ein Desinfektionsmittel gespritzt werden, das führe dann zum Absterben von Gewebe. Dabei wäre es einfach, Fehlerquellen wie diese zu umgehen. Einfach beschriften, aber das passiert leider nicht.“
Es gibt bereits spezielle Operations-Checklisten, die die Sicherheit der Patienten bei einem chirurgischen Eingriff erhöhen. In einigen OP-Sälen sind solche Listen etabliert, in anderen aber nicht. Die Frage, ob eine Zertifizierung mehr Sicherheit im Spital gewähre, beantwortet Pateisky nüchtern: „Zwei Drittel aller Ursachen für kritische Zwischenfälle sind bei einer Zertifizierung nicht erfasst.“