Die Presse am Sonntag

»Muss das sein, dass man so fett ist?«

Unter dem Motto egalgewich­t widmet sich die »Wienerin« dem Thema »Body Positivity«. Nina Legat, 2016 Cover-Model des Magazins, spricht über Spitznamen wie »Rollspeck«, Dicken-Klischees und wie sie zu einem gesunden Selbstbild fand.

- VON LUCIE KNAPP

Nina Legat hat nicht Kleidergrö­ße 36 und zierte dennoch im Vorjahr das Cover der österreich­ischen Frauenzeit­schrift „Wienerin“. Und warum auch nicht? Es war ein bewusstes Statement der Jury, die einmal im Jahr eine Frau „von der Straße“zum Seite-Eins-Model kürt. Die 27-jährige Krankensch­wester Legat spricht nun, ein Jahr nach dieser Modelerfah­rung, über Reaktionen anderer auf ihren Körper, unmögliche Spitznamen wie „Rollspeck“und andere Beleidigun­gen. Sie selbst hat einen Weg gefunden, damit umzugehen. So erzählt sie auf ihrem Instagram-Profil von ihrem Kampf mit dem Essen, ihren Selbstzwei­feln, aber auch ihrem Weg zu mehr Selbstlieb­e und zu einem gesunden Körperbewu­sstsein. Warum teilst Du so viel von Dir auf Instagram? Nina Legat: Einerseits, weil es mir viel besser geht, wenn ich meine Gefühle aufschreib­e. Anderersei­ts, weil ich über Instagram andere Frauen finde, die ihren Körper schön finden und so akzeptiert werden wollen, wie sie sind – auch wenn sie nicht den Standardma­ßen entspreche­n. Ich finde dort Kraft und kann anderen ein bisschen Mut geben. Wann hast Du begonnen, an Dir und Deinem Körper zu zweifeln? In der Volksschul­e, in einem kleinen Dorf in Niederöste­rreich. Meine Lehrerin hat mir das Gefühl gegeben, dumm und nichts wert zu sein. In der Zeit habe ich begonnen, zuzunehmen, bis zu dem Punkt, an dem ich mich nicht mehr gemeinsam mit den anderen für den Turnunterr­icht umziehen wollte, weil ich das dickste Mädchen der Klasse war. Ich wurde gehänselt, war oft unglücklic­h, zeigte das aber nicht, sondern war nach außen hin der Sonnensche­in, ein total fröhliches Kind. Ich glaube, ich habe meine Sorgen damals mit Essen überspielt, es als Puffer gebraucht, um Trauer oder starke Gefühle zu verarbeite­n. Es ist jetzt auch immer noch oft so, dass ich nicht darüber rede, wenn ich starke Probleme habe. Das bekomme ich langsam in den Griff und sage lieber, wenn mir etwas nicht passt oder mich verletzt, anstatt zu essen. Ich denke, mit dem Essen als Trost haben sich die Essanfälle entwickelt. Essanfälle? Ich habe öfter anfallsmäß­ig viel gegessen. Deswegen habe ich dann eine Therapie angefangen. Meine beste Freundin meinte: „Da passt irgendetwa­s nicht. Hol dir Hilfe.“Ich habe den Begriff Binge Eating damals noch nicht gekannt und habe angenommen, dass ich disziplinl­os bin und mich einfach nicht im Griff habe. Dann war ich bei der Psychologi­n, und sie hat gefragt: „Kennen Sie Binge Eating?“Damit hatte das Ganze einen Namen, war greifbar, und mit dem Ich-kann-etwas-dagegen-tun hatte ich ein Ziel vor Augen. Ich war vier Jahre lang in der Therapie. Und jetzt hast Du Techniken, wie Du damit zurechtkom­mst? Zumindest wirkt es so. Eine Technik ist sicher, dass ich jetzt so mutig bin und sage, wenn ich ein Problem habe, und ich schreibe die Dinge auf, die mich beschäftig­en. Das Veröffentl­ichen auf Instagram ist ein Zeichen für mich, dass ich mein Thema akzeptiere und dass es passt. Es ist normal, dass man mit sich selbst kämpft, und es gibt einfach Menschen, die einen runtermach­en. Es gehört einfach gesagt, dass so etwas nicht okay ist, und andere sollen wissen, dass sie nicht allein sind. Das zeigt auch das Feedback, das ich bekomme. Viele sind froh, wenn ich Dinge ausspreche. Da wird man mutiger, und es verändert sich die Wahrnehmun­g. Wie verändert es die Wahrnehmun­g? Wenn man wiederholt abgewertet und mit Vorurteile­n, wie „Dicke sind dumm und faul“, konfrontie­rt wird, glaubt man den anderen irgendwann. Das prägt das Selbstbild, also, was man selbst von sich hält. Vor unserem Gespräch habe ich darüber nachgedach­t, was in einem passiert, wenn man niedergema­cht wird: Man wertet sich selbst ab, erlaubt sich nicht, glücklich zu sein, fühlt sich immer und überall als Außenseite­r. Ich habe mich zum Beispiel ganz stark zurückgezo­gen, bin lange nicht fortgegang­en und habe nur ganz weite Pullis angezogen. Man traut sich nicht, sich so zu zeigen, wie man ist. Man geniert sich für sich und seinen Körper, und man denkt ständig darüber nach, was die anderen von einem denken. Ich habe extrem lange daran arbeiten müssen, ein gesundes Selbstbild aufzubauen. Therapie kann ich wirklich empfehlen, wenn man Probleme mit seinem Selbstbild hat. Allein hätte ich das nicht geschafft. Passiert es Dir immer noch, dass Du komisch angesproch­en wirst? Einmal hast Du auf Deinem Instagram-Account von einem Onlinedati­ng-Typen erzählt. Das war auf Tinder – ich denke, das kennt mittlerwei­le jeder –, wo man ja anhand der Fotos entscheide­t, ob einen jemand interessie­rt oder nicht. Anfangs hatte ich nur Bilder vom Gesicht, und irgendwann hab ich mir dann gedacht, egal, die sollen mich so sehen, wie ich bin, und habe auch Ganzkörper­fotos hineingest­ellt. Da hat mir einer wirklich geschriebe­n: „Du siehst interessan­t aus, aber bist du wirklich so dick?“Aber das ist noch harmlos. Einmal hat mich eine Frau im Spar bei der Kasse angesproch­en und gefragt: „Muss das wirklich sein, dass man so fett ist?“Aber solche Situatione­n sind seltener geworden. Ich denke, ich habe sie früher mehr angezogen. Wie das? Ich glaube, dass das, was man fühlt und in sich hat, nach außen spiegelt und das dann auch anzieht. Ich hatte kein Selbstbewu­sstsein und war eine Angriffsfl­äche. Und jetzt ist das, glaube ich, anders, weil ich selbstbewu­sster wirke. Es passiert mir trotzdem noch. Aber immerhin geht es mir nicht mehr so nahe. Übergewich­t wird auch gesellscha­ftlich negativ bewertet. Sogar Volksschul­kinder kommentier­en, wenn man dick ist. In der Hauptschul­e hatte ich den netten Namen „Rollspeck“. Aber woher haben diese Kinder das? Die Klischees sind einfach da und gehören aus den Köpfen heraus. Oft hört man Mütter sagen: „Pah, ich will nicht, dass mein Kind dick wird, es hat es sonst total schwer in der Gesellscha­ft.“Und ich sitze daneben und denke mir, arg eigentlich, dass man so etwas sagt, und anderersei­ts haben sie Recht, denn dicke Leute haben es nicht leicht. Aber es ist ja nicht nur das Dicksein. Alle, die irgendwie anders sind, haben es schwer und werden auf unterschie­dlichste Arten diskrimini­ert. Was machst Du, wenn Dir so etwas passiert, wenn Dich jemand komisch anredet? Jetzt schreibe ich so etwas auf und überlege, was die andere Person für ein Problem haben könnte, dass sie so mit mir reden muss. Ich rede mit Freundin- Das Interview ist Teil des Themenschw­erpunkts egalgewich­t der „Wienerin“im August. Sowohl im aktuellen Magazin (l.) als auch auf Wienerin.at wird einen Monat lang der aktuelle Internettr­end Body Positivity genauesten­s beleuchtet und hinterfrag­t. Dabei geht’s konkret um Körperbewu­sstsein, Selbstwert­gefühl und Selbstlieb­e, um bisweilen absurde Internetph­änomene und immer mehr Frauen, die zu ihren Dehnungsst­reifen und Rundungen stehen. Zum Auftakt wurden etwa Wienerinne­n im Gänsehäufe­l zu ihrem Körpergefü­hl befragt. Die 1985 gegründete „Wienerin“ist – so wie „Die Presse“– eine Medienmark­e der Styria Media Group. nen darüber. Früher habe ich so etwas nie erzählt, weil es mir peinlich war. Weil man so merkt, dass es nicht okay ist, wenn man beleidigt und abgewertet wird? Genau. Ich finde auch, man sollte viel öfter „fett“sagen, damit es seine negative Bedeutung verliert. Ich finde es zwar nicht schön und habe schon lieber, wenn man „dick“oder „übergewich­tig“sagt. Aber ich finde, dass die Größe von dem Wort weg muss, damit sich ein Mensch wie ich nicht mehr so bedroht fühlt davon. Ein einziges Wort soll einen nicht so verletzen können. „Dick“sollte man auch ungenierte­r sagen können. Es ist einfach eine Beschreibu­ng: Ich bin dick, du bist schlank. Wo ist das Problem? Glaubst Du, dass die Medien eine große Rolle für das Selbstbild spielen? Sehr! Allein wenn man die Plakate mit Frauen sieht, von denen kein einziges realistisc­h ist, weil es so perfekte Körper gar nicht gibt. Der Film „Embrace“zeigt toll, wie die Gesellscha­ft und die Medien das Selbstbild verändern und formen, wie die Menschen denken, dass man aussehen muss. Was macht es einem schwierige­r, die Medien oder die anderen Leute? Das Gesellscha­ftliche wirkt allgemeine­r, das andere persönlich­er. Wenn wer direkt zu dir herkommt und sagt: „Du bist fett“, verletzt das mehr als die Doku über dicke Kinder. Also stimmt dieser Spruch, dem ich unterstell­t habe, ein nicht wahnsinnig hilfreiche­r Talkshow-Spruch zu sein: „sich einfach selbst zu lieben“? Total! Für mich ist Selbstlieb­e der Weg. Wenn man sich selbst gern hat und weiß, dass man so, wie man ist, gut und wertvoll ist, was soll einen dann noch umhauen? Und ich denke, wenn das jeder Mensch könnte, wären alle total friedlich. Niemand müsste mehr andere niedermach­en. Dann denkt sich jeder: „Passt, wie du bist; passt, wie ich bin.“Das wäre doch herrlich!

 ?? Victoria Koller ?? Nina Legat beim Shooting für das „Wienerin“Cover im August 2016.
Victoria Koller Nina Legat beim Shooting für das „Wienerin“Cover im August 2016.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria