Ö1– die von der Welt bewunderte austriakische Melange
50 Jahre alt ist Österreich 1 geworden, der Sender der Kulturnation mit einer international einzigartigen Reichweite für anspruchsvolle Programme, in dem sich Musik aller Stilrichtungen, Unterhaltung in Wort und Ton, Information jeglicher Couleur und zeit
In der Früh dreht man ganz sicher auf, schon um das Morgenjournal nicht zu verpassen. Man will ja wissen, was auf der Welt los ist – um danach ein bisschen schwungvolle Musik zu hören. Frühaufsteher zelebrieren das umgekehrt, sie lassen sich zunächst die Schlaftrunkenheit austreiben, um dann schon konzentriert den Nachrichten und Korrespondentenberichten lauschen zu können.
Die Melange stimmt jedenfalls. Sie ist seit einem halben Jahrhundert erfolgreich und wird alle paar Jahre von klugen Köpfen wieder neu erfunden.
Das Rezept für Ö1, den Kultursender der Nation, hat man freilich schon beim ersten Versuch gut durchzumischen verstanden. 1967 hatte Gerd Bacher, der Generalintendant des frisch gebackenen neuen ORF, dekretiert, das Land brauche statt Kraut und Rüben und parteigesteuerten Verlautbarungen klar definierte Radio-Kanäle, deren Flaggschiff sich der Pflege der musikalischen Klassik im besonderen, der österreichischen Kultur im Allgemeinen und vor allem unabhängigen Nachrichten widmen sollte.
An diesem Auftrag hat sich im Wesentlichen bis heute nichts geändert. Dass ein junges Team am Beginn des 21. Jahrhunderts die Umsetzung dieses Auftrags anders begreift als die Gründerväter, versteht sich von selbst. Was bei Reformen aller Arten ein Fortschritt heißen darf, was zurückrudert – und vor allem: wie man am lautesten auf der Stelle tritt, das diskutiert sich genüsslich im intellektuellen Kreis, über dessen Mitglieder man immer nur eines sicher sagen kann: Sie werden alle nie aufhören, Ö1 zu hören. Selbst die, denen die Musik-Leisten dieses Senders wenig zu bieten haben, schalten zumindest für manche Wort-Programme und bestimmt für die Nachrichtensendungen herüber.
Letztere waren schon laut BacherDoktrin das Rückgrat des Programms. Und weil das „Mittagsjournal“sogleich Legendenstatus erhalten hatte, führte man angesichts der Krise des „Prager Frühlings“anno 1968 gleich auch noch das „Morgenjournal“ein.
Sympathisch an diesen Informations-Formaten war, dass sie von Anbeginn immer auch über Kultur informierten. Das stellt im weltweiten Vergleich einen ziemlichen Luxus dar. Ihn hat uns ein Mann beschert, den wir zum 50. Geburtstag des Senders nicht vergessen wollen: Volkmar Parschalk. Der langjährige Ö1-Kulturchef gehörte zu den Pionieren des österreichischen Rundfunks und hat eine tiefgehende Berichterstattung forciert, die den Ruf seines Senders gefestigt hat: Denken wir an die Beschäftigung mit Büchern – „Ex libris“war Parschalks „Kind“; und ein Forum für exzellente Kulturjournalisten, die sich durch Verlesen oder Verlesenlassen ihrer Rezensionen einen Namen machen konnten.
Viele andere Sendungstitel waren und sind mit den Namen ihrer Moderatoren und Gestalter verbunden –
Von Anfang an berichteten die Nachrichtensendungen auch über Kultur – ein Luxus.
auch wenn sie lang nicht mehr „auf Sendung“sind. Axel Cortis „Schalldämpfer“– samt der unvergesslich-frechen Signation von Bert Breit – genießt geradezu medienmythologischen Rang; es war der meistgenannte Titel bei unserer redaktionsinternen Umfrage, welche Ö1-Erinnerungen wir gern hüten und pflegen.
Dass manch Unbequemes unbedingt zu einem solchen Rundfunkkanal dazugehört, verseht sich von selbst – ebenso wie die Tatsache, dass es sich unter Umständen auch gegen interne Widerstände durchzusetzen hat.
Was das betrifft, dürfen Radiohörer auf ein Grundgesetz vertrauen: Qualität setzt sich durch. Proteste gab es in Fülle, als Alfred Treiber und Richard Goll 1972 ihr mittlerweile sagenumwobenes „Prater“-Feature unkommentiert in den Äther schickten. Doch etablierte sich bald darauf eine eigene Feature-Redaktion in der Argentinierstraße, deren Elaborate aus dem Programm nicht mehr wegzudenken sind.
ist der späte Samstagnachmittag die perfekte Hörzeit. Der Wochenendeinkauf und der Wohnungsputz sind da schon erledigt, das Abendprogramm hat noch nicht begonnen. Aber „Diagonal“beginnt, das Radiofeuilleton. Neben den Journalen, dem „Radiokolleg“und den Büchersendungen ist es die wichtigste Ö1-Sendung für mich. Solange mich das Thema interessiert, und das tut es bei zwei von drei Sendungen. Egal, ob es die Reportage einer Stadt ist, die ich schon besucht habe oder unbedingt bald sehen will, das Porträt eines mehr oder weniger bekannten Zeitgenossen oder die Auseinandersetzung mit einem zu selten behandelten Thema. Die Sendung über „Geschwister“zum Beispiel, werde ich lang in Erinnerung behalten, oder jene über „die Kritik“, zugegeben ein Thema, das vielleicht nur für Kritiker wirklich spannend ist.
Darüber haben selbst Konsumenten hinweggehört, die einen Kultursender vor allem als Vermittler von Eintrittskarten zu Staatsopern-Premieren oder Festspiel-Konzerten aus aller Herren Länder betrachten.
Zu einer österreichischen Selbstverständlichkeit geworden zu sein, adelt Ö1.
Selbige liefert Ö1 – nebst kabarettistischer Unterhaltung und (vom großen Bruder Ö3 importiertem Konsumentenschutz-Brimborium) – frei Haus; oder jedenfalls für einen Obolus, der nicht über die monatliche GIS-Gebühr hinausgeht. Auch daran hat man sich gewöhnt. Längst heben Übertragungen aus Salzburg nicht mehr mit minutenlangen viersprachigen Ansagen an. Zu einer austriakischen Selbstverständlichkeit geworden zu sein, adelt Ö1 und seine Produzenten.
„Diagonal“ist für mich, die häufig am Samstag arbeitet, der Einstieg in das richtige Wochenende. Jetzt geht es wirklich los. Das Stimmenduett am Sendungsanfang erinnert mich daran, wenn zwei Moderatoren abwechselnd die Inhaltsangabe der Sendung vortragen; es geht weiter mit den vertrauten Stimmen der einzelnen Beiträge. Manchmal schweife ich zwischendurch gedanklich ab, beim Kochen, oder weil die Großmutter anruft oder weil man mitten in den Vorbereitungen für das Geburtstagsessen, die Einweihungsparty steckt, zu der man heute noch geladen ist. Beim „feinen Musiksalon“kurz vor 19 Uhr ist es mit der Hörruhe so gut wie immer schon vorbei. Aber oft kehre ich montags auf dem Weg in die Arbeit noch einmal zurück und höre mir den ein oder anderen Beitrag an, den ich am Samstag verpasst habe.