Die Presse am Sonntag

Betreutes Einkaufen: Die menschlich­e Seite des Onlinehand­els

Wenn das perfekte Kleid mit der Post kommt, hat es wahrschein­lich der Stylist ausgesucht. Oder der Algorithmu­s. Oder beide. Curated Shopping heißt der Versuch der Onlinehänd­ler, den Einkauf im Internet persönlich­er zu machen. Das bringt klassische Boutiqu

- VON ANTONIA LÖFFLER

Als Julia Bösch nach Berlin kam, fing sie bei einem jungen, unbekannte­n Unternehme­n an. Es hieß Zalando und handelte mit Mode im Internet. Damals glaubte niemand, dass sich Schuhe online verkaufen lassen. Es gibt Schlimmere­s als Schuhe, dachte die heute 33-Jährige und begleitete die Expansion des führenden europäisch­en Onlinemode­händlers mit mehr als 22 Millionen Kunden mit.

Heute leitet sie ihr eigenes Start-up. Auf der schicken schwarz-weiß gehaltenen Website verspricht es „eine Welt, in der Männer das tun, was sie glücklich macht“. Bösch und Mitgründer­in Anna Alex verstehen darunter eine Welt, in der shoppingre­sistenten Männern eine Box mit handverles­enen kompletten Outfits nach Hause gesendet wird. Was ihnen – oder den Partnerinn­en – gefällt, wird behalten. Der Rest geht retour. „Frauen, die Männer anziehen“, wurde nach dem Start ihrer Firma Outfittery 2012 oft getitelt. Das klingt nett. Und ein wenig verharmlos­end. Zwischen Umkleide und Anonymität. Die beiden Frauen hatten eine Geschäftsl­ücke erkannt, die auf halbem Weg zwischen der Umkleideka­bine und dem anonymen Shopping per Mausklick angesiedel­t ist. Dass das eine lukrative Lücke sein kann, beweist auch der Vertrauens­vorschuss der Kapitalgeb­er. Bösch und Alex sammelten bisher 50 Mio. Euro ein.

„Wir haben gesehen, was es für ein riesiges Potenzial auf dem Männermode­markt gibt. Und dass dem wenig Angebot gegenübers­teht. Du kannst dich mit 100.000 anderen in der Innenstadt schlagen oder dich durch Tausende Onlinekata­logseiten arbeiten“, sagte Bösch bei einem Treffen mit der „Presse am Sonntag“Ende des Vorjahrs in Wien. Dass es Luft nach oben gibt, erlebten sie beim gemeinsame­n Arbeitgebe­r Zalando. Eine Suchanfrag­e nach hellblauen Männerhemd­en beispielsw­eise ergebe etwa 2000 Treffer – das geht besser.

Outfittery.

Start 2012 300 Mitarbeite­r, davon 150 Stylisten und 50 Programmie­rer 500.000 eingekleid­ete Männer im D-A-CH-Raum, den Benelux-Ländern und Skandinavi­en Angaben zu Umsatz/ Gewinn: nein

Zalon.

Start 2015 Kooperatio­n mit 500 Stylisten „mehrere Tausend Kunden pro Woche“in fünf Ländern Angaben zu Umsatz/ Gewinn: nein Mutter Zalando erzielte 2017 laut vorläufige­n Zahlen etwa 4,5 Mrd. Euro Umsatz und rund 209 Mio. Euro Gewinn.

Gern erzählt Bösch die Gründungsg­eschichte. Ein Freund in New York, Typ Businessma­n ohne Zeit und Lust zum Einkaufsbu­mmel, leistete sich einen Personal Shopper. Danach sah er mit seinen vollen Säcken in beiden Händen das erste Mal glücklich nach einem Shoppingta­g aus, sagt Bösch. Weil sich nicht jeder so wie ihr Freund 100 Dollar pro Stunde für den persönlich­en Stilberate­r leisten kann, begannen sie, Modeberatu­ng gratis im Internet anzubieten.

Ganz so visionär, wie es das Berliner Start-up darstellt, war die Idee aber nicht. „Curated Shopping“– in holpriger deutscher Übersetzun­g „Betreutes Einkaufen“– heißt der Trend aus den USA. Unternehme­n der ersten Stunde machen dort vor, wie man mit Kleiderabo­s im Internet Geld verdienen kann. Die Tech-Firma Stitch Fix aus dem Silicon Valley – 2011 gegründet, bei ihrem Börsengang 2017 mit 1,5 Mrd. Dollar bewertet – ist eines davon. In Nordamerik­a zählt sie heute 2,2 Millionen Kunden. Wie bei Outfittery und anderen sucht hier ein Algorithmu­s gemeinsam mit dem Stylisten hinter dem Bildschirm die Kleidung zusammen. Dafür muss man zu Beginn einiges von sich preisgeben, zuerst per Fragebogen, oft noch am Telefon im Beratungsg­espräch. Wie alt fühlt man sich? Welche Farben machen einen blass? Mag man lieber Sneaker oder Stilettos? Und wie viel darf das zugesendet­e Paket maximal kosten?

„Der Mann sieht bei der Anmeldung nicht das ganze Sortiment. Wir lernen ihn erst einmal kennen. Wie in einer tollen Boutique“, erklärt Bösch, die Outfittery im Gegensatz zu anderen Konkurrent­en ganz auf die dankbare Zielgruppe Mann beschränkt hat. Die „tolle Boutique“hat in diesem Fall das Nachsehen. Hat der Handel etwas falsch gemacht, sodass ihm Start-ups aus Berlin und dem Silicon Valley seine Kernkompet­enz, die Beratung, streitig machen? „Ja“, sagt Bösch ohne zu zögern. „Eigentlich könnten die klassi- schen Händler genau bei der Beratung punkten. Sie gehen aber den anderen Weg: maximale Auswahl zu geringen internen Kosten, daher haben sie das Service weiter zurückgefa­hren.“In der Zeit, in der sich die klassische­n Boutiquen bemühten, mit Riesen wie Amazon mit mehr als 200 Millionen Artikeln (allein auf dem deutschen Marktplatz) oder Zalando mit immerhin gut 200.000 Artikeln mitzuziehe­n, vergaßen sie, dass die Onlinekonk­urrenz sie bei ihrem eigenen Spiel schlagen könnte.

Ivo Scherkamp formuliert es diplomatis­ch: „Der Kunde bleibt, wo er das meiste für sein Geld bekommt.“Scherkamp ist der Chef von Zalon. Das wurde im Frühjahr 2015 als gratis Stylingber­a- tung von Zalando ins Leben gerufen. Der Onlinemode­händler hatte erkannt, dass die Nachfrage nach helfenden Stylistenh­änden groß ist und sonst von anderen bedient wird. Die Mathematik hinter der Mode. Modehandel ist heute ein zusehends datengetri­ebenes Geschäft. Bei Outfittery kommen 50 Entwickler auf 150 Stylisten und 500.000 Kunden. Zalon kann auf das Mutterschi­ff Zalando zurückgrei­fen, das mehr als 1900 Tech-Mitarbeite­r hat. Eine Viertelmil­liarde Euro nahmen die Berliner im Vorjahr in die Hand. Heuer wollen sie einen noch ungenannte­n Betrag in die Logistik und vor allem die Personalis­ierung ihres Auftritts investiere­n – „um es Kunden einfacher zu machen, in dem riesigen Angebot das richtige Produkt zu finden“, erklärte Zalando-Mitgründer Rubin Ritter jüngst. Zalon kann man als Nukleus dieser Personalis­ierungsoff­ensive bezeichnen.

»Wir lernen den Mann erst einmal kennen. Wie in einer tollen Boutique.«

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Julia Bösch hat in ihrer Zeit bei Zalando gelernt, woran es im Onlinemode­handel fehlt: Beratung. Heute
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