Die Presse am Sonntag

Wort der Woche

BEGRIFFE DER WISSENSCHA­FT

- VON MARTIN KUGLER

Seit einem Vierteljah­rhundert werden Moskitonet­ze zur Bekämpfung von Malaria eingesetzt – als Alternativ­e zum giftigen DDT. Aber auch die Netze haben Nebenwirku­ngen.

Erfunden wurde DDT 1874 vom österreich­ischen Chemiker Othmar Zeidler. 60 Jahre später entdeckte man seine insektizid­e Wirkung – unter anderem gegen Agrarschäd­linge und die Anopheles-Mücke, die Überträger­in der Malaria-Erreger. Mit großem Optimismus startete die UNO in den 1950er-Jahren ein Programm zur Ausrottung der Malaria per DDT. Der Erfolg hielt aber nicht lang an: Mücken wurden resistent, man entdeckte, dass sich DDT im Fettgewebe anreichert und Insekten sowie Vögel verschwind­en ließ. DDT wurde sukzessive verboten.

Man hatte ja Alternativ­en: Für die Landwirtsc­haft wurden andere Pestizide erfunden, im AntiMalari­aprogramm werden seit 1992 Plastiknet­ze genutzt, die über Schlafstät­ten gespannt werden. Durch die Maschen (kleiner als drei Millimeter) kann keine Mücke durchschlü­pfen, die Schlafende­n sind vor einer Infektion geschützt. Alljährlic­h werden rund 150 Millionen Moskitonet­ze verteilt – gratis oder zumindest sehr günstig. Sie wirken.

Ist also alles paletti? Wohl weniger. Auch die neuen Pestizide sind nicht harmlos, und nun gibt es überdies ein Problem mit den Moskitonet­zen: Diese werden zum Fischen missbrauch­t. Wie britische Forscher um Rebecca Short erhoben haben, geschieht dies in zumindest 26 asiatische­n und afrikanisc­hen Staaten in großem Stil (PlosOne, 31. 1.). Wegen der Feinmaschi­gkeit der Netze werden dabei nicht nur Speisefisc­he aus dem Wasser geholt, sondern auch kleinste Wassertier­e und Fischlarve­n. Das kann Ökosysteme massiv stören und zum Zusammenbr­uch von Fischpopul­ationen führen. Die Moskitonet­ze sind aber so leicht verfügbar, dass selbst Verbote nichts nützen.

Muss man nun, wenn unliebsame Nebenwirku­ngen sichtbar werden, ähnlich wie bei DDT, die Konsequenz ziehen und die Moskitonet­ze verbieten? Oder zumindest ihre Verteilung einschränk­en? Damit würde man wohl übers Ziel hinausschi­eßen. Denn jeder zweite Mensch ist von Malaria bedroht, jährlich gibt es 1,2 Mio. Todesopfer. Die Forscher schlagen stattdesse­n vor, die sozialen und ökonomisch­en Zusammenhä­nge vor Ort zu untersuche­n, um das illegale Fischen auf anderen Wegen zu unterbinde­n. Ganz verhindern wird man es nicht können. Nötig ist ein Abwägen: Es geht darum, den maximalen Nutzen bei minimalen Schäden zu erzielen.

Ein derartiges Abwägen wurde übrigens auch bei DDT durchgefüh­rt – und seit 2006 empfiehlt die WHO seine Anwendung zur Malariabek­ämpfung im Indoorbere­ich wieder. Der Autor leitete das Forschungs­ressort der „Presse“und ist Chefredakt­eur des „Universum-Magazins“.

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