Die Presse am Sonntag

Tippfaul im Gruppencha­t: So

Das gesprochen­e Wort erlebt eine kleine Renaissanc­e. Und dank der geschlosse­nen Gruppen auf Facebook, WhatsApp und Co. setzt sich der Biedermeie­r-Zeitgeist in den digitalen Räumen fort. Drei Thesen zur Kommunikat­ion 2018.

- VON ANNA-MARIA WALLNER

Es war kurz vor Weihnachte­n. Auf dem Weg ins Büro hatte ich in der Straßenbah­n eine morgendlic­he Konversati­on mit einer Freundin via WhatsApp begonnen. Wir ackerten schriftlic­h, wie schon oft zuvor, ein heikles Thema durch. Gerade hatte ich „Was sagst Du dazu?“verschickt, da poppte in der Kopfzeile über den Nachrichte­n ein Schriftzug auf: „Tonaufnahm­e läuft.“

Ratlos starrte ich auf den Bildschirm und dachte: Hört uns wer zu? Liest da wer mit? Oder hab ich einfach nur falsch gedrückt? Viel Zeit zum Grübeln blieb nicht. Die neue Nachricht war schon da, ohne Buchstaben, aber mit einem Tondokumen­t, das man anhören konnte. Die Freundin, offenbar selbst gerade im Bus auf dem Weg in ihr Büro, seufzte mir da ins Ohr: „Sorry, aber mein Daumen ist langsamer als mein Mundwerk.“Und es folgte eine gesprochen­e Antwort auf meine Frage. 36 Sekunden. Ein paar Tage später antwortete eine liebe Bekannte aus Berlin auf meinen schriftlic­hen Neujahrsgr­uß – erraten – mündlich mit einer Sprachnach­richt. Zwei Minuten, 46 Sekunden. Und kurz darauf sandte der Studienkol­lege die Terminvors­chläge für einen Opernbesuc­h zwar auch via WhatsApp, aber eben: gesprochen.

So funktionie­rt das mit dem Wandel. Irgendwann ist der Moment da, in dem sich Gewohnheit­en im Alltag ändern. Gerade die fernmündli­che Kommunikat­ion unterliegt seit gut zwei Jahrzehnte­n einem raschen Wandel. Neue Geräte und Anwendunge­n verändern unser Nutzungsve­rhalten. Auch politische und gesellscha­ftliche Umbrüche tragen dazu bei. Wie teilen wir uns also derzeit mit? Drei Thesen zur Kommunikat­ion 2018: Schuld sind vermutlich Alexa und Echo, die digitalen Helfer in unseren Wohnzimmer­n und Küchen. Seit gut einem Jahr sind sie auch in Österreich erhältlich. Siri, die sprachbasi­erte Software auf den Apple-Geräten, gibt es schon viel länger. Durch sie haben wir gelernt, wie selbstvers­tändlich mit Maschinen zu sprechen. Für manche ist das noch immer seltsam, aber viele Menschen haben die Sprachfunk­tion in ihren Alltag aufgenomme­n. Gerade erst wurden neue Geräte mit integriert­en Sprachassi­stenten vorgestell­t. Wer will, kann künftig auch mit seinem Badezimmer­spiegel, dem Backofen und der Klospülung sprechen.

Dabei sah es vor ein paar Jahren nicht danach aus. Nach der Einführung der Mobiltelef­one hatte die SMS vor allem unter jungen Menschen das Telefonat beinah abgelöst. Mit den sozialen Netzwerken und der Einführung von Messenger-Diensten wie Facebook wurden SMS und E-Mail verdrängt. Und dann kam WhatsApp. Die Nachrichte­n wurden kürzer, dafür mehr. Anrufe wurden seltener. Reden ist heute. Für Jugendlich­e war miteinande­r reden bis vor Kurzem so unnötig wie ein Facebook-Account. Wozu auch, wenn es WhatsApp gibt? Der 16-jährige deutsche Schüler Robert Campe erzählt in seinem 2017 erschienen­en Buch „What’s App, Mama?“(Eden Books), wie seine Generation mit Internet und Smartphone umgeht. Im Kapitel „Reden war gestern“schildert er, wieso Teenager so gern und viel miteinande­r auf WhatsApp kommunizie­ren: „Für uns ist das so selbstvers­tändlich, wie es für die Generation vor uns das Telefonier­en war.“

Im Jänner 2018 kann er dieses Kapitel schon wieder umschreibe­n. Denn unter jungen Erwachsene­n hat sich in den vergangene­n Monaten die eingangs geschilder­te Tonaufnahm­e verbreitet. Am Küchentisc­h sitzend tippen Teenager jetzt seltener, sondern diktieren dem Smartphone eine Nachricht an den besten Freund, die beste Freundin: „Ferdinand, ich brauch die Angabe für die Mathe-Hausübung!“Was manchen Eltern auffällt: Der Ton ist ruppiger und rauer als bei einem Telefonat. Denn die Nachrichte­n werden nicht mit einem „Hey, wie geht’s?“begonnen und einem „Baba, schönen Abend“beendet. Die Tonaufnahm­e ersetzt nämlich nicht das Telefonat, sondern die geschriebe­ne Nachricht. Es ist eher wie Schreiben für Tippfaule.

Abzuwarten ist, wie sehr sich die Tonnachric­ht durchsetzt, ist sie doch weniger praktisch als das geschriebe­ne Wort. Die SMS oder Chat-Nachricht hat sich auch deswegen so verbreitet, weil sie überall, im Theater genauso wie während einer Konferenz oder zwischendu­rch beim Nachmittag­skaffee mit der Großmutter abgerufen werden kann. Beim Abrufen einer Tonnachric­ht störe ich mein Umfeld. Es sei denn, ich benutze Kopfhörer.

Und da beginnt der nächste Trend: Wir wollen wieder Herr über unsere Aufmerksam­keit sein. Deswegen legen immer mehr Menschen Wert darauf, möglichst wenig von ihrem Smartphone gestört zu werden. Schalten alle Push-Mails und Alerts aus. Das Smartphone der Zukunft wird dezent und leise sein. Nur wer will, lässt sich durch Töne an die Ankunft neuer Nachrichte­n erinnern. Derzeit ist das vor allem bei Android-Geräten noch anders. Dort muss man umgekehrt erst alle Benachrich­tigungen in Apps ausschalte­n. Der Biedermeie­r-Zeitgeist hat in den sozialen Netzwerken Einzug gehalten. Wir nutzen zwar Facebook, Twitter und Co., aber wenn wir etwas zu besprechen haben, ziehen wir uns dort doch lieber in kleine, private Zirkel zurück. Unter Datenschut­zexperten gibt es ein inoffiziel­les Ranking für sichere Nachrichte­nkanäle:

Der Messenger von Facebook bietet so gut wie keinen Schutz, vor allem nicht, wenn man ihn über die App auf dem Smartphone nutzt. Damit werden Informatio­nen und vor allem die gespeicher­ten Telefonnum­mern des jeweiligen Nutzers gespeicher­t.

AWhatsapp bietet weitaus mehr Schutz. Die Nachrichte­n und Anrufe werden verschlüss­elt. Allerdings gehört der Dienst auch dem Unternehme­n Facebook.

ADas liegt vor allem am Nachrichte­ndienst WhatsApp, dem beliebtest­en sozialen Netzwerk in Österreich. Weil es dort früh möglich war, kleine Gruppen zu bilden. Heute ist jeder von uns, ob freiwillig oder nicht, Teil einer oder mehrerer solcher Gruppen. Der ElternKind­ergarten-Gruppe. Der RuderkursG­ruppe. Oder der Familien-Gruppe.

Facebook hat schon früh auf den Rückzugstr­end reagiert und die Funktion einer geschlosse­nen Gruppe eingeführt. Im Herbst 2017 bewarb das Unternehme­n diese Funktion sogar in ganzseitig­en Zeitungsin­seraten mit Slogans wie „Privatkram mit 500 ,Freunden‘ teilen? Echt nicht.“Allerdings kann man bei manchen dieser Gruppen längst nicht mehr von „privat“sprechen. Die „Wiener Wunder Weiber“zum Beispiel haben bereits fast 8000 Mitglieder, die Alltagstip­ps und Erfahrunge­n austausche­n.

Für die Wiener Autorin und Digitalexp­ertin Ingrid Brodnig ist der anhaltende Erfolg geschlosse­ner Gruppen „eine logische Reaktion“auf die lange Zeit sehr öffentlich­e Nutzung sozialer Netzwerke. Sie sieht die Entwicklun­g von geschlosse­nen Gruppen durchaus kritisch. In diesem semi-

Wir reden wieder mehr – die Tonaufnahm­e macht der Textnachri­cht Konkurrenz. Wir ziehen uns zurück – in die geschlosse­ne Gruppe.

Das kann zwar nicht mitlesen, sammelt aber Metadaten über seine User.

Telegram galt zeitweise als sichere Alternativ­e. Da nicht ganz klar ist, welche russischen Unternehme­r dahinterst­ecken, lassen manche lieber die Finger davon.

ASignal gilt derzeit als sicherste Nachrichte­n-App. Sie ist einfach zu bedienen, Nachrichte­n und Anrufe werden so verschlüss­elt wie bei Whatsapp. Der Vorteil bei Signal ist: Es handelt sich um eine Community-basierte Open-Source-Anwendung, Sicherheit­slücken werden also schnell kommunizie­rt.

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