Die ostdeutsche Wut auf »die da oben«
Thüringen lag im ostdeutschen Trend – 22,7 Prozent wählten AfD. Seither rätselt die Bundesrepublik, was mit den „Ossis“los sei. Was sagen eigentlich die AfD-Wähler in Thüringen – und wie reagiert die CDU? Eine Erkundungsfahrt.
Sanfte sattgrüne Hügel ziehen vorbei, durch die ein paar Waldstriche gezogen sind. Die Landschaft hinter dem Fenster ist von verschlafener Schönheit. Nächster Halt: Arnstadt, die Bachstadt. Hier hat der Virtuose in der Schlosskirche georgelt. Gut 300 Jahre später gibt die Alternative für Deutschland (AfD) den Ton an. Die Rechtspopulisten avancierten bei der Bundestagswahl in der Kleinstadt im Schatten Erfurts zur stärksten Kraft – 29 Prozent. Im gesamten Bundesland Thüringen kam die AfD auf 22,7 Prozent und Platz zwei. Damit lag die Heimat des AfD-Rechtsaußen Björn Höcke in der Nähe des ostdeutschen Schnitts (21,5 Prozent) und weit über dem bundesweiten AfD-Ergebnis von 12,6 Prozent. Was ist da passiert?
Nun wird in der Bundesrepublik der „wütende ostdeutsche Mann“vermessen, der die AfD auf Platz eins gewählt hatte. Nur die Frauen schmälerten das Ergebnis. Es geht in den Erklärungen um abgehängte ostdeutsche Regionen, in denen die jungen Menschen wegziehen, vor allem die Frauen. Zurück blieben Männerüberschuss und Wut. Was aber nicht erklärt, wieso das AfD-Ergebnis auch im boomenden Leipzig über dem Bundesschnitt lag.
Vom AfD-Wähler weiß man, dass er sich um den Verlust der deutschen Kultur sorgt (90 Prozent) und die Flüchtlingspolitik sein bestimmendes Thema war. Im Osten sei die Skepsis gegenüber „Multikulti“eben verbreitet, deshalb gebe es hier auch mehr AfD-Wähler, hört man dann. Auch das Vertrauen in die Demokratie sei niedriger als im Westen – weshalb der Schlachtruf „Lügenpresse“hier noch öfter erschalle. Und so weiter. Es gibt ein ganzes Menü aus Argumenten, an dem man sich bedienen kann. Anderer Versuch: Was sagen die Arnstädter? „Protest!“. Raus aus dem Zug. Monika, 65, steht auf dem Bahnhofsvorplatz mit ihrem Ehemann. Die Menschen wählten die AfD aus „Unzufriedenheit“, sagt sie. „Die Löhne hier sind ja nicht so dolle.“Für die Flüchtlinge dagegen habe man Geld. „Wo kommt das her?“, fragt sie. Und jetzt kämen ja bald noch mehr. Eine Anspielung auf den Familiennachzug von subsidiär Schutzberechtigten, der vorläufig noch bis März 2018 ausgesetzt ist. „Ich hab sie ja auch gewählt: die AfD. Geb ich zu. Aus Protest!“, sagt Monika irgendwann. 40 Jahre habe sie gearbeitet, die erste Hälfte davon als Goldschmiedin in der DDR, dann im Krankenhaus. Mit 60 ging sie in Rente. Sie bekommt 700 Euro. Ihr Ehemann fällt ihr ins Wort: „Die da oben sollen einmal hellhörig werden.“Die da oben. Das hört man oft.
Die rassistischen Eklats von AfDMitgliedern hat das Paar nach eigenen Angabe nicht mitbekommen – „nö“. In einem Getränkeladen die Straße hinauf stapelt Markus, 51, ein paar Kisten. Er hat auch AfD gewählt. „Wir waren ja damals in der BRD“, sagt er. Man habe die Viertel mit den vielen Ausländern gesehen. „Wir wollen hier keine Zustände wie in Duisburg-Marxloh“– ein sozialer Brennpunkt im Ruhrpott mit hohem Migrantenanteil. Abgehängt fühlt sich der 51-Jährige nicht. Die alte Industrie wurde zwar „platt gemacht“. Aber es gebe einen neuen Gewerbepark. Zornig sieht er auch nicht aus.
Draußen vor seinem Laden zieht ein Rentner die Mülltonne über den laubbedeckten Gehsteig: Hans-Joachim König war schon Mitglied, als die AfD noch Bernd Luckes Professorenpartei war. „Die Leute hier sind erbost. Es gibt viele ältere Menschen, die nicht mehr hinterherkommen“, sagt er. Dass Deutschland ein reiches Land sei, hält König angesichts der mehr als zwei Billionen Euro Schulden für eine Lüge, die Euro-Rettungspolitik für ein Fiasko.
Dann kippt das Gespräch. Es geht um völkische rassistische Parolen von AfD-Politikern, zum Beispiel von Höcke, der die Berliner Holocaust-Gedenkstätte ein „Denkmal der Schande“nannte und eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“forderte. König stört das nicht. „Der Krieg hatte vie- le Väter“, sagt er und empfiehlt das revisionistische Buch eines Ex-Bundeswehr-Generalmajors zur Lektüre. Dass der künftige AfD-Bundestagsabgeordnete Jens Maier vor der „Herstellung von Mischvölkern“warnt, findet er richtig. Die weiße Rasse werde ja „unterminiert“. Und ein paar Sekunden später spricht er von der Neuen Weltordnung (NWO), einer Verschwörungstheorie, wonach Geheimgesellschaften die Welt steuern. Man schaut irritiert. „Na was haben Sie denn gedacht?“, sagt er amüsiert. Bald folgt die Unterstellung, der österreichische Journalist habe wohl auch „einen Auftrag“. Er selbst sei ja Gründer einer Zeitung, sagt der 70-Jährige und reicht eine Ausgabe des „Arnstädter Stadtecho“. Einmal im Monat landet es in allen Postkästen.
»Die da oben sollen mal hellhörig werden«, sagt der Rentner.
Etablierte Linke. Ein paar hundert Meter weiter taucht ein Büro der Linkspartei auf, die im Osten schrumpfte – und deutschlandweit 430.000 Wähler an die AfD verlor. Mitarbeiterin Caroline, 28, sitzt auf einer Couch unter dem Bild von Karl Marx. Hat sie eine Erklärung für den Wechsel von links nach rechts? Sie hat eine Vermutung. Es habe immer wieder Bürger gegeben, die sich an der „progressiven“Zuwanderungspolitik der Linkspartei störten, aber sie trotzdem wählten – „aus Protest“. Inzwischen stellt die Linkspartei in Thüringen den Ministerpräsidenten Bodo Ramelow. Für die Wähler gehöre man jetzt „auch zu den Etablierten“. Zum Estab-