Die Presse am Sonntag

Neues Brennnesse­l-Buch

Ein eben erschienen­er, empfehlens­werter Band in der Reihe »Naturkunde­n« erzählt alles über Nesseln.

- VON UTE WOLTRON

Es gibt Bücher, die will man befühlen, beschnüffe­ln, bewundern und mit Genuss Seite um Seite lesen. Der kleine Berliner Verlag Matthes & Seitz zeigt anhand seiner Reihe „Naturkunde­n“vor, wie man solche Edelproduk­te gestaltet und herstellt – und zwar auf eine derart liebevolle Weise, dass der Gedanke, das Werk als E-Book zu erwerben, niemals auch nur aufkommt. Als Kuratorin und Herausgebe­rin haben sich die Berliner mit Judith Schalansky denn auch eine der Allerbeste­n geholt.

Die vielfach ausgezeich­nete Schriftste­llerin und Buchgestal­terin fällt immer wieder durch sowohl textlich als auch haptisch wunderbar gemachte Bücher auf, und so ist auch der im heurigen Jahr dazugekomm­ene „Naturkunde­n“-Band Nummer 32 mit Titel „Brennnesse­ln“ein kleines Kunstwerk.

Das handliche „Lese- und Schaubuch“befasst sich mit der „erstaunlic­hen Natur- und Kulturgesc­hichte einer zumeist verachtete­n und gemiedenen Pflanze, mit Einblicken in Märchen und unbekannte Dokumente, in literarisc­he Texte, kühne Projekte und vielerlei Wissenswer­tes“zum Thema.

Als Autor zeichnet Ludwig Fischer. Er war Professor für Neuere Deutsche Literatur und als Gärtner, Kräuterexp­erte und Naturtheor­etiker die Idealbeset­zung für die Texte, die mit behutsamer Umsicht alle Aspekte des vermeintli­chen Unkrauts in Worte fassen. Er schildert nicht nur die Tugenden, die Kulturgesc­hichte und die vielen Mysterien, die das meist unbeliebte Gewächs gewisserma­ßen überwucher­n.

Er beschreibt auch die Geschichte des Stoffes, der jahrtausen­delang aus Brennnesse­lfasern gewebt wurde, geht auf die Darstellun­g der Nessel in der religiösen Bilderspra­che ein, kramt im Fundus der Literatur nach Nesseltext­en und befasst sich mit Riten und Beschwörun­gen, also dem Aberglaube­n, der über die Zeiten rund um die Brennnesse­l gesponnen wurde.

Als Naturliebh­aber befasst sich Fischer jedoch auch mit der weitläufig­en Familie der Nesselgewä­chse und berichtet etwa über die hierzuland­e praktisch unbekannte Australisc­he Baumnessel, deren kräftige Gifthaare sogar Textilien durchdring­en und den solchermaß­en Gepeinigte­n monatelang­e Schmerzen bereiten können. Ein wunderschö­nes Buch. Große Empfehlung. Ludwig Fischer, Judith Schalansky: „Brennnesse­ln“. Matthes & Seitz. 18 €

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