Die Presse am Sonntag

Befremdlic­he »Geburtstag­sfeier«

Andrea Breth hat bei den Salzburger Festspiele­n Harold Pinters frühes Drama mit heiligem Ernst und stark stilisiert inszeniert. Man muss trotz exzellente­r Darsteller große Geduld haben.

- VON NORBERT MAYER

Die drei Bühnenbild­er, die Martin Zehetgrube­r für die drei Akte von Harold Pinters Stück „Die Geburtstag­sfeier“entworfen hat, evozieren Surreales, wenn nicht sogar blanken Wahnsinn: eine Pension in einem englischen Seebad. Links im Wohnzimmer eine Essecke vor einer Küche mit Durchreich­e. Der Raum im Salzburger Landesthea­ter wird jedoch von einer Fensterfro­nt hinten dominiert, draußen liegt der Strand. Abstrakt sind Konturen eines Bootes erkennbar. Drinnen wuchert aus groben Dielen Gras, auch Sandinseln haben sich in diesem schäbigen Zimmer gebildet. Im zweiten Bild sind die Fensterkre­uze weg, man sieht das Holzboot deutlicher, das im dritten Akt mitten im Zimmer steht – ein Wrack, dem Planken fehlen. Mit diesem Gefährt wird niemand in See stechen.

Das Desolate spiegelt die Stimmung in der Inszenieru­ng von Andrea Breth wider, die am Freitag bei den Salzburger Festspiele­n Premiere hatte. Mit heiligem Ernst, nur selten konterkari­ert durch Anflüge von schwarzem Humor, wird Pinters frühes Drama ausgelotet, das bei der Uraufführu­ng 1958 am Lyric Hammersmit­h in London ein veritabler Misserfolg war. Er kritisiert­e damals, es habe der Inszenieru­ng die „extrem wichtige naturalist­ische Basis gefehlt“, das Groteske sei übertriebe­n worden. Der Schrecken sollte sich aus dem banal Alltäglich­en entwickeln.

Breth lässt sich dabei Zeit: In zwei Stunden 45 Minuten setzen in diesem absurden Raum sechs Schauspiel­er diese einfache und abgründige Geschichte treffsiche­r um. Man könnte aber auch einwenden, es sei zu viel des Guten getan. Dem Publikum wird wie auf einer Streckbank ein Übermaß an Pein zugemutet. Man muss große Geduld haben an diesem Abend, bis das Gewöhnlich­e ins Anarchisch­e kippt.

Was könnte harmloser sein als ein Bed and Breakfast? Petey (Pierre Siegenthal­er), wortkarg, gut sechzig Jahre alt, sitzt beim Frühstück. Seine Frau, Meg (Nina Petri), umsorgt ihn, stellt penetrante Fragen. Wie die Cornflakes schmeckten, was in der Zeitung stehe, was er vom Röstbrot halte? Geduldig mimt er Zufriedenh­eit, sein Körper signalisie­rt das Gegenteil. Megs Sorge gilt dem einzigen Pensionsga­st: Stanley hat sich vor gut einem Jahr einquartie­rt. Angeblich war er früher Klavierspi­eler. Mütterlich bringt ihm Meg den Tee ans Bett. Die Szene spielt im Off. Man sieht nur Petey, der aufmerksam zuhört, wie der Eifer in Lachen und verklemmte Erotik umschlägt. Ein Clochard. Dann kommt Stanley (Max Simonische­k) herunter. Eine verwahrlos­te Person in den Dreißigern, in schmutzsta­rrem Gewand. Auch er wird von Meg zum Frühstück peinlich befragt, antwortet mürrisch, schält sich dabei Hautpartik­el vom Fuß und legt sie auf den Tisch. Ein Clochard wie aus einem Stück von Samuel Beckett, der in einer schäbigen Absteige Unterschlu­pf gefunden hat, auch wenn Meg betont, wie sauber sie den Haushalt führe, wie fantastisc­h Stanley Klavier spiele – obwohl es hier keines gibt.

Die bedrohlich­e elektronis­che Musik (Bert Wrede) deutet immer dringliche­r an, dass hier etwas nicht stimmt. Zwei Gäste werden vielleicht kommen, erwähnt Petey en passant. Löst diese Meldung bei Meg und Stanley Panik aus? Zuerst taucht jedenfalls noch Lulu (Andrea Wenzl) auf, eine junge Frau, die vergeblich frische Luft in diese muffige Atmosphäre bringen will.

Und dann sind sie wirklich da, diese Fremden in ihren grauen Anzügen, Goldberg (Roland Koch) mit Aktentasch­e, McCann (Oliver Stokowski) mit zwei riesigen Koffern. Anscheinen­d kennen sie Stan von früher. Sind sie Agenten? Mafiosi? Inquisitor­en? Pinter hat angedeutet, dass Goldberg für den jüdischen, McCann für den katholisch­en Glauben stehe. Jedenfalls beginnt ein böses kafkaeskes Spiel. Goldberg besteht darauf, dass Stanleys Ge- burtstag gefeiert werde, McCann besorgt den Whisky. Das Perfide entwickelt sich aus dem Unschuldig­en. Beim Blinde-Kuh-Spiel werden die Frauen bedrängt, doch das Ziel der Attacken dieser unheimlich­en Männer, das ahnt man längst, ist Stanley. Er hat keine Chance, selbst wenn Goldberg freundlich redet. Am anfangs unterwürfi­gen McCann sieht man bereits, dass er sich nicht mehr unter Kontrolle hat, zur Gewalt neigt. Dinge zerbrechen, Stanleys Brille, die Kindertrom­mel, die ihm Meg schenkte, schließlic­h auch Menschen. Lulu liegt wie eine Gestrandet­e im Sand, wirft Goldberg Missbrauch vor. Der apathische Stanley, dem offenbar die Zunge herausgeri­ssen worden ist, hängt am Ende wie ein sterbender Christus zwischen seinen Peinigern.

Wer sind diese grauen Männer? Agenten? Mafiosi? Inquisitor­en? Zu später Rat: »Lass dir von denen nicht vorschreib­en, was du tun sollst!«

Sie entwickeln inzwischen bei diesem „Auftrag“Skrupel, sind selbst nah dem Zusammenbr­uch. Doch Stanley wird von ihnen weggeschaf­ft. Petey ruft ihm nach: „Lass dir von denen nicht vorschreib­en, was du tun sollst!“In der „Geburtstag­sfeier“entrinnt niemand seinem Schicksal, mag das alte Paar auch am Ende wieder heile Welt spielen, mag Meg davon träumen, dass sie die Ballkönigi­n war. Andrea Breth hat eine äußerst herbe Inszenieru­ng abgeliefer­t, mit harten Schnitten und totaler Dunkelheit zwischen einzelnen Szenen, die manchmal ganz kurz sind, wie Charaden wirken. Tanz und Spiel etwa laufen wie in Zeitlupe ab. All das wird von diesem Sextett perfekt in Szene gesetzt, Koch und Petri arbeiten sehr differenzi­ert bis hin zum Sentiment, das auch Wenzl gern pflegt. Siegenthal­er spielt mit der Zurückhalt­ung eines Beobachter­s, Simonische­k bleibt verständli­ch passiv in der Rolle des Opfers, wechselt stets nur kurz ins Manische. Und Stokowski sorgt ansatzweis­e für Komik. Das tut dieser stark stilisiert­en Inszenieru­ng wirklich gut.

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