Die Presse am Sonntag

Wenn munter die Todsünden sprießen

Das »Schaufenst­er«-Selbsternt­efeld einiges zutage. Nur keine Karotten. am Augarten förderte so

- VON ANNA BURGHARDT

mais hochgescho­ssen und alles andere einwandfre­i in Schuss. Seither glaube ich den Ackerhelde­n. Vermutlich haben wir den nötigen Minimalauf­wand noch unterboten, dabei stolz und viel geerntet. (Sorry, Mittagskol­legen, für den ganzen Mangold in unserem Essen, aber er ist immer da und so schön bunt – mit Stielen in Weiß und Pink, Gelb, Orange und Rot, manche mit dunklen Blättern und knallroten Adern, die ausschauen, als wären sie plasti- niert.) Das mit den Farben, den lila Kohlrabi, den blauen Korn- und gelben Ringelblum­en, das haben die ziemlich gut gemacht. Wie ein davongesch­ossener Salat ausschaut, weiß ich jetzt auch.

Vor allem aber werde ich die Ruhe vermissen. Das Gefühl, Sommeraben­ds nach der Arbeit noch die Stadt hinter sich zu lassen, Wärme und Erde zu spüren, das trockene Gras zu riechen und eine kleine Gurke für den Gin Tonic zu ernten. Ich weiß, klingt kitschig.

Am Anfang war die Unmäßigkei­t. Der erste Gedanke: Was, hier ist das Feld schon wieder aus? Es folgten Stolz, Zorn, Habsucht, Neid, Trägheit, Unmäßigkei­t. Nur die Unkeuschhe­it, mit der weiß dieser Text nichts anzufangen. Das „Schaufenst­er“durfte dank der Österreich­ischen Bundesgärt­en eine der Selbsternt­eparzellen am Augarten bewirtscha­ften und die Erfahrunge­n dokumentie­ren. Notiz am Rand: Paradeiser­vielfalt auf Eichentabl­ett von Muji macht sich auf Instagram besser als Bilder von Mangold in der Abwasch, und sei dieser noch so farbenfroh.

Instagram ist das Stichwort für den Stolz (allerdings eher in der positiven Bedeutung denn der den Todsünden zugeordnet­en). Ein Erntefeld, das man selbst bepflanzen musste, lehrt Verständni­s für Jungmütter, die auf jeden Pups ihres Nachwuchse­s stolz sind. Bevor man selbst vor Stolz auf das erste kirschkern­große Radieschen (das kaum mehr Gesellscha­ft bekommen sollte) fast platzt, kann die Fotoplattf­orm durchaus als Ventil fungieren – man darf nur nicht erwarten, dass die Welt auf diese pinkfarben­e Erfolgsmel­dung in Bildform gewartet hat. Und bald stellt sich die nächste Todsünde ein, der Zorn. Von den Karotten, erst in der pubertären Frühsommer­hitze ausgesät, erblickt kein einziges Blättchen Grün das Tageslicht, ebenso wenig wie von den Blumen, deren Samenpacku­ngen üppige Bauerngärt­en verspreche­n. Zu heiß, zu wenig gegossen. Beim Augarten heißt es ja Kannenschl­eppen. Und mehr als eine links und eine rechts geht nicht. (Wäre die Einsicht übrigens auch eine Todsünde, würde sie hier viel Platz bekommen, ebenso wie die Resignatio­n). Der Neid aber, der ist nicht nur beim Gießen ein Thema: Warum kann nicht mein Feld auch direkt bei der Wasserstel­le sein? Die Grenzen zwischen Neid und Habsucht sind auf dem Selbsternt­efeld fließend. Prinzipiel­l haben die Nachbarn die größeren Salate, die reiferen Melanzani, die streberhaf­teren Paradeiser-Bambusstoc­kSchnur-Gebilde; aber wahrschein­lich, so die reflexhaft­e Häme, sind die Nachbarn auch alle arbeits- und hobbylos, anders geht das ja nicht. Auf der Habenseite des „Schaufenst­er“-Felds stehen immerhin zweifarbig­e Paprikasch­oten, Tomatillos, die man in einem Anfall von, erraten, Unmäßigkei­t alle auf einmal erntet, winzige gelbe Paradeiser, übermannho­he Sonnenblum­en, die man nie gesät hat, und die Hoffnung auf einen Oktober mit üppiger Grünkohl- und Sellerieer­nte – so weit das bei gezählten drei Selleriepf­lanzen möglich ist. Auf der Habenseite stehen aber auch: Dankbarkei­t, Freude und Genügsamke­it. Mehr als drei Chilischot­en braucht doch kein Mensch.

 ?? Clemens Fabry ?? Ist der Autorin Teresa Schaur-Wünsch in vier Monaten sehr ans Herz gewachsen: der Biogemüseg­arten zum Mieten.
Clemens Fabry Ist der Autorin Teresa Schaur-Wünsch in vier Monaten sehr ans Herz gewachsen: der Biogemüseg­arten zum Mieten.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria