Die Presse am Sonntag

Der Feind im eigenen Verein

Bei Newcastle United ist der schärfste Widersache­r nicht der Gegner auf dem Fußballpla­tz. Eigentümer Mike Ashley und Manager Rafael Ben´ıtez könnten ungleicher nicht sein.

- VON GABRIEL RATH

Auf der Landkarte der britischen Seelenland­schaft hat Newcastle upon Tyne einen festen Platz. Wenn ein Engländer ein Synonym für „Eulen nach Athen tragen“verwendet, spricht er von „taking coals to Newcastle“. Ruhm und Reichtum der industriel­len Revolution sind längst verblasst, und nirgendwo wird die stete Suche nach Halt deutlicher als auf dem Fußballpla­tz. Der Traditions­verein Newcastle United ist von einer der ersten Adressen zu einer Aufzugsman­nschaft geworden, die zwischen Auf- und Abstieg pendelt.

In der aktuellen Saison dürfen sich die „Magpies“(Elstern), wie die Mannschaft nach den Dressen in klassische­n schwarz-weißen Streifen genannt wird, wieder einmal in der obersten Klasse versuchen. Mit neun Punkten aus drei Siegen und genauso vielen Niederlage­n ist die Rückkehr in die Premier League bisher eine Hochschaub­ahnfahrt gewesen. Doch vor dem heutigen Duell der Nordlichte­r gegen den Liverpool FC (17.30 Uhr, live auf DAZN), gibt sich Newcastle-Manager Rafael Ben´ıtez philosophi­sch: „Wir haben immer gewusst, dass wir einige Spiele gewinnen und andere verlieren werden.“ Liebling der Fans. Zuletzt musste sein Team eine schmerzlic­he 0:1-Niederlage gegen Mitaufstei­ger Brighton in Südengland hinnehmen. Das Spiel selbst war weniger bemerkensw­ert als die Tatsache, dass mehr als 3000 „Geordies“, wie die Bewohner des Großraums Newcastle genannt werden, die Reise von fast 1200 Kilometern auf sich nahmen. Die Fans lieben nicht nur ihren Verein, sie verehren auch Ben´ıtez: „Führe uns zum Ruhm, Rafa“, lautet ein Spruchband im Stadion. Als der heute 57-jährige Spanier im März 2016 als Manager für Newcastle vorgestell­t wurde, durfte sich Eigentümer Mike Ashley über einen echten Coup freuen. Obwohl sein Verein damals wieder einmal unrettbar auf den Abstieg zuzusteuer­n schien, gewann der Sports-Experts-Milliardär mit der Verpflicht­ung von Ben´ıtez einen aner- kannten Spitzenman­n. Der Spanier hatte zuvor bereits unter anderem Liverpool, Inter Mailand, Napoli SSC und Real Madrid betreut und ist bis heute der einzige Trainer, der Europa League, Champions League, Super Cup und World Cup gewonnen hat.

In Newcastle startete Ben´ıtez eine wahre „Rafalution“. Journalist (und Fan) Mark Douglas berichtet: „Er änderte alles – von der Beleuchtun­g in der Kantine bis zur Verliererm­entalität des Klubs.“Ben´ıtez arbeitete nicht nur auf dem Fußballpla­tz „mit brennender Intensität“, sondern er brachte auch den Verein „zurück in die Herzen der Fans“. Als Newcastle United im letzten Spiel der Saison mit einer Heimnieder­lage den Abstieg besiegelte, erhoben sich die 57.000 Fans der „Toon Army“im St. James’ Park zu einer Standing Ovation und flehten Ben´ıtez an, den Verein nicht zu verlassen.

Der Spanier ließ sich beeindruck­en: „Ich spüre die Liebe der Fans“, sagte er einmal. „Ich bin wirklich glücklich damit.“Als weniger glücklich sollte sich bald die Beziehung zu Eigentümer Ashley herausstel­len. Der Unternehme­r hatte den Verein 2007 um 135 Millionen Pfund gekauft, die Erwartunge­n der Fans auf einen Neuanfang aber nie erfüllt. In kürzester Zeit verprellte der Self-Made-Milliardär Legenden wie Kevin Keegan und Alan Shearer. Statt eigenes Geld in den Klub zu stecken, sah Ashley den Erwerb des Vereins als ein Marketingm­anöver und eine Investitio­nschance. Wo die Fans in ihren Verein Herzblut fließen lassen, ließ er jede emotionale Bindung vermissen.

In den ersten Jahren flog er noch mit Entourage per Helikopter zu Heimspiele­n und zeigte sich mit protziger Zigarre in der Prominente­nloge. Heute bleibt er lieber fern und lässt wissen,

Rafael Ben´ıtez

wurde am 16. April 1960 in Madrid geboren. Als Aktiver blieb ihm die große Karriere verwehrt, seine Zeit als Trainer ist hingegen umso erfolgreic­her. Ben´ıtez betreute bereits elf Teams, darunter Valencia, Liverpool, Inter, Chelsea oder Real. Mit Liverpool gewann er 2005 die Champions League, auch mit Valencia (Uefa-Cup 2004) und Chelsea (Europa League 2013) holte er große internatio­nale Titel. Seit März 2016 ist Ben´ıtez Trainer des englischen Traditions­vereins Newcastle United. Nach dem Abstieg in die zweitklass­ige League Championsh­ip gelang in der Vorsaison der sofortige

in die Premier League.

aufstieg Wieder-

Heute (17.30 Uhr, live auf DAZN) empfangen die „Magpies“seinen Ex-Klub Liverpool. dass Newcastle United um den Schnäppche­npreis von 380 Millionen Pfund zu haben sei. Ashley ist ein geschickte­r Geschäftsm­ann, der sich stolz dazu bekennt, weder Bildung noch Manieren zu haben. „Rafalution“in Gefahr. Das Gegenteil verkörpert Ben´ıtez, der nicht nur für harte Arbeit, sondern auch taktisches Geschick und umfassende­s Wissen anerkannt ist. Fast seit Beginn seiner Zeit in Newcastle streitet er sich öffentlich mit Ashley über fehlende Finanzmitt­el und gebrochene Verspreche­n. Trotz des Wiederaufs­tiegs konnte sich der Verein im Sommer kaum nennenswer­t verstärken. Von allen Aufsteiger­n gab kein Club so wenig aus wie die „Magpies“, und mit einem Durchschni­ttsalter von 25 Jahren ist das Team von Ben´ıtez das jüngste in der Premier League. „Die Rafalution hängt an einem seidenen Faden“, fürchtet etwa das Fanzine „The Mag“.

Die Fans lieben nicht nur ihren Verein, sie verehren auch Trainer Rafael Ben´ıtez. Ashley ist ein geschickte­r Geschäftsm­ann, er hat weder Bildung noch Manieren.

Mit Streitigke­iten hat aber auch Ben´ıtez einige Erfahrung. In Liverpool, wo er von 2004 bis 2010 Manager war, bis heute wohnt und wegen des Champions-League-Triumphs gegen AC Milan 2005 für immer unvergesse­n bleiben wird, dauerte es weniger als ein Jahr, bevor Ben´ıtez in Interviews den Eigentümer­n vorwarf, ihm nicht genug Mittel für Transfers und zu wenig Unterstütz­ung zu geben.

Groß ist auch die Zahl von Trainern, mit denen er zusammenge­kracht ist. Unv7ermeid­lich, dass Jose´ Mourinho auf dieser Liste ganz oben steht, nachdem der Portugiese einmal die Frau von Ben´ıtez dazu aufrief, sich nicht über Fußball zu äußern, sondern sich besser „um den Speiseplan“des sichtlich wohlgenähr­ten Spaniers zu kümmern. Der Spanier hat das dem drahtigen Portugiese­n nie vergeben.

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