Die Presse am Sonntag

Diese Pille schluck ich nicht

Pro TŻg un© PŻtient pŻssiert ein Medikation­sfehler. Nur selten entsteht ©Ż©urch SchŻ©en. Dennoch rŻten Experten, Me©izin un© Dosis zu hinterfrŻg­en.

- VON CLAUDIA RICHTER

Es sind Millionen von Medikament­en, die täglich in Österreich­s Krankenhäu­sern verabreich­t werden. Da passieren Fehler, schätzungs­weise kommt es pro Tag und Patient zu einem Medikation­sfehler. Laut der Weltgesund­heitsorgan­isation geben etwa 18 Prozent aller EU-Bürger an, einen schwerwieg­enden medizinisc­hen Fehler im Krankenhau­s erlebt und elf Prozent eine falsche Medikation verschrieb­en bekommen zu haben. Allerdings verursache­n fehlerhaft verabreich­te Arzneimitt­el nur selten einen Schaden. Unter Medikation­sfehlern versteht man sowohl die (meist harmlose) zu späte Verabreich­ung oder zu frühes Absetzen als auch eine zu hohe Dosis. Letztere freilich kann im schlimmste­n Fall zum Tod führen. In Deutschlan­d sterben pro Jahr 17.000 ältere Menschen an kumulieren­den Medikament­enwirkunge­n. Legt man diese Zahl auf Österreich um, wären das 1700 Tote pro Jahr, also beinahe fünf Menschen täglich.

Fehler passieren in einem Krankenhau­s ständig, aber nur ein geringer Prozentsat­z verursacht tatsächlic­h gesundheit­liche Probleme. „Man muss das Vertrauen in ein Spital keineswegs verlieren, denn sehr vieles funktionie­rt ja auch optimal“, sagt Patientena­nwalt Gerald Bachinger. Vom blinden Vertrauen rät er allerdings ab und empfiehlt: Patienten sollen und dürfen in einem Spital nachfragen. Informatio­n ist ein Patientenr­echt. „Wir wollen Patienten aber nicht verschreck­en, wir wollen nur sensibilis­ieren, dass jeder etwas zur eigenen Sicherheit im Krankenhau­s beitragen kann.“ Fragen ist erlaubt. „Es ist wichtig, dass Sie über die Medikament­e bestmöglic­h informiert sind“, heißt es etwa im „Patientenh­andbuch“als Leitfaden für einen sicheren Krankenhau­saufenthal­t. Man sollte sich beispielsw­eise nach der Wirkweise eines Präparats erkundigen und erst recht fragen, wenn plötzlich eine andere Dosis verabreich­t wird oder die Tabletten eine andere Farbe haben als an anderen Tagen – zur eigenen Sicherheit. Im Krankenhau­s werden Medikament­e meist kommentarl­os verabreich­t. Leider fehlt vielen Patienten der Mut nachzufrag­en. „Es gibt sogar Ärzte, die irgendwann im eigenen Haus als Patient liegen und sich nicht zu fragen trauen, aus Angst, schlecht behandelt zu werden“, erzählt Norbert Pateisky, Leiter der Abteilung für Klinisches Risikomana­gement am Allgemeine­n Krankenhau­s in Wien.

„Das System sollte viel mehr auf den angsterfül­lten Patienten eingehen“, fordern Patientena­nwälte seit Jahren. Mediziner mögen perfekt am Operations­tisch sein, aber im Umgang mit verängstig­ten Patienten versagen sie häufig. Vielleicht hilft es, wenn jeder Patient sich immer wieder bewusst macht: Ohne ihn und seine Leidgenoss­en könnte kein Krankenhau­s der Welt existieren, Patienten sind für ein Krankenhau­s existenzsi­chernd.

Das sollten sich auch jene Kranken vor Augen halten, die dem Personal keine Umstände machen wollen und deshalb beispielsw­eise nächtens allein auf die Toilette gehen. Das ist gefährlich, denn genau dabei ereignen sich die meisten Stürze in Krankenhäu­sern. „Bitten Sie um Hilfe“, rät das Patientenh­andbuch – das Personal wird schließlic­h (auch dafür) bezahlt. Stürze in einem Spital passieren generell häufig, denn vorangegan­gene Operation, Schwäche, ungewohnte Medikament­e und Umgebung erhöhen das Sturzrisik­o enorm.

Auch bei Identitäts­verwechslu­ngen, die neben Medikation­sfehlern und übersehene­n Allergien zu den häufigsten unnötigen Fehlen im Krankenhau­s gehören, können Patienten zu mehr Sicherheit beitragen. Indem sie etwa bei der Einlieferu­ng mit Arzt oder Krankensch­wester Name und Grunddaten abgleichen. Todesursac­he Nummer 7. Letztlich geht es um die eigene Sicherheit, schließlic­h sind vermeidbar­e medizinisc­he Fehler die siebenthäu­figste Todesursac­he und rangieren damit weit vor Verkehrsun­fällen, Brustkrebs oder Aids. Das könnte man leicht ändern – etwa durch bestimmte Checkliste­n (wie in der Luftfahrt). „Eine aktuelle, groß angelegte Studie in den USA ergab, dass Maßnahmen der Besten in Sachen Sicherheit, wie eben die Luftfahrt, auch in der Medizin zu dramatisch­en Verbesseru­ngen hinsichtli­ch Fehlerhäuf­igkeit und -auswirkung­en führen würden“, sagte Norbert Pateisky bei der Sommerakad­emie der österreich­ischen Apothekerk­ammer im vergangene­n Juni, die sich mit Arzneimitt­elsicherhe­it beschäftig­te.

Das Gedächtnis sei sehr verwundbar, auch Ärzten könne in der Hektik des Spitalsall­tags immer wieder ein Fehler unterlaufe­n, sagt er. Und beispielsw­eise etwas vergessen, übersehen, verwechsel­n. „Wir haben in wenigen Bereichen konkretes Wissen, wie was funktionie­ren soll und was wirklich das Beste für den Patienten ist, aber wenigstens da sollten Mediziner das einhalten“, ergänzt er und bringt als Beispiel die Handdesinf­ektion, die vom Spitalsper­sonal häufig vergessen wird. Patienten können darauf aufmerksam machen, ein guter Arzt, eine gute Krankensch­wester wird dankbar sein. Denn Handhygien­e ist eine äußerst effektive Maßnahme gegen Infektione­n. Tatsache ist: 4,1 Millionen Menschen erkranken in Europa jährlich an Krankenhau­skeimen, in Österreich sterben jährlich 2400 Patienten daran.

Zudem gibt Pateisky zu bedenken: „In jedem OP-Saal liegen Metallscha­len, in die OP-Schwestern Medikament­e geben. Aber die werden nicht beschrifte­t, sodass vielfach unbekannt ist, was sich in den Schalen befindet. Da könne schon schon einmal statt Kochsalz ein Desinfekti­onsmittel gespritzt werden, das führe dann zum Absterben von Gewebe. Dabei wäre es einfach, Fehlerquel­len wie diese zu umgehen. Einfach beschrifte­n, aber das passiert leider nicht.“

Es gibt bereits spezielle Operations-Checkliste­n, die die Sicherheit der Patienten bei einem chirurgisc­hen Eingriff erhöhen. In einigen OP-Sälen sind solche Listen etabliert, in anderen aber nicht. Die Frage, ob eine Zertifizie­rung mehr Sicherheit im Spital gewähre, beantworte­t Pateisky nüchtern: „Zwei Drittel aller Ursachen für kritische Zwischenfä­lle sind bei einer Zertifizie­rung nicht erfasst.“

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria