Kunstwerk Stadtbahn Wie mit Otto Wagner eine neue Zeit begann
Kein Architekt ist für die Wiener heute so präsent wie Otto Wagner – durch seine Stadtbahnstationen. Zu Wagners hundertstem Todestag 2018 erinnert ein neues Buch wieder an seine städtebauliche Großtat, die fast das ganze Areal Wiens durchzieht, die Pionie
Wurde Wien, die Stadt, die so lange ihren mittelalterlichen Festungscharakter beibehielt, nur widerstrebend modern? Hat sie sich geweigert, sich uferlos auszudehnen wie etwa Paris? Es scheint so. Wie in einer Kleinstadt wusste (und weiß heute) jeder, wo die Mitte der Stadt liegt. Wo liegt sie in London oder Paris?
Gürtelförmig wie die alten Basteimauern legte sich die Ringstraße 1865 als geschlossener Kranz um dieses Zentrum und betonte dadurch noch seine Dominanz. Wie Wachstumsringe legten sich außen herum in periodischen Abständen konzentrische Straßen wie der Gürtel und markierten so das Stadtwachstum. Sie waren durch Radialstraßen mit dem Zentrum verbunden, zum Teil waren dies uralte Handelsstraßen, nach Prag, Brünn, Triest. Dies war das Stadt-Gerippe, das Netzwerk, das die Stadtplaner am Ende des 19. Jahrhunderts vorfanden, und keiner verstand so gut wie Otto Wagner, diese Verkehrsadern städtebaulich nutzbar zu machen. Er konzipierte moderne Verkehrsmittel, indem er sich an diese historischen Fundamente anlehnte. Ursprünglichkeit und Moderne fanden dank seines Genies zur Symbiose.
Die Verkehrsfrage war in der schnell wachsenden Residenzstadt Wien ein Dauerthema geworden. Es war zwar großartig, dass Wiens Vororte sieben Endbahnhöfe besaßen, von allen Richtungen konnte man aus dem Umland zügig an die Peripherie der Stadt gelangen, doch dann stockte es. Die Bahnhöfe untereinander hatten fast keine Schienenverbindungen, die bestehenden ringförmigen Bahnen hatten ihre Trassen aus Kostengründen nicht im dicht verbauten Gebiet, wie sollten sie so den Verkehrsbedürfnissen dienen? Man kam einfach nicht mehr weiter in den Straßen der Stadt, das Wirrwarr von Stellwägen, Fiakern, Kutschen und Einspännern war nervtötend, die Pferdetramway zu leis-
»Otto Wagner. Die Wiener Stadtbahn«
Unter diesem Titel widmet sich ein neues Buch Wagners einzigartigem Verkehrsbauwerk, das Design und Funktionalität verbindet. Herausgeber ist Alfred Fogarassy, Beiträge stammen u. a. von Architekt Hermann Czech und Andreas Nierhaus vom WienMuseum. Der Band zeigt aktuelle Fotografien von Nora Schoeller und zahlreiche bisher nie publizierte historische Aufnahmen und Pläne. Das Buch hat 224 Seiten mit 201 Abbildungen, ist erschienen im Verlag Hatje Cantz und kostet 48 Euro. tungsschwach für den neuen Massenverkehr. 7,5 Kilometer kam man mit ihr in einer Stunde voran, in New York, Berlin und London, so rechnete 1887 die Zeitschrift „Der Bautechniker“nach, fuhr man dreimal so schnell, nämlich 22 Kilometer. Wie eine Gebirgsbahn. Seit 1892 beschäftigte sich Architekt Otto Wagner damit, großstädtische Massenverkehrsmittel in das Stadtbild zu integrieren, und zwar nicht irgendwie, sondern mit hohen künstlerischen Ansprüchen. Er hatte bis dahin vor allem große Miethäuser im Stil des Historismus gebaut. Den Auftrag für die Stadtbahn erhielt er im Mai 1894, der Auftrag war eines der europaweit größten Bauprojekte seiner Zeit. Innerhalb eines Jahrzehnts entstanden auf einer Strecke von 40 Kilometern die Stationen, Viadukte, Tunnels und Brücken.
Der Charakter der einzelnen Streckenabschnitte, mal Hoch-, mal Tiefbahn, war völlig unterschiedlich: Die Vorortelinie Heiligenstadt – Gersthof – Hernals – Ottakring – Hütteldorf, heute eine S-Bahn, war 1898 fertig und wirkte wie eine Gebirgsbahn, das Gebiet war von Industrie und Gewerbe dominiert und noch wenig verbaut, sie diente zunächst vor allem dem Güterverkehr. Die Gürtellinie (heute U6) verband Heiligenstadt über Nussdorfer Straße, Michelbeuern, Westbahnhof und Meidling-Hauptstraße und traf hier auf die Wientallinie (heute U4). Diese begleitete vom Hauptzollamt über Pilgramgasse, Hietzing bis Hütteldorf den Wienfluss und war 1899 vollendet, an den alten Flussübergängen waren (sind) die Stationspavillons, etliche von ihnen wurden im 20. Jahrhundert zerstört. Die Donaukanallinie (heute U4) von Heiligenstadt über den Schottenring zum Hauptzollamt war das letzte Teilstück (1901), es gelang ebenfalls wie beim Wienfluss nur durch die Regulierung des ungebändigten Gewässers neben der Trasse, Nussdorf bekam dafür eine Schleusenanlage. Überflüssig, einem Wiener von heute die Stationen zu erklären, man kennt die Linien aus dem Alltag.
Für Wagner bedeutete das, was er mit diesem Großprojekt unternahm, mehr als bloß einen Karriereschritt, es war die Loslösung von den alten Stilen der Vergangenheit, eine Hinwendung zu Funktionalität und zur Verbindung von Architektur und Ingenieurprofession. So wurde die Stadtbahn zum „Gründungsbau der Architektur des 20. Jahrhunderts“, so der Architekturhistoriker Andreas Nierhaus.
Nierhaus ist einer der Autoren, die das Thema Stadtbahn in dem neuen, geradezu perfekt gestalteten Band aus dem Verlagshaus Hatje Cantz beleuchten. Wie schon in seinem Band „Die Ringstraße“prunkt Herausgeber Alfred Fogarassy mit Fotos von Nora Schoeller, für den diesmal eher kurz gehal-
Überflüssig, einem Wiener von heute die Stationsnamen zu erklären. Er kennt sie alle.