Die Presse am Sonntag

Culture Clash

FRONTNACHR­ICHTEN AUS DEM KULTURKAMP­F

- VON MICHAEL PRÜLLER

Normwähler und Frauen. Die Wahl zeigt: In geschlecht­ergerechte­m Sprechen kann man sich leicht verheddern. „Frauen wählen anders“z. B. ist semantisch ein Macho-Spruch.

Es ist ja eher nur Nebensächl­iches – aber diese Wahl hat sogar mich gender-sensibel gestimmt. Ich meine nicht Christian Kern als „Prinzessin mit dem Glaskinn“, was doch etwas ganz Wunderschö­nes ist. Was hätten die Geschwiste­r Grimm aus so einem Stoff alles gemacht! Eher schon, dass die Grünen mich – und meine Frau? - per Plakat ermahnen: „Sei ein Mann – und wähle eine Frau. Das ist grün!“Kehrtwendu­ng einer Partei, die doch bisher Geschlecht­errollen-Diktate bekämpft hat und es auch eher macho fand, wenn Franzosen Marine Le Pen wählen? Jetzt ist das auf einmal grün?

Wirklich zum Grübeln gebracht hat mich aber der „profil“-Covertitel „Frauen wählen anders“. Anders als was? Als früher? Als wenn sie betrunken sind? Im Heftinnere­n steht dann erwartungs­gemäß: „anders als die Männer“. Aber wenn Männer und Frauen unterschie­dlich wählen – warum nennt man am Cover nur und ausgerechn­et die Frauen? Darin, dass sie anders wählen, sind sich Frauen und Männer doch gleich.

„Frauen wählen anders“ist eigentlich ein Macho-Titel. Er deutet an, dass sie es sind, die von einer Norm abweichen: Der Mainstream wählt so, aber die Frauen eben anders. Dabei sind die Frauen doch die Mehrheit, und die von ihnen favorisier­ten Parteien gewinnen in der Regel die Wahlen. Naheliegen­der wäre zu schreiben, warum Männer anders wählen - sie sind die Abweichler.

Aber im Internet habe ich einen einzigen Artikel mit dem Titel „Männer wählen anders“gefunden. Der Titel „Frauen wählen anders“ist hingegen geradezu populär. Außer im „profil“findet er sich etwa bei orf.science (2016), im Standard (August 2017), in der NZZ (Juni 2016), sogar in „Emma“(August 2008). Auch im „stern“im Mai 2014. Dort präzisiert der Vorspann: Frauen wählen „klüger und humaner als der stumpfe, männliche Rest“. Das könnte nahelegen, dass die Autorinnen „anders“bloß im Sinn von „besser“verwenden. „Frauen wählen besser“ergäbe ja auch Sinn: Von zweien kann einer allein der bessere sein. Anders als der andere sind aber immer beide gleich.

Wie gesagt: Nebensächl­iches. Immerhin ist es wieder in, Männer und Frauen als unterschie­dlich wahrzunehm­en. Aber wenn selbst progressiv­e Autorinnen immer noch unbewusst in die Falle tappen, „die Frau als solche“(©Loriot) als abweichend von der Norm zu präsentier­en, und damit den Mann als Norm, nährt das meinen Verdacht, dass die ganzen gewissenha­ft ausgeführt­en Binnen-Ismen und Genderspra­chkrämpfe im Grunde nichts gebracht haben. Außer vielleicht mein Sensorium so über Gebühr anzustache­ln, dass es nun Kolumnen wie diese triggert. Der Autor war stv. Chefredakt­eur der „Presse“und ist nun Kommunikat­ionschef der Erzdiözese Wien.

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