Die Flammen, die die Kirche in Brand setzten
Vor 500 Jahren, im Oktober 1517, vollendete Raffael in den vatikanischen Papstgemächern sein Meisterwerk vom Brand des römischen Borgo. Im Norden setzte zur selben Zeit ein deutscher Mönch mit seinen Ideen die gesamte Kirche in Brand.
Eine hochdramatische Szene, eine gemalte Tragödie: Menschen, von einer Feuerkatastrophe bedroht, kämpfen um ihr Leben, sie versuchen sich und andere vor den Flammen zu retten, ein Mann trägt den alten Vater auf den Schultern aus der Gefahr, mitleiderregend das Flehen und Beten der verzweifelten Frauen mit ihren kleinen Kindern, auf der rechten Seite Menschen, die verzweifelt bemüht sind, den Brand zu löschen und damit die Katastrophe einzudämmen, einige sind in Rückenansicht, sodass der Betrachter in das Bild hineingezogen wird. Ein muskulöser Jüngling hängt an einer Mauer, er könnte in seiner Hünenhaftigkeit eine Parodie des Kolossalstils Michelangelos sein.
Das Fresko, das er für das päpstliche Esszimmer im vatikanischen Palast malte, ist einer der künstlerischen Höhepunkte im Werk Raffaels, es gehört zu seinen Stanzen (Stanzen ist wörtlich der Name für die Gemächer in der Papstresidenz). 1513 waren Papst Julius II. und kurze Zeit darauf sein Baumeister Bramante gestorben, es kam der neue Papst Leo X., dessen „Jahrhundert“, um mit Voltaire zu sprechen, zwar nur einen Augenblick, aber einen höchst glanzvollen dauerte. Er beauftragte Raffael mit der Leitung des 1500 begonnenen Peterskirchenbaus.
Das war nicht unüblich, dass ein vielseitiger Künstler sich auch mit architektonischen Fragen beschäftigte, freilich blieb dadurch weniger Zeit für die Malerei, Raffaels eigentliche Leidenschaft. Doch er verfügte inzwischen über eine eigene Werkstatt, so übernahmen aus Zeitgründen seine Schüler nach den Entwürfen des Meisters die Ausarbeitung, so wie in diesem Fall Giulio Romano. Der verheerende Brand in Rom. Das Bild spielt an auf ein historisches Ereignis, es zeigt den verheerenden Brand, der das römische Stadtviertel Borgo 847 völlig zerstörte und die Peterskirche bedrohte. Das Ereignis war noch nie bildlich dargestellt worden. Die Legende erzählt, dass der Segen von Papst Leo IV., den er von der Loggia der Peterskirche erteilte, den Brand, den die Bewohner ebenso verzweifelt wie erfolglos bekämpften, zum Erliegen brachte. Man sieht das bei Raffael nur im Hintergrund: Vorn spielt sich das dramatische Geschehen ab, hinten ist die Fassade der alten Peterskirche, wie sie bis ins 15. Jahrhundert ausgesehen hat, von deren Loggia der Papst den Segen spendet. Raffaels Bild wurde namensgebend für den gesamten Raum, in dem es zu sehen war, er hieß nun „Stanza dell‘lncendio di Borgo“.
Der Einfluss des Freskos, das zu einem Paradigma der akademischen Malerei wurde, reicht bis weit in die folgenden Jahrhunderte hinein. Fast alle Gestalten, die diese Szene bevölkern, wurden in der Folgezeit zu häufig imitierten akademischen Vorbildern. Doch sie sind im Thema des Bildes eigentlich Nebenfiguren. Warum diese Umkehrung der Wertigkeit? Warum vollzieht der Maler hier einen Bruch mit den klassischen Kompositionsregeln, die normalerweise der Hauptsache, in diesem Fall dem segenspendenden Papst, den Vortritt lassen? Raffaels Bilder wollten den politischen Anspruch des Vatikans auf die kirchliche Vorherrschaft gegenüber weltlichen Mächten illustrieren. Doch wo steckt in diesem Gemälde die politische Aussage, der Gegenwartsbezug, also die übliche Anspielung auf den Auftraggeber, Leo X.?
Man hat bemerkt, dass das Gesicht des alten Mannes, der auf den Schultern getragen wird, Lorenzo de Medici ähnelt, dem Vater Leos X., möglicherweise auch Cosimo, dem MediciStammvater. Die Stelle in der Mitte der Komposition, die normalerweise dem Helden vorbehalten ist, ist aber leer, hier hat sich der Betrachter den zeitgenössischen Papst vorzustellen.
Unverkennbar ist, dass Raffael hier mit einer antiken Folie arbeitete: dem Brand Trojas.
Wo ist die politische Anspielung? Nach den strengen Regeln der Historienmalerei der Zeit durfte man verschiedene zeitliche Ebenen nicht verbinden, man handelte sonst gegen das Gesetz der Wahrscheinlichkeit. Somit musste die Anspielung auf den auftraggebenden Papst diskreter sein, indem ein Vorgän- ger und Namensvetter, nämlich Leo IV., auftrat. Das findet überraschenderweise gemäß der Regieanweisungen des Künstlers nur auf einer hinteren Raumebene statt und kommt den effektvollen Nebenszenen der mit dem Mut der Verzweiflung um ihr Leben und um ihre Lieben kämpfenden Borgobewohner zugute. Dies und die Unausgewogenheit in den Größenverhältnissen der Figuren weist bereits auf den manieristischen Stil hin.
Dass Raffael hier mit einer antiken Folie arbeitet, ist unverkennbar. Er evozierte im linken Bildteil das brennende Troja, also den klassischen Topos eines verheerenden Feuers, aus dem der Held Aeneas flieht, zusammen mit seinem Sohn Ascanius und dem greisen Vater Anchises, den er auf den Schultern aus der brennenden Stadt trägt. Um zu verdeutlichen, was Rom durch die Gnade Gottes erspart blieb, imaginierte er also den Untergang Trojas. Was Aeneas nicht vermochte, nämlich Troja zu retten, gelingt dem Stellvertreter Gottes auf Erden: Er rettet die Stadt. Eine antike Thematik wird verschränkt mit einer Episode aus der Geschichte Roms und der Peterskirche. Das Bild ist also ein Symbol für das antik durchtränkte