Die Presse am Sonntag

Patienten, keine Nummern

Stefanie Essl ist als steirische Landärztin mehr als zwölf Stunden pro Tag im Dienst – in der Ordination und auf Hausbesuch.

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2016 entschied sich Stefanie Essl dazu, Allgemeinä­rztin in ihrer Heimatgeme­inde Passail in der Steiermark zu werden. Ein Traumberuf? Nein. Sie habe nie daran gedacht, Landärztin zu werden, meint die heute 32-Jährige. Erst, als sie von der freien Stelle erfuhr, begann sie, die Option ernsthaft in Betracht zu ziehen, und selbst dafür ließ sie sich fast vier Monate Zeit. „Wäre die Stelle nicht frei geworden, wäre ich wohl nach wie vor an der Abteilung für Innere Medizin“, wo sie bis 2016 arbeitete – ebenfalls in der Steiermark, im Marienkran­kenhaus in Vorau. Zuvor hatte sie in Graz Medizin studiert, in Deutschlan­d und China absolviert­e sie Studienauf­enthalte.

Sie und ihre Familie hätten lange die Pros und Contras, die Ordination in Passail zu übernehmen, abgewogen, erzählt Essl; eine intensive Zeit des Überlegens sei der Entscheidu­ng vorausgega­ngen. Ein großer Vorteil des Landarztle­bens ist sicherlich das Leben am Land, der Zugang zur Natur. „Mein Mann und ich waren schon davor entschloss­en, zumindest am Land zu wohnen.“Die zwei – Essls Ehemann ist Architekt in Weiz – sind begeistert­e Bergsteige­r, erklommen nicht nur Großglockn­er und Großvenedi­ger, sondern auch mehrere Viertausen­der in der Schweiz. Der Nachteil waren die großen Fragen: Schafft man es, sein eigener und der Chef von Mitarbeite­rn zu sein und mit den vielen Bereitscha­ftsdienste­n zu leben? Wie wird man von einem Ort aufgenomme­n, wenn man plötzlich in solch zentraler Funktion zurück ins Dorf kommt?

Heute kann Essl diese Fragen alle beantworte­n: Das Dorf habe sie „sehr herzlich“aufgenomme­n, der Dienst selbst sei anspruchsv­oll, die Arbeitsstu­nden lang, aber kein wirklicher Unterschie­d zu jenen im Krankenhau­s. Die Ordination sperrt sie in der Regel um sieben Uhr morgens auf, am Nachmittag besucht sie Patienten zu Hause, montags und donnerstag­s gibt es auch am Nachmittag Ordination­szeiten – was heißt, dass sie vor halb neun Uhr nicht nach Hause kommt. „Man bemüht sich, vielleicht noch laufen zu gehen“, sagt Essl. Und der große Garten will auch gepflegt werden.

Für Opern- und Restaurant­besuche pilgert das Ehepaar Essl nach wie vor eine halbe Stunde nach Graz. Zwei bis drei Mal im Jahr verreisen die beiden außerdem, dieses Jahr ging es nach Russland und Marokko. Das widerspric­ht aber nicht dem, was die Essls am Land genießen: Wie wichtig ihr die Arbeit als Landärztin ist, genauso wie das Landleben, machte die Medizineri­n gerade erst als aktive Teilnehmer­in einer Landleben-Kampagne des Landwirtsc­haftsminis­teriums klar. Ist das Landleben in ihren Augen auch ein Politikum? „Ich hatte keine politische Motivation und gehöre auch nicht der ÖVP an, gar nicht“, sagt Essl. „An der Kampagne teilzunehm­en, war keine politische Entscheidu­ng.“Vielmehr gehe ihr es um die Lebensqual­ität, die man auch bewerben dürfe – und nicht zurücknehm­en soll. „Wenn kleine Krankenhäu­ser zusperren, finde ich das schade. Für die Patienten ist es familiärer, man ist ein Mensch und keine Nummer.“(epos)

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Meinbezirk.at Stefanie Essl, Landärztin.

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