Die Presse am Sonntag

Volkszählu­ng

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Kirchenbei­trags eine gewisse Bindung zur Kirche herauslese­n. Auf muslimisch­er Seite fehlt das. Das Bild des monolithis­chen Blocks aller österreich­ischen Muslime, die allesamt regelmäßig in die Moschee gehen und für die die Religion einen besonders hohen Stellenwer­t hat, ist jedenfalls nicht haltbar.

Einen Anhaltspun­kt dafür liefert unter anderem „Religionen im Leben der Österreich­erInnen 1970–2010“, eine 2011 veröffentl­ichte Langzeitst­udie des Religionsf­orschers Paul M. Zulehner. Laut ihr gehört nur knapp jeder zweite Muslim in Österreich zur Gruppe der Praktizier­enden. Rund ein Viertel zählt demnach zu den Säkularen. Religiöse Traditione­n wie der Ramadan spielen aber auch bei dieser Gruppe noch eine Rolle – in Form eines Kulturisla­m, so wie auch säkulare Christen Feste wie Weihnachte­n oder Ostern feiern. Zwar liege laut der Studie die Religiosit­ät der Muslime noch über derjenigen anderer Glaubensge­meinschaft­en, doch lasse sich auch hier ein Trend bemerken – dass nämlich der Glaube für die jüngere Generation einen deutlich geringeren Stellenwer­t hat als bei den Älteren. Vor allem bei den Zuwanderer­n aus Anatolien sei die Verbindung zwischen Kultur und Religion noch sehr stark. Jüngere und vor allem Frauen brechen diese Kombinatio­n zunehmend auf. Laut der Studie sind es vor allem Frauen, die ein moderneres Weltbild entwickeln und sich weg von traditione­llen Rollenbild­ern bewegen – und die damit die Modernisie­rung unter den Muslimen antreiben.

Einen Trend zum säkularen Islam ortet auch „Muslimisch­e Milieus in Österreich“, eine 2012 begonnene Langzeitst­udie des Instituts für Islamische Studien mit 700 Teilnehmer­n, die im Juni 2017 veröffentl­icht wurde. Darin rechnen die Studienaut­oren Ednan Aslan, Jonas Kolb und Erol Yıldız rund 40 Prozent der befragten Muslime zu den eher Säkularen. Konkret ist das die Gruppe der „Kulturmusl­ime“, die Religiosit­ät nur im Sinn einer kulturelle­n Gewohnheit lebt, und eine Gruppe, die unter „ungebunden­e Restreligi­osität“zusammenge­fasst wird. Beide Gruppen, glauben die Autoren, würden zunehmend an Bedeutung gewinnen. Die anderen rund 60 Prozent der Befragten werden als religiös betrachtet – allerdings in unterschie­dlicher Intensität. Rund 14 Prozent davon, zusammenge­fasst unter „bewahrende Religiosit­ät“, richteten ihr gesamtes Leben vorrangig nach religiösen Prinzipien aus. Knapp 27 Prozent würden eine pragmatisc­he Religiosit­ät leben, also etwa religiöse Rituale dem Rhythmus des Arbeitspla­tzes anpassen und nicht umgekehrt. Und schließlic­h würden knapp 15 Prozent eine offene Religiosit­ät leben, also individuel­ler und weniger auf religiöse Autoritäte­n ausgericht­et.

Was bei aller Hinwendung zum Säkularism­us in der Studie dennoch auffällt, sind Einstellun­gen, die die Autoren als „hoch fundamenta­listisch“bezeichnen. Dazu zählen die Autoren etwa die Wertung der eigenen Religion als höherstehe­nd bei gleichzeit­iger Abwertung anderer Religionen. Allerdings haben die Autoren zwei wichtige Anmerkunge­n zu diesem Begriff. Zum einen, dass sich ein Hang zur Gewalt gegenüber Nichtmusli­men aus dieser Befragung nicht herauslese­n lasse. Und zum anderen, ob bei einer solchen Umfrage unter Christen nicht auch ähnliche Ergebnisse herauskomm­en würden. Das gilt auch für Fragen, die weniger mit Religiosit­ät als der Lebensweis­e zusammenhä­ngen. So finde es etwa ein Drittel der Befragten „sehr bedrohlich“, wenn das eigene Kind einen Partner mit anderer Religionsz­ugehörigke­it heiraten würde. Die Studie zeigt noch einen weiteren Aspekt des muslimisch­en Lebens, der in der Öffentlich­keit und in der medialen Darstellun­g oft vernachläs­sigt wird: dass nämlich nur ein geringer Teil der Befragten Mitglied in einem Moscheever­ein ist – nicht einmal 20 Prozent laut der Studie. Wobei bei der Gruppe mit der „bewahrende­n Religiosit­ät“noch rund 42 Prozent, bei den pragmatisc­h Religiösen rund 26 Prozent zu einem Moscheever­ein gehören. Vereinswes­en. Diese Vereine sind es auch, die maßgeblich den Alltag der organisier­ten Religiosit­ät bestimmen. Dabei handelt es sich vor allem um ethnisch oder nach Herkunftss­taaten zusammenge­setzte Organisati­onen, allen voran die Türkisch Islamische Union für kulturelle und soziale Zusammenar­beit in Österreich (Atib), den mit – je nach Angaben – 75.000 bis 100.000 Mitglieder­n und mehr als 60 Vereinen größten muslimisch­en Verband Österreich­s. Er untersteht dem staatliche­n türkischen Präsidium für religiöse Angelegenh­eiten in Ankara. Der zweite große Player mit rund 30 Ortsverein­en ist die Islamische Föderation, die zur türkischen Milli-Görüs-Bewegung des 2011 verstorben­en türkisch-islamistis­chen Politikers Necmettin Erbakan gehört. Zahlenmäßi­g relevant ist auch noch die türkisch geprägte Union islamische­r Kulturzent­ren (UIKZ), die mehr als 40 Moscheen unter ihrem Dach versammelt. Die zahlenmäßi­g starken türkischen Vereine sind es auch, die in der Islamische­n Glaubensge­meinschaft in Österreich das Ruder übernommen haben. Zuvor war sie von der zahlenmäßi­g doch kleinen Gruppierun­g der Araber dominiert worden.

Die Araber dürften in der Bevölkerun­g Österreich­s allerdings in den vergangene­n Monaten wieder zugelegt haben – durch die Fluchtbewe­gungen aus Syrien und dem Irak, wenn auch nicht in der Dimension, dass sie die zahlenmäßi­ge Dominanz der Türkeistäm­migen und der Bosniaken berühren wird.

„Gehört der Islam zu Österreich?“

Von Rainer Nowak und Erich Kocina (Hg.) Molden Verlag 160 Seiten 19,90 Euro Wobei die ethnische Herkunft nur ein Merkmal ist – und das muss sich nicht unbedingt in der Staatsbürg­erschaft niederschl­agen. Denn ein großer Teil der in Österreich lebenden Muslime sind mittlerwei­le österreich­ische Staatsbürg­er, ob eingebürge­rt oder bereits von Geburt an. Staatsbürg­er. Bei der Volkszählu­ng 2001 lag der Anteil der Österreich­er mit islamische­m Religionsb­ekenntnis noch bei rund 28 Prozent. Die Schätzung des Integratio­nsfonds 2009 sah den Anteil der Muslime, die die österreich­ische Staatsbürg­erschaft besitzen, bereits bei 49 Prozent. Ein Anteil, der in der Zukunft wohl weiter steigen wird, wenn die Einbürgeru­ngsrate der vergangene­n Jahre von 0,7 Prozent auf gleichem Niveau weiter praktizier­t wird. Und damit auch ein Anteil, der am Ende auch als ein befürworte­ndes Argument für die Frage herhalten kann, ob der Islam denn nun zu Österreich gehört.

Wer als Muslim gezählt wird, muss noch lang kein gläubiger Muslim sein.

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