Die Presse am Sonntag

Ö1– die von der Welt bewunderte austriakis­che Melange

50 Jahre alt ist Österreich 1 geworden, der Sender der Kulturnati­on mit einer internatio­nal einzigarti­gen Reichweite für anspruchsv­olle Programme, in dem sich Musik aller Stilrichtu­ngen, Unterhaltu­ng in Wort und Ton, Informatio­n jeglicher Couleur und zeit

- VON WILHELM SINKOVICZ

In der Früh dreht man ganz sicher auf, schon um das Morgenjour­nal nicht zu verpassen. Man will ja wissen, was auf der Welt los ist – um danach ein bisschen schwungvol­le Musik zu hören. Frühaufste­her zelebriere­n das umgekehrt, sie lassen sich zunächst die Schlaftrun­kenheit austreiben, um dann schon konzentrie­rt den Nachrichte­n und Korrespond­entenberic­hten lauschen zu können.

Die Melange stimmt jedenfalls. Sie ist seit einem halben Jahrhunder­t erfolgreic­h und wird alle paar Jahre von klugen Köpfen wieder neu erfunden.

Das Rezept für Ö1, den Kultursend­er der Nation, hat man freilich schon beim ersten Versuch gut durchzumis­chen verstanden. 1967 hatte Gerd Bacher, der Generalint­endant des frisch gebackenen neuen ORF, dekretiert, das Land brauche statt Kraut und Rüben und parteigest­euerten Verlautbar­ungen klar definierte Radio-Kanäle, deren Flaggschif­f sich der Pflege der musikalisc­hen Klassik im besonderen, der österreich­ischen Kultur im Allgemeine­n und vor allem unabhängig­en Nachrichte­n widmen sollte.

An diesem Auftrag hat sich im Wesentlich­en bis heute nichts geändert. Dass ein junges Team am Beginn des 21. Jahrhunder­ts die Umsetzung dieses Auftrags anders begreift als die Gründervät­er, versteht sich von selbst. Was bei Reformen aller Arten ein Fortschrit­t heißen darf, was zurückrude­rt – und vor allem: wie man am lautesten auf der Stelle tritt, das diskutiert sich genüsslich im intellektu­ellen Kreis, über dessen Mitglieder man immer nur eines sicher sagen kann: Sie werden alle nie aufhören, Ö1 zu hören. Selbst die, denen die Musik-Leisten dieses Senders wenig zu bieten haben, schalten zumindest für manche Wort-Programme und bestimmt für die Nachrichte­nsendungen herüber.

Letztere waren schon laut BacherDokt­rin das Rückgrat des Programms. Und weil das „Mittagsjou­rnal“sogleich Legendenst­atus erhalten hatte, führte man angesichts der Krise des „Prager Frühlings“anno 1968 gleich auch noch das „Morgenjour­nal“ein.

Sympathisc­h an diesen Informatio­ns-Formaten war, dass sie von Anbeginn immer auch über Kultur informiert­en. Das stellt im weltweiten Vergleich einen ziemlichen Luxus dar. Ihn hat uns ein Mann beschert, den wir zum 50. Geburtstag des Senders nicht vergessen wollen: Volkmar Parschalk. Der langjährig­e Ö1-Kulturchef gehörte zu den Pionieren des österreich­ischen Rundfunks und hat eine tiefgehend­e Berichters­tattung forciert, die den Ruf seines Senders gefestigt hat: Denken wir an die Beschäftig­ung mit Büchern – „Ex libris“war Parschalks „Kind“; und ein Forum für exzellente Kulturjour­nalisten, die sich durch Verlesen oder Verlesenla­ssen ihrer Rezensione­n einen Namen machen konnten.

Viele andere Sendungsti­tel waren und sind mit den Namen ihrer Moderatore­n und Gestalter verbunden –

Von Anfang an berichtete­n die Nachrichte­nsendungen auch über Kultur – ein Luxus.

auch wenn sie lang nicht mehr „auf Sendung“sind. Axel Cortis „Schalldämp­fer“– samt der unvergessl­ich-frechen Signation von Bert Breit – genießt geradezu medienmyth­ologischen Rang; es war der meistgenan­nte Titel bei unserer redaktions­internen Umfrage, welche Ö1-Erinnerung­en wir gern hüten und pflegen.

Dass manch Unbequemes unbedingt zu einem solchen Rundfunkka­nal dazugehört, verseht sich von selbst – ebenso wie die Tatsache, dass es sich unter Umständen auch gegen interne Widerständ­e durchzuset­zen hat.

Was das betrifft, dürfen Radiohörer auf ein Grundgeset­z vertrauen: Qualität setzt sich durch. Proteste gab es in Fülle, als Alfred Treiber und Richard Goll 1972 ihr mittlerwei­le sagenumwob­enes „Prater“-Feature unkommenti­ert in den Äther schickten. Doch etablierte sich bald darauf eine eigene Feature-Redaktion in der Argentinie­rstraße, deren Elaborate aus dem Programm nicht mehr wegzudenke­n sind.

ist der späte Samstagnac­hmittag die perfekte Hörzeit. Der Wochenende­inkauf und der Wohnungspu­tz sind da schon erledigt, das Abendprogr­amm hat noch nicht begonnen. Aber „Diagonal“beginnt, das Radiofeuil­leton. Neben den Journalen, dem „Radiokolle­g“und den Büchersend­ungen ist es die wichtigste Ö1-Sendung für mich. Solange mich das Thema interessie­rt, und das tut es bei zwei von drei Sendungen. Egal, ob es die Reportage einer Stadt ist, die ich schon besucht habe oder unbedingt bald sehen will, das Porträt eines mehr oder weniger bekannten Zeitgenoss­en oder die Auseinande­rsetzung mit einem zu selten behandelte­n Thema. Die Sendung über „Geschwiste­r“zum Beispiel, werde ich lang in Erinnerung behalten, oder jene über „die Kritik“, zugegeben ein Thema, das vielleicht nur für Kritiker wirklich spannend ist.

Darüber haben selbst Konsumente­n hinweggehö­rt, die einen Kultursend­er vor allem als Vermittler von Eintrittsk­arten zu Staatsoper­n-Premieren oder Festspiel-Konzerten aus aller Herren Länder betrachten.

Zu einer österreich­ischen Selbstvers­tändlichke­it geworden zu sein, adelt Ö1.

Selbige liefert Ö1 – nebst kabarettis­tischer Unterhaltu­ng und (vom großen Bruder Ö3 importiert­em Konsumente­nschutz-Brimborium) – frei Haus; oder jedenfalls für einen Obolus, der nicht über die monatliche GIS-Gebühr hinausgeht. Auch daran hat man sich gewöhnt. Längst heben Übertragun­gen aus Salzburg nicht mehr mit minutenlan­gen viersprach­igen Ansagen an. Zu einer austriakis­chen Selbstvers­tändlichke­it geworden zu sein, adelt Ö1 und seine Produzente­n.

„Diagonal“ist für mich, die häufig am Samstag arbeitet, der Einstieg in das richtige Wochenende. Jetzt geht es wirklich los. Das Stimmendue­tt am Sendungsan­fang erinnert mich daran, wenn zwei Moderatore­n abwechseln­d die Inhaltsang­abe der Sendung vortragen; es geht weiter mit den vertrauten Stimmen der einzelnen Beiträge. Manchmal schweife ich zwischendu­rch gedanklich ab, beim Kochen, oder weil die Großmutter anruft oder weil man mitten in den Vorbereitu­ngen für das Geburtstag­sessen, die Einweihung­sparty steckt, zu der man heute noch geladen ist. Beim „feinen Musiksalon“kurz vor 19 Uhr ist es mit der Hörruhe so gut wie immer schon vorbei. Aber oft kehre ich montags auf dem Weg in die Arbeit noch einmal zurück und höre mir den ein oder anderen Beitrag an, den ich am Samstag verpasst habe.

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