Betreutes Einkaufen: Die menschliche Seite des Onlinehandels
Wenn das perfekte Kleid mit der Post kommt, hat es wahrscheinlich der Stylist ausgesucht. Oder der Algorithmus. Oder beide. Curated Shopping heißt der Versuch der Onlinehändler, den Einkauf im Internet persönlicher zu machen. Das bringt klassische Boutiqu
Als Julia Bösch nach Berlin kam, fing sie bei einem jungen, unbekannten Unternehmen an. Es hieß Zalando und handelte mit Mode im Internet. Damals glaubte niemand, dass sich Schuhe online verkaufen lassen. Es gibt Schlimmeres als Schuhe, dachte die heute 33-Jährige und begleitete die Expansion des führenden europäischen Onlinemodehändlers mit mehr als 22 Millionen Kunden mit.
Heute leitet sie ihr eigenes Start-up. Auf der schicken schwarz-weiß gehaltenen Website verspricht es „eine Welt, in der Männer das tun, was sie glücklich macht“. Bösch und Mitgründerin Anna Alex verstehen darunter eine Welt, in der shoppingresistenten Männern eine Box mit handverlesenen kompletten Outfits nach Hause gesendet wird. Was ihnen – oder den Partnerinnen – gefällt, wird behalten. Der Rest geht retour. „Frauen, die Männer anziehen“, wurde nach dem Start ihrer Firma Outfittery 2012 oft getitelt. Das klingt nett. Und ein wenig verharmlosend. Zwischen Umkleide und Anonymität. Die beiden Frauen hatten eine Geschäftslücke erkannt, die auf halbem Weg zwischen der Umkleidekabine und dem anonymen Shopping per Mausklick angesiedelt ist. Dass das eine lukrative Lücke sein kann, beweist auch der Vertrauensvorschuss der Kapitalgeber. Bösch und Alex sammelten bisher 50 Mio. Euro ein.
„Wir haben gesehen, was es für ein riesiges Potenzial auf dem Männermodemarkt gibt. Und dass dem wenig Angebot gegenübersteht. Du kannst dich mit 100.000 anderen in der Innenstadt schlagen oder dich durch Tausende Onlinekatalogseiten arbeiten“, sagte Bösch bei einem Treffen mit der „Presse am Sonntag“Ende des Vorjahrs in Wien. Dass es Luft nach oben gibt, erlebten sie beim gemeinsamen Arbeitgeber Zalando. Eine Suchanfrage nach hellblauen Männerhemden beispielsweise ergebe etwa 2000 Treffer – das geht besser.
Outfittery.
Start 2012 300 Mitarbeiter, davon 150 Stylisten und 50 Programmierer 500.000 eingekleidete Männer im D-A-CH-Raum, den Benelux-Ländern und Skandinavien Angaben zu Umsatz/ Gewinn: nein
Zalon.
Start 2015 Kooperation mit 500 Stylisten „mehrere Tausend Kunden pro Woche“in fünf Ländern Angaben zu Umsatz/ Gewinn: nein Mutter Zalando erzielte 2017 laut vorläufigen Zahlen etwa 4,5 Mrd. Euro Umsatz und rund 209 Mio. Euro Gewinn.
Gern erzählt Bösch die Gründungsgeschichte. Ein Freund in New York, Typ Businessman ohne Zeit und Lust zum Einkaufsbummel, leistete sich einen Personal Shopper. Danach sah er mit seinen vollen Säcken in beiden Händen das erste Mal glücklich nach einem Shoppingtag aus, sagt Bösch. Weil sich nicht jeder so wie ihr Freund 100 Dollar pro Stunde für den persönlichen Stilberater leisten kann, begannen sie, Modeberatung gratis im Internet anzubieten.
Ganz so visionär, wie es das Berliner Start-up darstellt, war die Idee aber nicht. „Curated Shopping“– in holpriger deutscher Übersetzung „Betreutes Einkaufen“– heißt der Trend aus den USA. Unternehmen der ersten Stunde machen dort vor, wie man mit Kleiderabos im Internet Geld verdienen kann. Die Tech-Firma Stitch Fix aus dem Silicon Valley – 2011 gegründet, bei ihrem Börsengang 2017 mit 1,5 Mrd. Dollar bewertet – ist eines davon. In Nordamerika zählt sie heute 2,2 Millionen Kunden. Wie bei Outfittery und anderen sucht hier ein Algorithmus gemeinsam mit dem Stylisten hinter dem Bildschirm die Kleidung zusammen. Dafür muss man zu Beginn einiges von sich preisgeben, zuerst per Fragebogen, oft noch am Telefon im Beratungsgespräch. Wie alt fühlt man sich? Welche Farben machen einen blass? Mag man lieber Sneaker oder Stilettos? Und wie viel darf das zugesendete Paket maximal kosten?
„Der Mann sieht bei der Anmeldung nicht das ganze Sortiment. Wir lernen ihn erst einmal kennen. Wie in einer tollen Boutique“, erklärt Bösch, die Outfittery im Gegensatz zu anderen Konkurrenten ganz auf die dankbare Zielgruppe Mann beschränkt hat. Die „tolle Boutique“hat in diesem Fall das Nachsehen. Hat der Handel etwas falsch gemacht, sodass ihm Start-ups aus Berlin und dem Silicon Valley seine Kernkompetenz, die Beratung, streitig machen? „Ja“, sagt Bösch ohne zu zögern. „Eigentlich könnten die klassi- schen Händler genau bei der Beratung punkten. Sie gehen aber den anderen Weg: maximale Auswahl zu geringen internen Kosten, daher haben sie das Service weiter zurückgefahren.“In der Zeit, in der sich die klassischen Boutiquen bemühten, mit Riesen wie Amazon mit mehr als 200 Millionen Artikeln (allein auf dem deutschen Marktplatz) oder Zalando mit immerhin gut 200.000 Artikeln mitzuziehen, vergaßen sie, dass die Onlinekonkurrenz sie bei ihrem eigenen Spiel schlagen könnte.
Ivo Scherkamp formuliert es diplomatisch: „Der Kunde bleibt, wo er das meiste für sein Geld bekommt.“Scherkamp ist der Chef von Zalon. Das wurde im Frühjahr 2015 als gratis Stylingbera- tung von Zalando ins Leben gerufen. Der Onlinemodehändler hatte erkannt, dass die Nachfrage nach helfenden Stylistenhänden groß ist und sonst von anderen bedient wird. Die Mathematik hinter der Mode. Modehandel ist heute ein zusehends datengetriebenes Geschäft. Bei Outfittery kommen 50 Entwickler auf 150 Stylisten und 500.000 Kunden. Zalon kann auf das Mutterschiff Zalando zurückgreifen, das mehr als 1900 Tech-Mitarbeiter hat. Eine Viertelmilliarde Euro nahmen die Berliner im Vorjahr in die Hand. Heuer wollen sie einen noch ungenannten Betrag in die Logistik und vor allem die Personalisierung ihres Auftritts investieren – „um es Kunden einfacher zu machen, in dem riesigen Angebot das richtige Produkt zu finden“, erklärte Zalando-Mitgründer Rubin Ritter jüngst. Zalon kann man als Nukleus dieser Personalisierungsoffensive bezeichnen.
»Wir lernen den Mann erst einmal kennen. Wie in einer tollen Boutique.«