Die Presse am Sonntag

Verloren in Bolivien

- SOM

Rodrigo Hasb´un nimmt die Geschichte des Riefenstah­l-Kameramann­s Hans Ertl als Ausgangspu­nkt für seine Erkundung einer Familiensp­altung.

Ein zutiefst persönlich­es und politische­s Buch: Rodrigo Hasbu´n erzählt die (fiktionali­sierte) Geschichte der drei Töchter des deutschen Abenteurer­s, Filmemache­rs und Fotografen Hans Ertl, der in der Nazi-Zeit mit Leni Riefenstah­l kooperiert­e und zu Beginn der 1950er-Jahre mit seiner Familie nach Bolivien auswandert­e. In La Paz fand er ein neues Zuhause. „Der Deutsche“ist ein Patriarch, der von seiner Frau und den Töchtern Heidi, Monika und Trixi stets Gefolgscha­ft erwartet.

Hasbu´n rückt in seinem fragmentar­ischen, aus der Sicht der verschiede­nen Protagonis­ten erzählten knappen Roman „Die Affekte“die Beziehung zwischen Vater und Lieblingsk­ind Monika in den Mittelpunk­t. Es ist die Geschichte einer innigen Liebe und schließlic­h Entzweiung und Radikalisi­erung im Kontext der 1960er-Jahre. Damals exportiert­e Che Guevara im Namen der Revolution den bewaffnete­n Aufstand nach Bolivien, wo sich der Kampf für politische Rechte für die verarmte Indio-Bevölkerun­g mit der brutalen Verfolgung der Guerilla durch die Staatsmach­t vermischte. Monika wird von einer Sympathisa­ntin zur Unterstütz­erin und schließlic­h zur Attentäter­in.

Was bewegt einen Menschen, für radikale Lösungen zu optieren? Hasbu´ns Roman, der vieles nur anklingen lässt (etwa die in der Familie beredt beschwiege­ne Nazi-Vergangenh­eit), geht in einer spärlichen, aber gleichzeit­ig auf den Punkt gebrachten Sprache den Irrwegen und Abgründen einer Familie nach. Rodrigo Hasb´un: „Die Affekte“, übersetzt von Christian Hansen, Suhrkamp, 142 Seiten, 18,50 Euro.

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