Die Presse am Sonntag

Lass dich nicht täuschen!

Auch in der Bilderflut, die wir täglich erleben, verliert das Bildhafte nicht an Macht. Umso wichtiger ist es, Fotos lesen zu können. Ein Symposium in Graz geht diesen Fragen nach.

- VON ANNA-MARIA WALLNER

Eduardo Martins ist 32 Jahre alt, lebt in Sao˜ Paulo und ist Kriegsfoto­graf. Das zumindest haben Medien wie das „Wall Street Journal“und „Vice“bis vor gut drei Wochen geglaubt. Sie haben seine Bilder aus dem Irak oder Syrien gern und mehrfach veröffentl­icht. Doch nun hat sich herausgest­ellt, dass Eduardo Martins, der auf Instagram 120.000 Follower hatte, was manchen Existenzbe­weis genug zu sein scheint, vielleicht gar nicht existiert, mit Sicherheit aber nicht Urheber jener Fotografie­n ist, die in diversen Medien veröffentl­icht wurden. Stattdesse­n hat er Bilder auf Google gesucht, sie gespiegelt und wieder bei Google hochgelade­n. Interessan­terweise hat Martins für den Abdruck seiner Bilder in diversen Medien kein Geld bekommen. Was noch mehr die Frage aufwirft, wer oder was hinter diesem Fake-Fotografen steckt.

Die Geschichte von Eduardo Martin ist für den deutschen Medienethi­ker Alexander Filipovic´ ein gutes Beispiel dafür, dass die Bildmanipu­lation „heute nach wie vor stark betrieben“wird. „Es steigen die Möglichkei­ten der Fälschunge­n, aber eigentlich auch die Werkzeuge zur Überprüfun­g von Fälschunge­n“. Die Redaktione­n hätten also die Möglichkei­t, nicht in solche Fallen zu tappen. „Aber die Verführbak­eit ist groß, man neigt dazu, einen Mann für ehrlich und authentisc­h zu halten, weil er viele Social-MediaFreun­de hat“, sagt Filipovic,´ der am kommenden Mittwoch in Graz im Rahmen des Symposiums „Die neue Macht der Bilder“die Keynote halten wird. Bilder, die sich einprägen. Auch in der Flut der Bilder, die uns sowohl technische Geräte wie das Smartphone als auch die leichtere Verbreitun­gsmöglichk­eit dank Internet und sozialer Netzwerke, verliere das Bildhafte seine Macht nicht, sagt der Experte. „Es haben nur einzelne Bilder schwerer, zu Ikonen zu werden. Aber es passiert eben ab und an immer noch.“Wir erinnern uns an den dreijährig­en syrischen Flüchtling­sbuben Aylan Kurdi, der tot an einem türkischen Strand lag. An den Kapuzenman­n von den Folterunge­n in Abu Ghraib. Die brennenden Zwillingst­ürme in New York.

Bilder hatten immer schon eine Macht. Sie wurden von Mächtigen benutzt, um ihre Macht auszubauen. Notfalls eben auch mit Fälschunge­n. Heute hat es die Politik nicht mehr so einfach, Kontrolle über das von ihr veröffentl­ichte Bild zu behalten. „Politiker tun sich schwer, sich mit Bildern positiv zu inszeniere­n“, sagt Filipovic´ und ergänzt: „Sie haben große Angst, schlecht getroffen zu werden.“Weil sie wissen, dass Medien natürlich darauf warten, ein Bild zu bekommen, mit dem man eine Aussage verbinden kann. Da werden Politiker von unten belichtet gezeigt, oder just in dem Moment, in dem sich hinter ihnen ein Plakat löst. Wenn sie die Augen schließen, gähnen oder grinsen. Auch wenn die Presseabte­ilungen ein starkes Auge auf die publiziert­en Bilder der Kandidaten haben, können sie nicht komplett die Kontrolle darüber haben. Inszenieru­ng auf Instagram. Dafür ermögliche­n auch ihnen die sozialen Netzwerke, sich heldenhaft und makellos zu inszeniere­n. Vor allem Bundeskanz­ler Christian Kern und Sebastian Kurz von der ÖVP sind mit ihrem Team geübt darin, sich während des Wahlkampfs auf Instagram und Facebook von den besten Seiten zu zeigen. Und zwar nicht nur auf Fotos, sondern auch auf bewegten Bildern. „Die Tendenz geht ganz stark zum Bewegtbild“, sagt Filipovic´ und ergänzt: „Wenn wir ein bewegtes Bild sehen, neigen wir dazu, ihm dank Ton, Tiefe, Bewegung der Menschen noch mehr zu vertrauen als einem fotografis­chen Bild.“

Dabei setzen sich Videos nicht nur im Medienallt­ag, sondern auch im pri-

Alexander Filipovi´c

(* 8. Januar 1975 in Bremen) ist ein Sozialethi­ker, Medienethi­ker und Theologe, seit 2013 Professor für Medienethi­k an der Hochschule für Philosophi­e München.

Termin:

Er hält am Mittwoch die Keynote beim Symposium „Die neue Macht der Bilder“, das Styria Media Group und FH Joanneum gemeinsam veranstalt­en.

Wann und Wo:

4. 10. 2017, 17 Uhr, im Foyer des Styria Media Centers, Graz. Nach der Keynote diskutiere­n „Presse“Chefredakt­eur Rainer Nowak, Frido Hütter („Kleine Zeitung“), Fotografin Susanne Hassler, der Journalism­us-Student und Blogger Patrick Schlauer und Heinz Fischer, Leiter des Medieninst­ituts an der FH Joanneum. Das Event wird auf diepresse.com und kleinezeit­ung.at live gestreamt. vaten Gebrauch immer mehr durch. Es ist heute fast schon selbstvers­tändlich, Videos von sich selbst zu machen und anzusehen. Die neuen Technologi­en würden auch „das Gefüge des Selbstund Weltverhäl­tnisses verändern“. Also wie wir uns selbst und die anderen sehen. „Wenn sich Medien verändern, verändern sich auch die Praktiken der Menschen. Wenn auch nicht fundamenta­l.“Aber die meisten von uns reagieren heute sehr viel weniger erstaunt oder gar geschickt, wenn sie sich selbst auf Fotos oder Videos sehen. „Die Menschen wissen, wie sie aussehen. Das versetzt sie in die Lage, anders, selbstbewu­sster aufzutrete­n. Das sind ganz interessan­te Entwicklun­gen, aber deswegen werden wir nicht alle zu komplett anderen Wesen.“

»Einzelne Bilder haben es in der Bilderflut schwerer, zu Ikonen zu werden.« »Wenn wir ein bewegtes Bild sehen, neigen wir dazu, ihm noch mehr zu vertrauen.«

Fälschunge­n kann man übrigens da wie dort, bei der Fotografie wie beim Bewegtbild, durchführe­n, erinnert der Experte. Es ist unter anderem der Journalism­us, der die Aufgabe hat, zu zeigen, woher Bilder kommen, wie sie entstehen. Dennoch plädiert Alexander Filipovic´ dafür, dass Kinder und Jugendlich­e im Rahmen ihrer Ausbildung lernen, wie man Bilder ansieht, interpreti­ert und – ganz wichtig – hinterfrag­t.

Sehr viel Aufklärung­sarbeit ist außerdem bei jungen Menschen genauso wie bei Erwachsene­n bei der Nutzung eigener Bilder zu tun. Viele vergessen gern, dass Fotos, die einmal im Netz oder per WhatsApp und Messenger an Freunde verschickt sind, nur schwer zu löschen sind.

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