Wenn munter die Todsünden sprießen
Das »Schaufenster«-Selbsterntefeld einiges zutage. Nur keine Karotten. am Augarten förderte so
mais hochgeschossen und alles andere einwandfrei in Schuss. Seither glaube ich den Ackerhelden. Vermutlich haben wir den nötigen Minimalaufwand noch unterboten, dabei stolz und viel geerntet. (Sorry, Mittagskollegen, für den ganzen Mangold in unserem Essen, aber er ist immer da und so schön bunt – mit Stielen in Weiß und Pink, Gelb, Orange und Rot, manche mit dunklen Blättern und knallroten Adern, die ausschauen, als wären sie plasti- niert.) Das mit den Farben, den lila Kohlrabi, den blauen Korn- und gelben Ringelblumen, das haben die ziemlich gut gemacht. Wie ein davongeschossener Salat ausschaut, weiß ich jetzt auch.
Vor allem aber werde ich die Ruhe vermissen. Das Gefühl, Sommerabends nach der Arbeit noch die Stadt hinter sich zu lassen, Wärme und Erde zu spüren, das trockene Gras zu riechen und eine kleine Gurke für den Gin Tonic zu ernten. Ich weiß, klingt kitschig.
Am Anfang war die Unmäßigkeit. Der erste Gedanke: Was, hier ist das Feld schon wieder aus? Es folgten Stolz, Zorn, Habsucht, Neid, Trägheit, Unmäßigkeit. Nur die Unkeuschheit, mit der weiß dieser Text nichts anzufangen. Das „Schaufenster“durfte dank der Österreichischen Bundesgärten eine der Selbsternteparzellen am Augarten bewirtschaften und die Erfahrungen dokumentieren. Notiz am Rand: Paradeiservielfalt auf Eichentablett von Muji macht sich auf Instagram besser als Bilder von Mangold in der Abwasch, und sei dieser noch so farbenfroh.
Instagram ist das Stichwort für den Stolz (allerdings eher in der positiven Bedeutung denn der den Todsünden zugeordneten). Ein Erntefeld, das man selbst bepflanzen musste, lehrt Verständnis für Jungmütter, die auf jeden Pups ihres Nachwuchses stolz sind. Bevor man selbst vor Stolz auf das erste kirschkerngroße Radieschen (das kaum mehr Gesellschaft bekommen sollte) fast platzt, kann die Fotoplattform durchaus als Ventil fungieren – man darf nur nicht erwarten, dass die Welt auf diese pinkfarbene Erfolgsmeldung in Bildform gewartet hat. Und bald stellt sich die nächste Todsünde ein, der Zorn. Von den Karotten, erst in der pubertären Frühsommerhitze ausgesät, erblickt kein einziges Blättchen Grün das Tageslicht, ebenso wenig wie von den Blumen, deren Samenpackungen üppige Bauerngärten versprechen. Zu heiß, zu wenig gegossen. Beim Augarten heißt es ja Kannenschleppen. Und mehr als eine links und eine rechts geht nicht. (Wäre die Einsicht übrigens auch eine Todsünde, würde sie hier viel Platz bekommen, ebenso wie die Resignation). Der Neid aber, der ist nicht nur beim Gießen ein Thema: Warum kann nicht mein Feld auch direkt bei der Wasserstelle sein? Die Grenzen zwischen Neid und Habsucht sind auf dem Selbsterntefeld fließend. Prinzipiell haben die Nachbarn die größeren Salate, die reiferen Melanzani, die streberhafteren Paradeiser-BambusstockSchnur-Gebilde; aber wahrscheinlich, so die reflexhafte Häme, sind die Nachbarn auch alle arbeits- und hobbylos, anders geht das ja nicht. Auf der Habenseite des „Schaufenster“-Felds stehen immerhin zweifarbige Paprikaschoten, Tomatillos, die man in einem Anfall von, erraten, Unmäßigkeit alle auf einmal erntet, winzige gelbe Paradeiser, übermannhohe Sonnenblumen, die man nie gesät hat, und die Hoffnung auf einen Oktober mit üppiger Grünkohl- und Sellerieernte – so weit das bei gezählten drei Selleriepflanzen möglich ist. Auf der Habenseite stehen aber auch: Dankbarkeit, Freude und Genügsamkeit. Mehr als drei Chilischoten braucht doch kein Mensch.