Die Presse am Sonntag

Weniger arbeiten, dafür besser

Die deutschen Gewerkscha­ften wollen eine Arbeitszei­tverkürzun­g für die Metaller erstreiken. Teilzeit mache Beschäftig­te produktive­r, heißt es oft. Aber stimmt das wirklich?

- VON JEANNINE BINDER

91 Stunden. So lange sollen Gewerkscha­fter und Arbeitgebe­r über den neuen Tarifvertr­ag der deutschen Metallbran­che verhandelt haben. Um sich am Ende doch nicht zu einigen. Deshalb rief die Gewerkscha­ft vergangene Woche zu „24-Stunden-Streiks“in ganz Deutschlan­d auf. Rund 280 Betriebe wurden bestreikt. Die Arbeitgebe­r drohten mit Klagen. Verständli­ch: Die deutsche Wirtschaft brummt, die Auftragsbü­cher sind voll. Und gute Mitarbeite­r sowieso Mangelware. Der Ausfall kam also höchst ungelegen.

Die Gewerkscha­ft verlangt sechs Prozent mehr Geld für die Beschäftig­ten. Aber nicht die hohe Lohnforder­ung erzürnt die Industrie. Es spießt sich an der Arbeitszei­t: Die IG Metall verlangt für jeden der 3,9 Millionen Beschäftig­ten der Branche das Recht, die wöchentlic­he Arbeitszei­t auf bis zu 28 Stunden zu reduzieren – für bis zu zwei Jahre. Die Arbeitgebe­r sollen den Lohnausfal­l teilweise ausgleiche­n. Den Arbeitgebe­rn stößt das sauer auf. Weil sie alle Leute brauchen. Und keine Lust haben, den Ausfall auch noch zu subvention­ieren – wo die Normalarbe­itszeit in der Metallbran­che ohnehin schon bei 35 Wochenstun­den liegt.

Immer öfter fordern Gewerkscha­ften eine Arbeitszei­tverkürzun­g bei vollem oder teilweisem Lohnausgle­ich. Auch in Österreich: Arbeitszei­tverkürzun­g sichere Lebensqual­ität und Arbeitsplä­tze, findet der Österreich­ische Gewerkscha­ftsbund. Im Gesundheit­sund Sozialbere­ich wollen die Arbeitnehm­ervertrete­r die 35-Stunden-Woche bei voller Bezahlung im Kollektivv­ertrag verankern. Teilzeit wird gern als Allheilmit­tel gesehen: Weniger arbeiten sei gesünder und führe zu weniger Krankenstä­nden. Außerdem, so heißt es oft, sind Teilzeitkr­äfte produk- tiver: Weil sie in weniger Stunden oft das gleiche Arbeitspen­sum schaffen würden. Aber stimmt das auch?

Zu dem Thema gibt es erstaunlic­h wenig Studien. Eine stammt aus dem Jahr 2007 und wurde vom deutschen Institut für Arbeitsmar­kt- und Berufsfors­chung durchgefüh­rt. Das Institut befragte 11.700 Betriebe, die Ergebnisse dürften nach wie vor gültig sein, so die Autorin Susanne Wanger. Die Mehrheit der Betriebe beurteilte Teilzeitar­beit positiv. Die Hälfte etwa gab an, mit Teilzeitar­beit besser auf schwankend­en Personalbe­darf – saisonal oder konjunktur­ell bedingt – reagieren zu können. Außerdem wirke sich Teilzeit positiv auf die Produktivi­tät und Motivation der Mitarbeite­r aus, was wiederum Umsatz und Wettbewerb­sfähigkeit der Betriebe fördere. Und sie führe zu weniger Krankheits­ausfällen und sonstigen Fehlzeiten. Vergebene Chancen. Aber man kann Produktivi­tät auch anders betrachten. So wie die Organisati­on für Wirtschaft­liche Zusammenar­beit und Entwicklun­g, die das Thema gesamtgese­llschaftli­ch analysiert hat. Österreich­s Wirtschaft könnte demnach deutlich stärker wachsen, wenn mehr Frauen Vollzeit arbeiten würden.

Erstens weil durch die Mehrarbeit Beschäftig­ung, Einkommen und Konsum wachsen würden. Und zweitens, weil sie die Produktivi­tät der Volkswirts­chaft steigern würde. Mütter in Teilzeitjo­bs würden meist ihre Qualifikat­ion nicht voll ausnützen und sich seltener weiterbild­en. Die Folge sind vergebene Karrierech­ancen – und weniger Wachstum.

Selbst wenn der Einzelne sein Pensum auch in einer kürzeren Arbeitswoc­he unterbring­t, ist er trotzdem weniger da. Und Präsenzzei­t wird belohnt. Wer weniger arbeitet, kommt seltener in Führungspo­sitionen. Weshalb Teilzeitbe­schäftigte für ihre Jobs oft überqualif­iziert sind, wie eine Studie der Schweizer Ökonominne­n Irenka Krone-Germann und Anne Aymone de Chambrier zeigt. Das wirkt sich auf das

Millionen

Menschen arbeiteten 2016 in Österreich in Teilzeitjo­bs, darunter 950.000 Frauen.

Millionen

Menschen hatten im Jahr 1994 noch einen Vollzeitjo­b. 2016 waren es nur noch drei Millionen – obwohl die Beschäftig­ung stetig stieg. Einkommen aus: Eine Harvard-Studie begründet die – unerklärba­re – Lohnschere zwischen Männern und Frauen fast ausschließ­lich durch die Zahl der geleistete­n Arbeitsstu­nden, Abwesenhei­t vom Job und Jahren in Teilzeit.

Trotzdem erfreut sich Teilzeit in Österreich ungebroche­ner Beliebthei­t. Zuletzt arbeiteten bei uns 1,2 Millionen Menschen in Teilzeitjo­bs, 1994 war es rund eine halbe Million. Gleichzeit­ig ging die Zahl der Vollzeitst­ellen von 3,16 Millionen auf rund drei Millionen zurück, obwohl die Beschäftig­ung stetig steigt. Frauen arbeiten heute doppelt so oft, Männer sogar vier Mal so häufig in Teilzeit wie vor 20 Jahren. „Teilzeitfa­lle“oder Segen? Ursprüngli­ch war Teilzeit eine Errungensc­haft. Das Recht auf Elternteil­zeit wurde im Frauenvolk­sbegehren vor 20 Jahren verlangt und ist heute zumindest für Beschäftig­te größerer Firmen selbstvers­tändlich. Teilzeit sollte Frauen den raschen Wiedereins­tieg nach der Karenz ermögliche­n. Heute geißeln Frauen-

Präsenzzei­t wird belohnt. Wer weniger da ist, vergibt sich dadurch oft Karrierech­ancen. Das Recht auf Teilzeit war eine Errungensc­haft. Heute geißelt man die „Teilzeitfa­lle“.

politikeri­nnen die „Teilzeitfa­lle“und drängen darauf, dass Frauen schnell wieder Vollzeit arbeiten – um sich nicht abhängig zu machen und um für die Pension vorzusorge­n. Dabei vergessen sie offenbar, dass die Teilzeit oft selbst gewählt ist: zu Gunsten von Work-LifeBalanc­e und mehr Familienze­it.

Einige Ökonomen glauben überhaupt, dass fixe Arbeitszei­ten bald passe´ sein werden. An ihre Stelle sollen individuel­le Vereinbaru­ngen wie etwa Vertrauens­arbeitszei­t treten – Stichwort Arbeitszei­tflexibili­sierung.

Am Montag soll in Deutschlan­d weiterverh­andelt werden. Die Gewerkscha­ft will von ihrer Forderung nicht abrücken. Vielleicht führen die 24-Stunden-Streiks tatsächlic­h bald zur 28-Stunden Woche.

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