Der Aufstieg des unterschätzten Herrn Ludwig
Nie im engsten Kreis um Häupl, oft als »zu nett« für das glatte politische Parkett beschrieben – trotzdem schaffte es der Wohnbaustadtrat Michael Ludwig an die Spitze in Wien.
Vielleicht wird Michael Häupl in einsamen Momenten jenen Satz bereuen, den er im März 2009 lächelnd vor TV-Kameras und Medienvertretern ausgesprochen hatte: „Es wird Zeit, mehr Verantwortung auf diese breiten Schultern zu laden.“Er war an den damaligen Wohnbaustadtrat Michael Ludwig gerichtet, den Häupl damit auch zum Wiener Vizebürgermeister beförderte. Seitdem war der Floridsdorfer fixer Bestandteil von Spekulationen, wenn es um die Nachfolge von Michael Häupl ging – selbst wenn Ludwig den Vizebürgermeister-Posten im Oktober 2010 an den grünen Koalitionspartner abgeben musste.
Rund neun Jahre später sind die Spekulationen zu Ende. Ludwig folgte am Samstag Michael Häupl als Chef der Wiener SPÖ nach, wie die rund 1000 Delegierten entschieden haben – und damit (voraussichtlich im Mai) als Wiener Bürgermeister.
Dass der 56-Jährige bis an die Spitze in Wien kommen könnte, darauf hätte kaum jemand gewettet, als der Bildungspolitiker im Jänner 2007 Wohnbaustadtrat wurde. Seit damals verfolgt Ludwig der Ruf, dass er zu nett und zu freundlich sei, um sich auf dem glatten politischen Wiener Parkett behaupten zu können. Ob er deshalb von politischen Gegnern aus der eigenen Partei lange unterschätzt wurde, bleibt offen. Vielleicht war es auch die Tatsache, dass Ludwig nie zum engsten Kreis von Michael Häupl ge- zählt wurde. Als einziger Vertreter der bevölkerungsreichen Flächenbezirke in der Stadtregierung war er geduldet, in die wichtigsten Entscheidungen des inneren Zirkels um Häupl aber nie wirklich eingebunden. Rotes Arbeitermilieu. Ludwig hat einen klassischen sozialdemokratischen Lebenslauf. Aufgewachsen in einem Gemeindebau in Floridsdorf mit seiner Schwester, nachdem die alleinerziehende Mutter, Arbeiterin in einer Fabrik, von Neubau dorthin gegangen war. Danach engagierte er sich in der Bildungspolitik, konkret in der Erwachsenenbildung bei den Wiener Volkshochschulen. Zuerst als Kursleiter, später Leiter einer Volkshochschule.
In die Politik kam Ludwig dadurch, dass er eines Tages direkt in die nächste SPÖ-Sektion marschierte und erklärte: „Da bin ich.“In die SPÖ, weil seine Mutter immer gepredigt hatte: „Als Arbeiter kannst du nur SPÖ wählen“, erinnerte er sich in einem Gespräch mit der „Presse am Sonntag“. In der Sektion elf in Großjedlersdorf traf er auf Hilde Hawlicek. Die Bildungsobfrau, die später Ministerin werden sollte, war Ludwigs erste Förderin.
Schnell wurde er Bildungsreferent, SPÖ-Bildungssekretär, übernahm eine Führungsposition bei den Wiener Volkshochschulen. In dieser Zeit lernte er Heinz Fischer kennen, eine jahrzehntelange Freundschaft entstand. Fischer wurde nach dem Ende seiner Amtszeit als Bundespräsident Präsi-
Michael Ludwig
wird am 3. April 1961 in Wien geboren.
1991
wird er SPÖBildungssekretär, Bundesrat und später Gemeinderat.
2007
steigt Ludwig zum Wiener Wohnbaustadtrat auf.
2018
folgt er Michael Häupl als Parteichef der Wiener SPÖ, voraussichtlich im Mai wird er das Bürgermeisteramt übernehmen. dent der VHS – auf Bitte von Michael Ludwig.
Die Widerstandskämpferin und KZ-Überlebende Rosa Jochmann überzeugte den jungen Michael Ludwig, sich beim „Bund sozialistischer Freiheitskämpfer, Opfer des Faschismus und aktiver Antifaschist/inn/en“zu engagieren. Dort ist Ludwig nun seit Jahren im Vorstand, organisiert und spricht bei Gedenkveranstaltungen.
Trotzdem zählte Ludwig nie zum dezidiert linken Parteiflügel. Dazu ist der Floridsdorfer zu sehr Pragmatiker. Was ihm im Gegenzug die Feindschaft des linken Parteiflügels um die damalige Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely einbrachte. Nicht zuletzt, weil Wehsely selbst das Bürgermeisteramt anstrebte. Konkret stieß man sich im linken Flügel daran, dass Ludwig auf Sachebene mit allen redet. Auch wenn es ein FPÖ-Politiker ist. Pragmatiker. Apropos reden: Hier wird Michael Ludwig dieselbe Stärke wie Michael Häupl nachgesagt. Nämlich immer den passenden Ton zu treffen, unabhängig von Situation oder Publikum – sei es an den Biertischen bei Volksfesten, am Redepult bei Vertretern der wissenschaftlichen Community, bei Gedenkveranstaltungen, vor Entscheidern aus der Wirtschaft oder mit sozial schwächer gestellten Menschen im Gemeindebau. Diese Eigenschaft wird Ludwig für 2020 dringend brauchen. Denn nach der Wahl (am Samstag) ist vor der Wahl (in Wien).